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Rechtsextremismus auf dem Land

Kay-Alexander Scholz4. Dezember 2014

Sie nennen sich "völkische Siedler" und unterwandern dörfliche Strukturen. Neonazis auf dem Land engagieren sich im Sportverein und bei der Feuerwehr - und versuchen es verstärkt mit Propaganda über den Gartenzaun.

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Neonazi tätowiert von hinten (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Für Barbara Karsten und ihren Partner Knut Jahn waren es erst nur ein paar Neue, die im Haus nebenan eingezogen waren und die sich ziemlich bemühten, einen guten Eindruck zu machen. "Die haben uns Eier und Ziegenmilch vorbeigebracht", erinnert sich die 67-Jährige aus dem Dörfchen Wibbese in Niedersachsen. Aber bald wurde sie stutzig. "Der auftätowierte Reichsadler, ein Wehrmachts-Stahlhelm beim Motorradfahren - der ist nicht harmlos." Als sie und ihr Partner die anderen im Dorf warnen wollten, standen sie zunächst allein da. "Unsere Nachbarn waren als zupackende und hilfsbereite Mitbürger weithin akzeptiert und konnten ihre Herrenmenschen-Propaganda fast ungestört verbreiten", sagt Knut Jahn. Und dann zog noch eine "völkische Familie" zu.

Der Fall aus Wibbese ist einer von vielen. In acht der 16 Bundesländern gibt es laut einer vom Bundesinnenministerium geförderten Untersuchung der Amadeu-Antonio-Stiftung Niederlassungs-Projekte von "völkischen Siedlern". Das Thema ist noch recht neu für Extremismus-Forscher und Soziologen. Genaue Zahlen über die Mitgliederentwicklung der Siedler-Szene gibt es nicht. Bei einer entsprechenden Anfrage aus dem Bundestag musste der Verfassungsschutz passen. Allerdings stellt die Bundesregierung in der Drucksache 17/14635 fest, dass Rechtsextremismus generell eher ein Phänomen des ländlichen Raumes sei.

Knut Jahn und Barbara Karsten vor einer Deutschlandkarte (Foto: Heiner Kiesel)
Knut Jahn und Barbara Karsten aus dem Wendland haben braune Nachbarn bekommenBild: DW/H. Kiesel

Trendige Neonazis

"Da ist eine erschreckende Bewegung seit einigen Jahren zu beobachten", sagt die Autorin der Studie "Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum" Anne Schmidt. Extrem Rechte mit völkischer Ausrichtung würden sich gezielt in wenig bewohnten Gebieten ansiedeln, um fernab der Städte ungestört ihren Lebensentwurf zu leben und ihre Kinder in einer rückwärts gewandten Ideologie aufzuziehen. "Ihre Weltanschauung geht auf das rassistisch-antisemitische Denken der völkischen Bewegung vom Anfang des 20. Jahrhunderts zurück", beobachtet Schmidt. Darin gäbe es keinen Platz für Weltoffenheit und die Vielfalt von Lebensentwürfen. Aber die Siedler geben sich unpolitisch und harmlos. Darüber hinaus gebe es bei der ländlichen Rechten viele Anknüpfungspunkte zur Esoterik- und Öko-Bewegung sowie zum Tierschutz, stellt die Autorin fest. "Ihr Lifestyle liegt im Trend."

"Unser Nachbar hat es dann geschafft, das andere Haus neben uns zu kaufen, jetzt sind wir eingekreist und fürchten, dass da noch mehr kommen", berichtet Knut Jahn. "Wir wollen nicht, dass unsere Kinder und Enkel mit einem braunen Gespenst aufwachsen." Seit er und Barbara Karsten sich im Dorf gegen die Rechtsextremen positioniert haben, ist es mit den Freundschaftsgesten der Neuen vorbei. "Die versuchen uns mit Strafprozessen zu zermürben und Barbara haben sie bedroht." Schnell sahen sich die beiden an den Rand gedrängt und als "dumme Kuh" oder "Nestbeschmutzer" diffamiert.

Rassist am Feuerwehrschlauch

Die rechten Siedler in den Dörfern verdienen ihr Geld als Biobauern, Hebammen oder Kunsthandwerker und engagieren sich mit viel Energie im Sportverein und bei der Feuerwehr. Gerade auf dem Land, wo es darauf ankommt, dass jeder mitmacht, damit die Dorfgemeinschaft funktioniert, ist es einfach, sich auf diese Weise gut und fest zu integrieren. Danach kommt die Propaganda zwanglos über den Gartenzaun oder beim Bier auf dem Dorffest. "Was wollen Sie gegen ein Mitglied der Feuerwehr machen, dass bei jedem Einsatz mitmacht, keinem Dienst ausweicht, aber eben findet, dass man auf die Reinheit der deutschen Rasse achten soll?", fragt Ute Seckendorf, Leiterin der Initiative "Zusammenhalt durch Teilhabe". Sie rät dazu, aufmerksam zu bleiben und die Stimme zu erheben, wenn es zu rechtslastiger Agitation kommt. Ihre Initiative setzt sich dafür ein, in den ländlichen Regionen Demokratieberater zu schulen und Argumentationshilfen gegen die Nazi-Parolen zu geben. "Am besten ist es vielleicht, wenn in der Vereinssatzung drin steht, dass man für Vielfalt und Toleranz eintritt, dann kommen Rechtsextremen erst gar nicht", rät Seckendorf.

Frau im Porträt (Foto: Heiner Kiesel)
Ute Seckendorf leitet die Bundesinititative "Zusammenhalt durch Teilhabe"Bild: DW/H. Kiesel

Barbara Karsten und Knut Jahn haben einen eigenen Weg gefunden, gegen die völkischen Nachbarn Position zu beziehen. "Wir sind dabei, einen Infopunkt bei uns im Garten aufzubauen", erzählt Jahn. Dort solle Infomaterial über die extremistische Siedlungsbewegung ausliegen und ein interaktiver "Atlas der braunen Punkte", der Auskunft über deren Verbreitung gibt. "Der demokratische Weg ist, aufzuklären." Jahn hofft, dass er seinen Nachbarn damit ordentlich auf die Nerven geht und freut sich über einen ersten Erfolg: "Eine Familie von denen ist schon wieder weg!"