Musik für das Gute im Menschen
28. Oktober 2012Für eine ganze Generation von Hörern und Musikern war er die Alternative: Wer sich mit den radikalen Entwürfen der Nachkriegs-Avantgarde nicht anfreunden konnte, vertraute auf Hans Werner Henze. Seine Opern haben ihn in den 1950er und 60er Jahren beim konservativ-bildungsbürgerlichen Publikum beliebt gemacht, und selbst sein späteres politisches Engagement für deutsche Studenten und kubanische Bauern konnte ihm die Sympathien dieses Publikums nicht langfristig verderben.
Mensch und Musik
Er sei, so sagte Hans Werner Henze am Ende seines Lebens, schon immer besessen gewesen vom Wunsch, den "modernen Menschen mit dem wunderbaren Ausdrucksmittel Musik so vertraut zu machen wie es eben geht".
Um den kreativen, singenden oder ein Instrument spielenden Menschen kreiste Henzes Denken. Denn der Mensch, fand Henze, ist von Grund auf musikalisch: Wenn man ihn lässt und fördert, singt und spielt er für sein Leben gerne, allein und mit anderen. Und weil dieses Leben mit und in Musik ein besseres Leben ist, hat Hans Werner Henze den musikalischen Menschen nie aus den Augen verloren.
Freiheit in Bella Italia
Mit der Realität abseits von Musik hat sich Henze dagegen von jeher schwer getan. Am 1. Juli 1926 in Gütersloh geboren, erlebte er am Beispiel seines verhassten Vaters, eines strammen Nazis, was passiert, wenn die Menschlichkeit verloren geht. Nach dieser Erfahrung witterte Henze das Böse überall und suchte das Gute umso bedingungsloser.
Obwohl er bereits mit Anfang 20 als Komponist in Deutschland erste große Erfolge feiern konnte, floh er vorm miefigen Geist der Adenauer-Ära ins gelobte Land Italien. Hier erst konnte er wieder frei atmen - als Künstler und auch als Homosexueller. In seiner Autobiografie, die er als 70-Jähriger vorlegte, schilderte Henze den Tag, an dem er Deutschland hinter sich ließ, als den glücklichsten seines Lebens.
Und doch mutet es merkwürdig an, dass ausgerechnet Hans Werner Henze das Weite suchte - hatte doch die Gesellschaft, vor der er floh, gerade ihn eng ans Herz gedrückt. Mit "Boulevard Solitude", "König Hirsch" und "Der Prinz von Homburg" war er in den 1950er und 60er Jahren zum Star der neuen Opernszene geworden, umschwärmt von Intendanten, Sängern und Dirigenten.
Unbeliebt in der Avantgarde-Szene
Zwar war ihm flau im Magen, wenn ihn national gesinnte Musiker wie der Dirigent Karl Böhm als "unsere einzige Hoffnung" priesen und von Henze als "neuem Richard Strauss" schwärmten. Ihn traf aber gelegentlich auch die Wut einer konservativen Hörerschaft. Doch gemessen an dem tiefen Graben, der sich in der Nachkriegszeit zwischen Bürgertum und der radikalen Avantgarde um die Komponisten Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez aufgetan hatte, war solche Ablehnung eher mäßig. Wer der Musik in ihrem traditionellen Gewand, als Oper, Sinfonie oder Konzert, als Ausdruck der Seele und Ort der Emotion, wer solcher Musik noch eine Zukunft wünschte, der setzte eben auf Hans Werner Henze.
Der Komponist wird politisch
Henze blieb für den Rest seines Lebens in Italien. In Deutschland engagierte er sich erst wieder Ende der 1960er Jahre. Der bis dahin zurückgezogen arbeitende und unpolitische Komponist wurde zum enthusiastischen Mitstreiter der Studentenbewegung und zum bekennenden Sozialisten. Zum einzigen Mal in seinem Leben, so sagte er später, habe er sich zu etwas zugehörig gefühlt.
Der gemeinsame Kampf war von relativ kurzer Dauer, doch Henze lernte aus dem Erlebten und mischte sich von nun an ein: Er gründete Festivals wie den volksnahen "Cantiere" in Montepulciano in der italienischen Toskana, wo er den Traum von einer Verbrüderung von Kunst und Leben träumte, oder die Musiktheaterbiennale in München.
Henze dirigierte, organisierte, arbeitete mit Laien und Kindern, unterrichtete über zehn Jahre an der Kölner Musikhochschule, fand dabei viel Glück und Bestätigung, doch auch immer weniger Zeit zum Komponieren. Je älter er werde, so Henze, desto lauter werde ihn ihm eine Stimme des Protestes: "Du darfst keine Zeit mehr verzetteln. Du musst schreiben." Das hat er in den letzten Lebensjahren verstärkt getan, so weit seine Gesundheit das noch erlaubte: neue Musik geschrieben. Und dabei mit Stolz zurückgeschaut auf ein Werk, das aller Skepsis zum Trotz nach wie vor auf viele offene Ohren stößt.