Mit den Arbeitsplätzen kam der Tod
Das ILVA-Stahlwerk in Tarent sollte die strukturschwache Region in Süditalien beleben. Doch es verpestete jahrzehntelang die Umwelt, viele Menschen starben. Bringt ein 2017 begonnener Prozess späte Gerechtigkeit?
Das Stahlwerk am Rande der Stadt
Die Einwohner der Stadt Tarent im süditalienischen Apulien lebten früher vor allem vom Fischfang. Das änderte sich ab 1965, als ILVA eröffnet wurde, eines der größten Stahlwerke Europas. Es macht heute 70 Prozent der Wirtschaftsleistung Tarents aus und beschäftigt 14.000 Arbeiter. Doch das Stahlwerk brachte nicht nur Jobs, sondern auch Umweltverschmutzung und Tod.
"Stahl oder Leben"...
... so ein Graffito in Tarent. Durch Dioxine und andere Schadstoffen aus dem Stahlwerk erkranken die Bewohner überdurchschnittlich häufig an Krebs - die ILVA-Beschäftigten sogar zehnmal häufiger als im nationalen Durchschnitt. 400 Menschen sollen an den Folgen der Umweltverschmutzung bisher gestorben sein.
Schäfer ohne Herde
Direkt neben dem Stahlwerk liegen die Ländereien von Vincenzo Fornaro. Früher hatte er 600 Schafe und stellte Käse her, wie schon sein Vater und Großvater. Doch weil der Boden inzwischen verseucht ist, musste er seine Herde töten lassen. Im Umkreis von 20 Kilometern um das Werk dürfen heute keine Tiere mehr weiden. Fornaros Mutter ist an Krebs gestorben, er selbst hat nur noch eine Niere.
Anklage: Verkaufte Umwelt
Vincenzo Fornaro gehört zu den Klägern im Prozess gegen die ehemaligen Eigner des Stahlwerks, der im Mai 2017 begonnen hat. Ihnen wird vorgeworfen, Umweltstandards systematisch umgangen zu haben. Auch einige Spitzenpolitiker, darunter der Präsident der Region Apulien, sitzen auf der Anklagebank.
Ungesunde Nachbarschaft
Ebenfalls in unmittelbarer Nähe des Stahlwerks liegt das Wohnviertel Paolo VI. Die Wohnungen galten einst als modern, viele Menschen aus der Altstadt sind hierhin gezogen. Auf dem Gelände des Stahlwerks lagert auch Giftmüll und Eisenstaub. An Tagen mit starkem Wind sollen die Bürger Tarents zu Hause bleiben; Schulen bleiben geschlossen.
Das Stahlwerk...
... ist zwar der größte, aber nicht der einzige Umweltverschmutzer in der Region. Am Golf von Tarent liegen auch eine Raffinerie des Energiekonzerns ENI und ein großer Stützpunkt der italienischen Kriegsmarine. Das erschwert eindeutige Schuldnachweise bei Umweltschäden.
In der Altstadt von Tarent...
... sind viele Häuser marode und einsturzgefährdet. Trotz Stahlwerk ist die Stadt strukturschwach, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die wenigen, die in der Altstadt geblieben sind, leben meist von der Fischerei oder der Miesmuschelzucht.
Miesmuscheln...
... werden in Tarent seit Jahrhunderten gezüchtet. Die "cozze alla tarantina" sind das kulinarische Aushängeschild der Stadt. Doch die traditionsreiche Branche steckt in der Krise, seitdem bekannt wurde, dass auch die Muscheln mit Dioxin verseucht sind.
Mit dem Segen der Kirche
Die Industrialisierung war anfangs ein Hoffnungsträger in Tarent. Auf diesem Gemälde in der Kirche Gesù Divin Lavoratore im Stadtviertel Tamburi segnet Jesus die Schornsteine des Stahlwerks und die Arbeiter. Auch der Klerus profitierte vom Stahlwerk. Die Eignerfamilie soll unter anderem die Renovierung der Kirche finanziert haben.
Unsichere Zukunft
Wegen Umweltverstößen wurde das ILVA-Stahlwerk zunächst unter staatliche Verwaltung gestellt und dann Mitte 2017 für 1,8 Milliarden Euro an ein Konsortium unter Führung des weltgrößten Stahlkonzerns Arcelor Mittal verkauft. Die neuen Eigner wollen 4000 Stellen streichen. Für Umweltvergehen wurde ihnen Straffreiheit zugesichert - auch für die Zukunft. Kritiker halten das für verfassungswidrig.