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PolitikAfrika

Nigeria: 60 Jahre Abhängigkeit vom Öl

Silja Fröhlich
30. September 2020

Seit der Unabhängigkeit lebt Nigerias Wirtschaft von Öl-Exporten. Die Bevölkerung hat davon nichts: Strom, Benzin und Lebensmittel sind teuer, die Armut hoch. Und das dürfte trotz aller Versprechen noch lange so bleiben.

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Erdöllraffinerie in Nigeria
Bild: Construction Photography/Photoshot/picture alliance

In einem Land, in dem das Öl in Strömen fließt, haben die Benzinpreise dieser Tage ein Rekordhoch erreicht. Kurz vor dem 60. Unabhängigkeitstag am 01.10. erhöhte die Regierung die Benzinpreise um rund 15 Prozent.

Dabei ist Nigeria Afrikas größter Rohöl-Produzent. Erdöl und Erdgas machen rund 95 Prozent  der Exporterlöse und fast 40 Prozent der Staatseinnahmen aus. Doch das Land hat gerade mal vier Raffinerien, die von einer Staatsfirma betrieben werden. Sie arbeiteten jahrelang nur mit einem Bruchteil ihrer eigentlichen Kapazität, nun sind sie geschlossen. Dahinter stecken Korruption und die Veruntreuung der Einnahmen aus dem Benzinverkauf. "Wenn die Regierung den erforderlichen politischen Willen mitbrächten, und sie wirklich wollten, dass diese Raffinerien funktionieren, dann würden sie funktionieren", sagt der nigerianische Öl-Experte Ahmad Umar zur DW.

Kein Geld für Subventionen

Seit Jahren muss Nigeria daher 90 Prozent des benötigten Benzins und Diesels importieren – und dafür Milliarden Euro ausgeben. Doch für Subventionen ist nach Angaben der Regierung kein Geld mehr da, weil der Ölpreis durch die Corona-Krise eingebrochen ist.

Präsident Buhari bei einer Veranstaltung in der Hauptstadt Abuja
Präsident Muhammadu Buhari hat versprochen, Nigerias Wirtschaft zu diversifizierenBild: Reuters/A. Sotunde

Daher steigt nun der Benzinpreis -  und nicht nur der.  Die Stromkosten haben sich verdoppelt – von 22 (0,05 Euro) auf über 60 Naira (0,13 Euro) pro Kilowattstunde. Auch Reis, Kakao und andere Nahrungsmittel sind teurer geworden, seit die Regierung letztes Jahr die Grenzen geschlossen hat, um den Schmuggel zu bekämpfen. 

Schon lange fordern Experten, dass sich Nigeria aus der Abhängigkeit vom Öl lösen muss. Vor 16 Jahren versprach die damalige Regierung von Präsident Olusegun Obasanjo, dass "die Regierung die Wirtschaft weg von Öl und festen Mineralien diversifizieren wird, um die wirtschaftliche Stabilität zu erhöhen und Arbeitsplätze zu schaffen."

Leere Versprechen

Die aktuelle Regierung von Präsident Muhammadu Buhari will nun einen neuen Anlauf versuchen. "Die Buhari-Administration kam [2015] mit dem Gedanken [an die Macht], die Wirtschaft zu diversifizieren", sagt der Wirtschaftsjournalist Ignatious Chukwu zur DW. Bei Ankündigungen ist es größtenteils geblieben – mit wenigen Ausnahmen: Nach Angaben des nigerianischen Statistikamtes war die Nigerias Telekommunikationssektor einer der größten Gewinner während der Corona-Pandemie. Der Sektor verzeichnete im 2. Quartal 2020 ein Wachstum von über 18 Prozent.

Bauer in Nigeria
Viele Menschen leben noch immer von der LandwirtschaftBild: Luis Tato/AFP

"Das Baugewerbe entwickelt sich weiterhin positiv, unterstützt durch laufende Megaprojekte, höhere öffentliche Investitionen in der ersten Jahreshälfte und Importbeschränkungen", heißt es von der Weltbank.

Weg vom Öl - aber wohin?

Tukur Abdulkadir, Politikwissenschaftler  an der Universität Kaduna State, bleibt bei allen Ankündigungen skeptisch:  "Wir haben das größten Stahlwerk in Afrika aufgebaut [1979, d. Red.]. Er ist jetzt fast tot", so Abdulkadir im DW-Interview. "Wir hatten Unternehmen im ganzen Land, die sind alle bankrottgegangen. Früher war der Eisenbahnsektor eine lebendige Industrie, wir exportierten Baumwolle, Erdnüsse, Kaffee und Kakao. Damit erreichen wir heute nicht mehr viel."

Doch was hindert Nigerias Wirtschaft an der Diversifizierung? Schon vor 16 Jahren stellte die damalige Regierung fest: "Die übermäßige Abhängigkeit vom Öl und traditionellen Sektoren ist zum Teil auf das feindliche Geschäftsumfeld zurückzuführen. Unternehmen, die in Nigeria tätig werden wollen, sehen sich vielen Zwängen ausgesetzt, darunter schlechte Infrastruktur, insbesondere Straßennetze und Stromversorgung, unzureichende physische Sicherheit, Korruption, schwache Durchsetzung von Verträgen und hohe Finanzierungskosten." Kritiker sagen: So lange die politischen und wirtschaftlichen Eliten vom Ölexport profitieren, wird sich wenig ändern. Seit 1960 soll Nigeria über 326 Milliarden Euro durch Korruption  verloren haben.

Zerstörtes Auto nach einem Anschlag in Monguno, Borno State, Nigeria
Im Norden Nigerias kommt es immer wieder zu AnschlägenBild: picture-alliance/AP Photo/ocha/Undss

Auch die Sicherheitslage ist ein Problem: Der Norden wird seit über 10 Jahren von islamistischen Anschlägen erschüttert, über zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht. In der Landesmitte kommt es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Nomaden und Bauern, die Tote und Verletzte fordern. "Was die Regierung tun muss, ist, die Sicherheitsarchitektur zu überdenken und diese existentiellen Probleme anzugehen", so Experte Abdulkadir. 

Ruf nach Einigkeit

Doch nun sei es höchste Zeit zu handeln, sagt Abdulkadir. "Es herrscht ein hohes Maß an Ernüchterung und Unzufriedenheit im Land. Wenn sich diese Desillusionierung weiter anhäuft, befürchte ich, dass die Dinge eines Tages außer Kontrolle geraten könnten." Und dann wird auch das Öl Nigeria irgendwann nicht mehr retten können.

Mitarbeit: Muhammad Bello