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Monogamie ist nur eine Erfindung

29. Juni 2018

Das Leben in Monogamie ist schwer, finden manche. Seitensprünge kommen auch in den besten Beziehungen vor. Warum wir an der sexuellen Treue immer wieder scheitern - und warum sie trotzdem auch Sinn ergibt.

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Hand in Hand: Monogames Paar
Bild: picture-alliance/dpa/C. Klose

Es ist spät, der Promillegehalt ist hoch, die Frau ist schön. Flirten, knutschen, Sex. Eigentlich kein Problem, wäre Max nicht verheiratet. Seine Frau weiß nichts von den gelegentlichen Ausflügen, die ihr Mann in andere Betten unternimmt. Max bedeuten die anderen Frauen nichts, er lässt lediglich seinen Trieb zwischendurch von der Leine. "Ich weiß, dass es natürlich ist. Aber es ist eben auch falsch." 

"Menschen sind von Natur aus nicht monogam", sagt die Pädagogin, Paar- und Sexualtherapeutin Gertrud Wolf. Etwa ein Drittel ihrer Klienten säßen vor ihr, weil einer der Partner fremdgegangen ist. Und das, obwohl den meisten Paaren sexuelle Treue sehr wichtig sei. "Ich habe es häufig mit Leuten zu tun, die immer gesagt haben, dass sie nie fremdgehen würden und das auch ihrem Partner nicht verzeihen könnten. Und die sitzen dann ganz betröppelt vor mir, weil sie doch fremdgegangen sind." 

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Viele - vor allem junge Menschen - fragen sich, ob die Monogamie die einzig sinnvolle Beziehungsform ist. Während sie für die einen das einzig wahre Konzept für eine Beziehung darstellt, halten andere sie für überholt und prophezeien - wie der weltweit bekannte Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch - ihren baldigen Untergang. "Die Monogamie ist eine Kulturleistung des Menschen, eine Erfindung", sagt auch Gertrud Wolf. "Aber eine, die Sinn ergibt." 

Infografik Umfrage Monogamie Deutschland

Zwei Formen der Sexualität 

In ihrem wissenschaftlichen Buch "Konstruktion des Erwachsenen" beschreibt Wolf zwei Formen der Sexualität, die sich nicht selten in die Quere kommen. Die Urform der Sexualität sei ein bloßes Körperbedürfnis. Es gehe weder um Nähe oder Intimität, sondern darum, den Trieb zu befriedigen. Max kennt das. Rebecca auch. Die heute 30-Jährige erzählt, dass sie mit Anfang 20 viel experimentiert hat. Sie sei in Swingerclubs gegangen, habe viele spannende Erfahrungen gemacht und die Aufregung sehr genossen.

Demgegenüber steht der Sex, der Nähe schafft. "Sexualität als Kulturform" nennt Wolf das. Für Wolf spielt die Monogamie an dieser Stelle eine zentrale Rolle, weil sie die Bindung zwischen zwei Erwachsenen stärkt. "Wir können nicht beliebig in die Breite gehen, wenn wir in die Tiefe gehen wollen", so erklärt Wolf, weshalb sexuelle Treue innerhalb einer Partnerschaft durchaus Sinn ergibt - zumindest dann, wenn man sich eine tiefe, vertrauensvolle Beziehung wünscht.

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Oxytocin macht aus Sex mehr

Max ist immer betrunken, wenn er mit fremden Frauen ins Bett geht. Mehr als einmal schläft er auch nicht mit derselben, weil Intimität und Nähe tatsächlich das letzte sind, worauf er aus ist. Vielleicht versperrt er auf diese Weise dem Oxytocin den Weg, dem Bindungshormon, das beim Orgasmus ausgeschüttet wird. Es ist dasselbe Hormon, das auch Mütter während des Stillens ihres Kindes durchflutet und die Mutter-Kind-Bindung enorm stärkt. Sex, so triebgesteuert er zunächst motiviert war, birgt deshalb immer auch die Gefahr, dass wir doch mehr vom anderen wollen.

Menschen, die in einer monogamen Partnerschaft leben, versuchen dieser Gefahr Herr zu werden, indem sie sich Sex außerhalb der Beziehung ganz einfach verbieten. Auch Rebecca ist nach ihrer bewegten Vergangenheit in einer monogamen Beziehung angekommen. Ihren Freund beschreibt sie als eher konservativ, ihre Experimentierfreude teilt er nicht. "Ich vermisse es nicht, keine anderen Männer mehr haben zu können. Aber die Aufregung fehlt mir manchmal." 

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Rebecca hofft, dass sich ihr Freund irgendwann ebenfalls nach mehr Freiheit sehnt und sie wenigstens ihr gemeinsames Sexleben aus dem Schlafzimmer herausholen, das sich für Rebecca wie ein gemütlicher Käfig anfühlt. Doch was, wenn sich dieser Wunsch nicht erfüllt? Ein weiteres Drittel von Gertrud Wolfs Klienten kommen zu ihr, weil die sexuellen Bedürfnisse unvereinbar scheinen. Es ist gleichzeitig der Punkt, an dem die sexuellen Reize anderer auf fruchtbaren Boden fallen und der Seitensprung nicht mehr so abwegig erscheint.

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Monogamie ist kein Dogma

Wie diese Situation zu lösen ist, könne man nicht für alle Paare pauschal beantworten, sagt Wolf. Manchmal sei es durchaus sinnvoll, die Beziehung eine Zeit lang zu öffnen und die sexuelle Exklusivität aufzugeben. So wie Kathrin und ihr Freund. Sie haben beschlossen, dass Sex mit anderen nicht mehr verboten sein soll. Es ist ein Experiment, über dessen Risiken sich Kathrin bewusst ist. "Für mich bedeutet diese offene Beziehung nicht, dass ich machen kann, was ich will." Im Gegenteil. Weil es nun kein Verbot mehr gebe, das die Grenzen festlegt, müsse sie selbst die Verantwortung übernehmen und abwägen, was sie sich und ihrer Partnerschaft zumuten will.

Auch eine Affäre sei eine Öffnung der Beziehung, jedoch mit dem Unterschied, dass der andere nicht eingewilligt habe, sagt Wolf. "Ob Affäre oder offene Beziehung, all das kann zu Krisen in der Partnerschaft führen. Aber diese Krisen wiederum können dazu führen, dass sich die Partnerschaft weiterentwickelt." 

"Monogamie ist weder das einzig sinnvolle Beziehungskonzept, noch ist die Monogamie gescheitert", sagt Wolf. Welche Beziehungsform für ein Paar sinnvoll ist, könne sich immer wieder ändern und müsse sehr individuell entschieden werden. "Sexualität ist natürlich etwas sehr Persönliches", sagt Wolf. In einer Partnerschaft sei sie allerdings nichts Individuelles mehr, sondern werde zur Verhandlungssache.