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Politik

Seerecht und Kanonenbootpolitik

Kostas Simeonidis
28. August 2020

Der Streit um Gasvorkommen im Mittelmeer zwischen Griechenland und der Türkei hat sich gefährlich zugespitzt. Ein militärischer Konflikt ist nicht auszuschließen, meint der Politologe Lazaros Miliopoulos im DW-Gespräch.

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Türkisches Forschungsschiff "Oruc Reis" wird von türkischen Kriegsschiffen begleitet
Türkisches Forschungsschiff "Oruc Reis" wird von türkischen Kriegsschiffen begleitet Bild: picture-alliance/dpa/IHA

DW: In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder Spannungen zwischen den Erzrivalen Griechenland und der Türkei. Was ist diesmal so besonders? Wieso die aktuelle Zuspitzung?

Lazaros Miliopoulos: Der herkömmliche türkisch-griechische Konflikt um die gegenseitige Abgrenzung des Luftraums und der Hoheitsgewässer in der Ägäis wird gegenwärtig durch mehrere neue Faktoren verschärft: Erstens einem ökonomischen - es geht jetzt um konkret vorhandene Erdgasvorkommen im Mittelmeer und die Frage der konkreten Erschließung und Ausbeutung dieser Vorkommen. Damit hängt der zweite Faktor zusammen: Ein inzwischen relativ scharf umrissener geopolitischer Konflikt unter Beteiligung mehrerer Groß- und Regionalmächte, die Einflusszonen im Mittelmeer abstecken. Konkret sind hier erst mal Mittelmeeranrainer involviert, also neben Griechenland und der Türkei vor allem Frankreich, Italien, Ägypten, Israel und das geteilte Libyen, aber auch Mächte wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. In diesem Kontext kam es zu einem türkisch-libyschen Memorandum, in dem die Infragestellung der gewohnheitsrechtlich anerkannten Seegebiete der griechischen Inseln internationalisiert wurde, worauf Athen mit einem ägyptisch-griechischen Abkommen reagierte.

Die Türkei ist zudem geopolitisch selbständiger geworden. Ankara hält gegenwärtig ja nicht nur halb Zypern de facto besetzt, sondern führt inzwischen militärische Interventionen in Nordsyrien, Libyen und Nordirak durch. Zu allem Überfluss wird das Ganze noch durch migrationspolitische Erpressungen, ideologische Momente und eine ziemlich aggressive Sprache der Regierung Erdogan weiter verkompliziert. Die AKP-Regierung steht inzwischen für eine ziemlich giftige Melange aus "Neo-Ottomanismus", Autoritarismus, Islamismus, Antikemalismus, Populismus, Militarismus, Nationalismus und Antizionismus. Und schließlich bieten die türkisch-russischen Beziehungen in ihrer jetzigen Phase trotz ihrer Kompliziertheit Russland gegenwärtig viele Einwirkungsmöglichkeiten, was die Möglichkeiten der EU noch weiter erschwert. Der alte türkisch-griechische Konflikt ist heute "internationaler", "ideologischer" und geopolitisch bedeutsamer geworden.

Glauben Sie ernsthaft, dass es zu einem militärischen Konflikt zwischen beiden NATO-Mitgliedern kommen könnte?

Lazaros Miliopoulos
Lazaros Miliopoulos, Politologe, Universität BonnBild: Privat

Dies hängt vor allem von der türkischen Regierung ab. Trotz aller Drohgebärden, rhetorischen Aggressionen und ihrer heftigen Kanonenbootpolitik vermute ich, dass die AKP-Regierung dies am Ende aus wohlverstandenem Interesse von sich aus nicht ernsthaft anstrebt. Griechenland seinerseits ist militärisch durchaus gerüstet und bereit. Und es ist nicht auszuschließen, dass durch einen größeren Fehler oder Unfall – einer Schiffskollision, einem Abschuss oder Schusswechsel auf hoher See – eine Kettenreaktion entsteht, die dann in einen militärischen Konflikt mündet. Das geht dann ziemlich schnell und kann nur mühsam wieder eingefangen werden. Allerdings wären dann nicht nur Griechenland und die Türkei involviert. Und ich kann mir schwer vorstellen, dass dies im Interesse auch nur eines beteiligten internationalen Akteurs sein könnte, nicht einmal im Interesse Russlands, von dem man vielleicht behaupten könnte, dass es von der jetzigen Lage profitiert.

Deutschland - ein neutraler Vermittler?

Deutschland versucht derzeit zu vermitteln. Kann Berlin tatsächlich ein neutraler Vermittler sein?

Einerseits ist Deutschland nicht direkt an der Einflusszonenpolitik im Mittelmeer beteiligt. Deutschland ist aber auch aus mehreren innen- wie außenpolitischen Gründen nicht einfach Unbeteiligter und auch nicht völlig unabhängig. So trägt Deutschland selbst gleich mehrere, zum Teil ernsthafte Konflikte mit der Türkei aus. Die türkische Regierung hat Deutschland in letzter Zeit mehrmals provoziert, erpresst oder gedroht. Zugleich – und das ist fast schon paradox – exportiert Deutschland weiterhin im großen Stil Rüstungsmaterial in die Türkei. Berlin könnte versucht sein, eigene nationale Interessen, Beispiel Migrationspolitik, in die Verhandlungsmasse einfließen zu lassen, wenn die Türkei versuchen sollte, hier Druck auszuüben. Das ginge von vornherein zu Lasten Griechenlands. In Griechenland führt das in weiten Teilen der Öffentlichkeit zu einer durchaus nachvollziehbaren Skepsis, wenn es um Deutschland als vermeintlich geeigneten Mittler geht, zumal das deutsch-griechische Verhältnis ja aufgrund von immer wieder ventilierten Reparationsforderungen aus Athen auch nicht gänzlich unbelastet ist. Andererseits ist Deutschland als EU-Mitglied auf Seiten Griechenlands, die territoriale Integrität der EU sowie die Stärkung des internationalen Rechts sind absolut im nationalen Interesse Deutschlands. So richtig unparteiisch scheint das also alles nicht, sondern eher verstrickt und sehr, sehr kompliziert.

Sollte Berlin eine aktivere Rolle spielen und sich offener für die Interessen des EU-Partners Griechenland einsetzen, so wie es derzeit der französische Präsident Macron versucht?

Solange von türkischer Seite aktiv Erschließungen im umstrittenen Gebiet wie bisher vorgenommen oder gar, wie angekündigt, Militärmanöver dort durchgeführt werden, kurzum das internationale Seerecht mit Kanonenbooten rabiat missachtet wird, wäre das wirklich wünschenswert und auch in der Sache hilfreich. Das heißt natürlich nicht, dass Deutschland wie Frankreich Schiffe oder Flugzeuge schicken oder wie Italien, Frankreich und Zypern an gemeinsamen Luftseemanövern teilnehmen sollte. Jedoch könnte Berlin die klare französische, aber auch italienische und österreichische Haltung diplomatisch wie ökonomisch viel stärker und deutlicher als bisher abstützen. Das macht Berlin aber gegenwärtig nicht, weil Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas zunächst vermitteln wollen, auch, weil sie das kürzlich geschlossene Abkommen zwischen Griechenland und Ägypten, oder zumindest den Zeitpunkt, für einen Fehler zu halten scheinen und Merkel in den Libyenverhandlungen Griechenland weniger Gewicht zugemessen hat als dies Athen für sich selbst beansprucht.

Abkommen zur Aufteilung der Wirtschaftszonen im Mittelmeer
Überschneidung der aufgeteilten Wirtschaftszonen im Mittelmeer

Sanktionen oder Verhandlungen

Was wäre ein realistisches Szenario für den Ausgang des von Deutschland angestrebten Dialogs zwischen beiden Seiten?

Ob diese ganze Berliner Vermittlungsstrategie am Ende fruchtet, bleibt abzuwarten. Falls nicht, könnte Deutschland auf dem EU-Außenministertreffen am Freitag in Berlin in eine härtere Haltung einschwenken. Forderungen nach Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der EU und weiteren Sanktionen gegen die ökonomisch angeschlagene Türkei, im Extrem bis hin zur Aussetzung der (ohnehin nur teilweisen) Zollunion oder gar Embargomaßnahmen, wären dann nicht mehr so einfach vom Tisch zu wischen.

Falls die Bemühungen Berlins jedoch fruchten, könnte das Szenario so aussehen: Die türkische Regierung stellt ihre martialischen Bohrungen ein, im Gegenzug wird die Beteiligung der Türkei an den Erschließungen im Mittelmeer zum Gegenstand bilateraler oder gar multilateraler Verhandlungen, und zwar auf eine Weise, dass sich die Türkei ernst genommen fühlt und vielleicht sogar Griechenland mit der Türkei auf eine Art kooperiert, so dass sich die beiden Länder die Vorkommen unter Beteiligung türkischer Unternehmen nach einem Schlüssel irgendwie ökonomisch aufteilen. Die prestigeträchtigen Hoheitsfragen zwischen der Türkei und Griechenland, vor allem der Aspekt, ob und unter welchen Bedingungen diese Fragen am Verhandlungstisch oder vor internationalen Gerichtshöfen nach internationalem Seerecht geklärt werden, könnten am Ende vom Prozess der Erdgaserschließungen, wenn nicht anders möglich, separiert werden.

Dr. Lazaros Miliopoulos ist Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Universität Bonn