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Nichts für empfindliche Mägen

Sarah Hucal ka
18. Mai 2018

Würde virtuelle Realität Käfighühner glücklicher machen? Wäre es einfacher, Mehlwürmer zu essen, wenn sie wie ein Hackbraten aussähen? Solche und andere spannende Fragen stellt die Schau "Food Revolution 5.0" in Berlin.

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Eine Hand hält ein großes rosafarbenes Ei, durch dessen zerbrochene Schale eine rote Masse zu sehen ist. Aus der Ausstellung "Food Revolution 5.0"Kunstgewerbemuseum Berlin.
Bild: Johanna Schmeer

Der Innenhof des Berliner Kunstgewerbemuseums beherbergt derzeit einen einzigartigen Obstgarten: 80 Apfelbäume, ausgestattet mit grünen Infusionsbeuteln. Eine Lichtquelle und einzelne Erdbehälter bilden einen völlig autarken "städtischen Gemeinschaftsobstgarten".

"Wir nennen es eine Klimamaschine", sagt Stadtplaner Ton Matton. Das augenzwinkernde Konzept entlastet den modernen Gärtner, der frei in den Urlaub fahren kann, ohne seinen Obstgarten bewässern zu müssen, so Matton. Und angesichts des Klimawandels fügte er hinzu: "Wir geben dem Apfelbaum die Erfahrung, die er braucht, um in unserer städtischen Umgebung zu überleben." Es scheint, als seien wir wirklich im Zeitalter des Anthropozäns angekommen.

"Akt des Essens ist politisch"

Die provokante Arbeit ist Teil der Ausstellung "Food Revolution 5.0: Gestaltung für die Gesellschaft von morgen", für die 30 Designer aufgefordert wurden, ihre Visionen für die Zukunft der Lebensmittel in einer Welt des Wachstums zu präsentieren, in der die Ressourcen immer knapper werden. Als Rohstoff, der oft in eine bestimmte Form gebracht werden muss, sei Essen eines der ersten "gestalteten" Objekte, argumentiert Kuratorin Claudia Banz.

Eine Kuh mit zwei Herzen. Aus der Ausstellung "Food Revolution 5.0" im Kunstgewerbemuseum Berlin.
Ein zweites Herz würde eine Milchkuh sicher noch produktiver machen: Paul Gongs "The Cow of Tomorrow" (2015)Bild: Paul Gong

Gemeinsam mit dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe und der Berliner Kooperative für Darstellungspolitik wurde das Museumsgebäude zu einem, wie Banz es formuliert, "Labor für die Zukunft des Essens und Wohnens" umgebaut. Sie hofft, dass sich die Ausstellungsbesucher anschließend kritischer mit dem Verzehr von Lebensmitteln auseinandersetzen. "Ich möchte, dass die Leute verstehen, dass der Akt des Essens und Kaufens von Lebensmitteln sehr politisch ist, und indem wir eine Entscheidung treffen, treffen wir eine politische, weil das alles zusammenhängt mit Landnahme, mit Spekulation, mit der Industrie, mit der Frage, wer die Macht hat und wer nicht."

Virtuelle Realität für Hühner

Die Ausstellung umfasst die vier Themenbereiche Bauernhof, Markt, Küche und Tisch.

Einige Projekte sind sehr konzeptionell, wie zum Beispiel ein VR-Headset für Hühner und ein begleitender Film mit dem Titel "Second Livestock" des amerikanischen Künstlers Austin Stewart. Es zwingt die Besucher, das triste Leben der überwiegenden Mehrheit der in Käfigen gehaltenen Tiere anzuerkennen. Eine Videosimulation zeigt einen imaginären Blick durch die Brille des Huhns - ein idyllisches Leben in Freilandhaltung. Es stellt sich die Frage: Wenn ein Huhn kein freilaufendes Leben führen kann, warum nicht den Anschein erwecken, dass es das kann?

Ein ausgestopftes Huhn mit einem VR-Headset. Aus der Ausstellung "Food Revolution 5.0" im Kunstgewerbemuseum Berlin.
Ein schöneres Leben für Hühner - rein virtuell: "Second Livestock" (2014) von Austin StewartBild: Austin Stewart

Solche Arbeiten, sagt Banz, konfrontieren die Besucher auf eine ästhetisch ansprechende Weise mit einem bestehenden Missstand und helfen so, die Botschaft zu übermitteln: "Meiner Erfahrung nach sind die Menschen offener, wenn man ihnen etwas sagt, das auf eine glatte und elegante Weise auf den Punkt kommt - das tun viele Projekte in der Ausstellung."

Nichts für den empfindlichen Magen

Neben optisch ansprechenden Produkt-Prototypen wie einem schlanken, selbstkompostierenden Behälter für den Haushalt und Küchengeräten aus Seetang gibt es viele interessante Projekte, die nicht für den empfindlichen Magen geeignet sind.

Von der Designerin Carolin Schulze stammt "Hase aus einer Mehlwurmpaste", ein Projekt, das Insekten als wertvolle Proteinquelle hervorhebt und uns suggeriert, wir könnten bereit sein, sie zu essen, wenn ein 3D-Drucker sie vertrauter aussehen lässt - in diesem Fall wie einen Hackbraten in Form eines Kaninchens.

Die Künstlerin Andrea Staudacher hat ein Schwein geschlachtet und präsentiert seine Teile in 60 transparenten Silikonblöcken, um zu zeigen, wie weit wir vom Erkennen des ursprünglichen Tieres entfernt sind, das heute typischerweise in Dosen und Verpackungen angeboten wird.

"Revolution kann zu Hause beginnen"

Laut einer UN-Studie wird ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittel verschwendet, während 925 Millionen Menschen von Hunger bedroht sind. "Essen ist über alle Kanäle mit unserer Welt verbunden", sagt Banz. "Revolution ist ein großes Wort, aber jeder kann die Revolution bei sich zu Hause beginnen, mit seinen eigenen Kaufentscheidungen: Wie viel Essen muss ich wirklich kaufen? Was möchte ich? Brauche ich wirklich Erdbeeren im Winter?"

Gestapelte schimmelnde Schokoladenkekse. Aus der Ausstellung Food Revolution 5.0: Design for Tomorrow’s Society im Kunstgewerbemuseum Berlin
Ein Drittel der Lebensmittel wird nicht gegessen - wie diese Schokoladenkekse (Klaus Pichler, "One Third", 2010-2012)Bild: Klaus Pichler

Eine Installation des Künstler-Thinktanks "Center for Genomic Gastronomy" namens "To Flavour Our Tears" wurde von einer thailändischen Motte inspiriert, die die Tränen von Säugetieren verzehrt.

Der Mensch als Nahrungsquelle

"Es ist ein Projekt, das versucht, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn wir unsere Körper wieder in das Nahrungssystem einbrächten", sagt Thinktank-Mitglied Emma Conley. Die Idee sei gewesen, "ein emotionales Erlebnis zu schaffen, in dem ein Mensch mit der Tatsache einverstanden sein kann, die Nahrung eines anderen zu sein, anstatt die Nahrung eines anderen zu nehmen."

Zur Illustration zeigt ein Video Beispiele: von einer Dachbegräbnisstätte bis hin zu einer VR-Simulation, die den Betrachter in die Rolle von Mikroorganismen versetzt, die durch den Darm eines Menschen reisen, oder in die Rolle eines Wolfs, der einen Jogger jagt und angreift. "Die Menschen können emotional auf Themen wie Nahrungsmittelsysteme reagieren", sagte Conley, "aber es ist an der Zeit, sich mit solchen Ideen, die ziemlich politisch sind, auseinanderzusetzen."

Die Ausstellung ist vom 18. Mai bis zum 30. September 2018 im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin zu sehen.