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Politik

Netanjahu, die WM und der neue Nahe Osten

11. Juli 2018

Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen reist der israelische Premier Benjamin Netanjahu nach Moskau. Dort schaut er sich auch ein Fußballspiel an. Vor allem aber geht es ihm um die Präsenz des Iran in Syrien.

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Russland Benjamin Netanjahu, Premierminister Israel & Wladimir Putin
Bild: Reuters/Y. Kadobniv

Zu welcher Mannschaft Benjamin Netanjahu hält, wenn er sich heute Abend im Moskauer Luschniki-Stadion das WM-Halbfinalspiel zwischen England und Kroatien anschaut, hat der israelische Premier nicht verraten. Gewinnen mögen "die Besseren", gab sich Netanjahu diplomatisch. Mehr als um den Sieg der einen oder anderen Mannschaft dürfte es dem bekennenden Fußballfan schlicht darum gehen, ein schönes Spiel zu sehen.

Umso zielbewusster dürfte Netanjahu hingegen in das Gespräch gehen, das er vor dem Spiel mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin führt. Dieses bildet den eigentlichen Zweck der Reise, und dass Netanjahus letzter Besuch in Moskau gerade einmal zwei Monate her ist, zeigt die Dringlichkeit seines Anliegens.

Syrien als militärisches "Sprungbrett" für Teheran?

Denn anders als im derzeit fußballseligen Moskau ist die Lage rund um Israel seit lange höchst angespannt. Und wenig spricht dafür, dass sich das in den kommenden Monaten ändern könnte, im Gegenteil: Die Gefahr eines Eskalation an der israelischen Nordgrenze, insbesondere an den Golanhöhen, könnte noch weiter zunehmen.

Eben diesen Umstand will Netanjahu in Moskau zur Sprache bringen. Der Premier macht sich große Sorgen um die wachsende militärische Präsenz des Iran auf syrischem Staatgebiet. Iran, schreibt der Politik-Analyst Amos Harel in der linksliberalen israelischen Zeitung "Haaretz", könnte seine Präsenz dort lediglich als "Sprungbrett" betrachten, um sich seinem Erzfeind Israel zu nähern - mit dem Ziel, den jüdischen Staat besser angreifen zu können.

Israelische Panzer auf den Golanhöhen
In Abwehrstellung: Israelische Panzer auf den annektierten GolanhöhenBild: Getty Images/AFP/J. Marey

Wie ernst man in Jerusalem diese Gefahr nimmt, zeigte sich in der Nacht zum Sonntag, als die israelische Luftwaffe die syrische Militärbasis "T 4" angriff - zum dritten Mal innerhalb dieses Jahres. Die Basis gilt als Stützpunkt der iranischen Armee. Von dort, so die israelische Sorge, könnte das Mullah-Regime seine Präsenz in Syrien weiter ausbauen. Zu dieser Strategie gehöre auch, dass Iran in Syrien eigene Waffenproduktionsanlagen erbaut. So könnte es sich den logistisch aufwendigen Waffennachschub auf dem Luftweg künftig sparen. Auch das will Israel verhindern - und zwar nicht nur militärisch, sondern auch durch Absprachen mit Moskau.

Israel: Iranische Präsenz in Syrien nicht hinnehmbar

In Moskau zeigt man sich - in Grenzen - entgegenkommend. Seit langem nimmt Russland die Angriffe des israelischen Militärs auf diejenigen syrischen Militärstützpunkte hin, in denen die israelischen Geheimdienste iranische Truppen oder Einheiten der aus Teheran unterstützten Hisbollah vermuten. Die radikal-schiitische libanesische Miliz hat ihr Arsenal in den letzten Jahren massiv aufgerüstet. Derzeit soll sie über ein Arsenal von rund 100.000 Raketen verfügen, die sie auf Israel feuern könnte.

Syrien Krieg | Kämpfe Grenze Syrien-Jordanien
Unter Beschuss: Daraa, eines der letzten Zentren der Anti-Assad-RebellenBild: Getty Images/AFP/M. Abazeed

Zuletzt war in russisch-israelischen Gesprächen die Idee einer Art Pufferzone an der syrisch-israelischen Grenze aufgekommen. Demnach sollten die iranischen Truppen nicht näher als bis auf 80 Kilometer an Israel herankommen. In Jerusalem habe man diese Idee inzwischen aber offenbar verworfen, so Amos Harel in "Haaretz". Denn der Vorschlag biete Israel keine hinreichende Sicherheit. "Die iranischen Waffen haben eine größere Reichweite als jene, über die Moskau sprechen will. Israel erklärt, dass es sich so lange bedroht fühlt, solange iranische Truppen überhaupt in Syrien präsent sind." Die israelischen Vorstellungen gingen darum über die bislang erörterten Zugeständnisse Moskaus weit hinaus: "Netanjahu stellt viel weitreichendere Forderungen - und gibt zugleich zu erkennen, dass er gewillt ist, sie durchzusetzen, trotz der beträchtlichen Risiken, die damit verbunden sind."

Moskaus Macht und Moskaus Ohnmacht

Offen ist, wie groß Russlands Einfluss auf die Situation in Syrien ist. Gewiss ist das Land die mächtigste Schutzmacht von Präsident Baschar al-Assad. Dieser verdankt Moskau sein politisches Überleben. Zuletzt beteiligte sich Russland auch an den Angriffen auf Stellungen der Anti-Assad-Rebellen in Daraa. Das lässt sich auch als Zeichen deuten, dass Moskau weiterhin gewillt ist, militärisch eine Hand über Assad und seine Regierung zu halten - eine Geste, die auch dazu dient, Assad weiterhin im russischen Arm und zugleich auf Distanz zum Iran zu halten.

Viel mehr könne Putin aber kaum tun, schreibt der Russland-Experte Maxim A. Suchkov im Internet-Magazin "Al Monitor". Russland bemühe sich zwar um einen Ausgleich zwischen Iran und Israel, doch seien dem Land weitestgehend die Hände gebunden. "Russland kann den Iran nicht aus Süd-Syrien zwingen. Dies kann nur über Gespräche mit Teheran geschehen, und zwar auf Grundlage einer freiwilligen Teilnahme Teherans. Zudem muss Russland klare Anreize schaffen - und indirekt auch Israel."

Israels diplomatisches Gewicht

Welche Anreize das sein könnten, lässt Suchkov offen. Klar ist aber, dass Israels Stimme in Washington aufmerksam gehört wird. US-Präsident Donald Trump hat zuletzt das internationale Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Seitdem muss der Iran ein schmerzhaftes Embargo hinnehmen. Diplomatisch und ökonomisch ist Teheran dadurch wieder weit zurückgeworfen worden. Der härteste Kritiker des Abkommens ist neben Trump Benjamin Netanjahu. Zöge der Iran sich aus Syrien zurück, dürfte er dafür einen hohen Preis fordern. Er könnte etwa auf eine Rücknahme der Sanktionen drängen. Ob Netanjahu dann gewillt wäre, diese Frage in Washington zu erörtern, ist offen.

Israelischer Premier Netanjahu in Moskau
Erhöhter Gesprächsbedarf: Der israelische Premier Netanjahu als Gast des russischen Präsidenten Putin in Moskau im Mai 2018Bild: picture-alliance/dpa/A. Zemlianichenko

Vorerst aber ist Netanjahu in Moskau, um dort auf einen Rückzug des Irans hinzuarbeiten. Dass ihm das in der gewünschten Form gelingt, ist wenig wahrscheinlich. Die politische Karte Syriens wird derzeit neu justiert, und mit ihr die des gesamten Nahen Ostens, mit Israel in dessen Zentrum.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika