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Politik

Mission Impossible in Moskau

Barbara Wesel
4. Februar 2021

EU-Chefdiplomat Josep Borrell reist an diesem Donnerstag nach Moskau, um über die beiderseitigen Beziehungen zu sprechen. Die befinden sich nach dem Nawalny-Urteil auf einem neuen Tiefpunkt.

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Belgien Brüssel Josep Borrell EU
Bild: Mario Salerno/DW

Die europäische Politik ließ es nach dem Urteil gegen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny an scharfer Kritik nicht fehlen: Die Bundesregierung erklärte, es sei "weit entfernt von den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit", der österreichische Kanzler Sebastian Kurz nannte die Verurteilung "inakzeptabel", baltische Staaten wollen neue Sanktionen - und alle fordern die Freilassung des russischen Oppositionspolitikers. Das ist die politische Grundstimmung, in der EU-Chefdiplomat Josep Borrell (Artikelbild) jetzt nach Moskau fährt.

Leere Hände

Die Reise war geplant, bevor das Urteil gegen Nawalny spruchreif wurde. Tatsächlich fehlt Josep Borrell jetzt aber ein großer Stock, um dem abgebrühten Politprofi Sergej Lawrow zu zeigen, dass nach den jüngsten Aktionen seiner Regierung Konsequenzen drohen. Der russische Außenminister wiederum wischt die Aufregung des Westens kühl vom Tisch, nennt die "Hysterie" um das Nawalny-Urteil übertrieben und beklagt eine "einseitige Berichterstattung" der westlichen Medien.

"Es ist ein sehr unguter Zeitpunkt", klagt Gustav Gressl vom Council on Foreign Relations in Berlin. Einige EU-Mitgliedsländer - darunter Deutschland, Frankreich und Italien - hätten Borrell genötigt, nach Moskau zu fahren, um eine neue "ausgewählte Zusammenarbeit" auszuloten. "Das Gezeter geht schon lange, wir hätten nicht genug Dialog mit Russland", dabei fehle es vor allem an Qualität: "Man verbessert doch nichts, wenn man mit leeren Händen nach Moskau fährt." Ohne starke Botschaft im Gepäck sei diese Reise eine "Mission Impossible".

Dabei gäbe es jede Menge Möglichkeiten: Man müsste die russischen Spione besser beschatten, sie öfter ausweisen oder verhaften, die politischen Morde wie im Berliner Tiergarten abstellen und insgesamt den Netzwerken von Präsident Wladimir Putin in Europa das Leben schwer machen. Nur dann würde die Regierung in Moskau die Europäer ernst nehmen.

Auf der Liste stehen auch Scheinfirmen mit Spionageauftrag, gewisse russische Immobilienkäufe und Geldwäsche sowie einige Banken - dreht man ihnen den Hahn zu, dann würde Lawrow bei der EU auf der Matte stehen. Aber Gressl hält die Chancen für gering: Ein paar große Mitgliedsstaaten müssten richtig Druck machen, sonst drohten solche Maßnahmen an der Einstimmigkeit und am Veto von Zypern oder Ungarn zu scheitern. 

Portraitfoto: Wladimir Wladimirowitsch Putin
Wladmir Putin (r.) und sein Außenminister Sergej LawrowBild: picture-alliance/dpa/A. Zemlianichenko

Maximaler Druck

Sergey Ladodinsky, Europa-Parlamentarier der Grünen, denkt in eine ähnliche Richtung: "Wir müssen wirklich über die Vermögenswerte nachdenken, die bei uns liegen", denn die EU müsse sicherstellen, dass sie nicht "Menschenrechtsverbrechen mitfinanziert".

Der Grünen-Politiker fordert vor allem, dass Chefdiplomat Borrell nicht mit einer positiven Agenda zur "ausgewählten Zusammenarbeit" nach Moskau fährt. Er müsse stattdessen Klartext reden und den Russen sagen, was durch ihr Abrutschen in den "endgültigen Unrechtsstaat" auf dem Spiel steht. Außerdem sollte er ein Treffen mit Nawalny verlangen, und wenn das fehlschlägt, wenigstens durch ein demonstratives Treffen mit Oppositionsvertretern ein Zeichen setzen. 

Die jüngste Bereitschaft der EU zur Kooperation mit Russland bei der Produktion des Sputnik-Impfstoffs sieht Lagodinsky kritisch. "Wir werden hoffentlich nicht unsere Sympathie mit der Opposition gegen Impfstoff austauschen." Auch er glaubt, dass vor allem Deutschland und Frankreich für härtere Töne gegenüber Russland sorgen müssten.  

"Maximalen Druck" aus Deutschland und Europa fordert auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick. Es müsse klar gemacht werden, "dass für dieses Benehmen ein Preis zu zahlen ist". Der Politiker nennt das Einfrieren von Vermögenswerten und Reisesperren als zusätzliche Sanktionen. "Alles muss auf den Tisch", so Nick, auch der 30 Milliarden Dollar schwere Ankauf von Rohöl durch die USA oder die Gasimporte nach Mittel- und Osteuropa. "Wenn wir darüber reden, alle Öl- und Gasimporte aus Russland in den Westen einzufrieren, kommen wir wahrscheinlich zu einer ernsthaften Diskussion."

Sonderbare Weise

"Nach dem Nawalny-Urteil ist der politische Raum für eine ausgewählte Zusammenarbeit mit Russland noch weiter geschrumpft", räumt auch Nathalie Tocci ein, Außenpolitik-Expertin und Beraterin von Josep Borrell. Zu dieser Agenda aber gehöre der Plan eines stärkeren Engagements der EU mit der russischen Zivilgesellschaft - und diesen Aspekt müsse man jetzt verfolgen.

Dabei gehe es nicht nur um Unterstützung der Nawalny-Anhänger, sondern der gesamten Opposition. Angesichts der neuen Ausrichtung der neuen US-Administration, die Demokratie und Menschenrechte wieder in den Vordergrund stelle, dürfe die EU sich nicht auf dem falschen Fuß erwischen lassen, sondern aktiv werden. Und darin sieht Tocci derzeit den Nutzen des Borrell-Besuchs in Moskau.

Russland | Proteste Opposition | Nawalny Anhänger | Moskau
Festnahme von Nawalny-Anhängern in MoskauBild: Vasily Maximov/AFP/Getty Images

Ein weiterer Sanktionskatalog ist dagegen schlichtweg noch nicht fertig - die Außenminister werden das Thema Ende Februar zum ersten Mal diskutieren, das nächste Treffen der EU-Regierungschefs ist für Ende März geplant.

Mittelfristig aber ist Nathalie Tocci durchaus optimistisch, dass die Gemeinsamkeit in der EU gegenüber Russland wächst: "Auf eine sonderbare Weise hat Putins Benehmen einigend auf die Europäische Union gewirkt. Vor vier, fünf Jahren haben manche Länder noch über eine strategische Partnerschaft mit Russand gesprochen, diese Diskussion ist jetzt völlig aus dem Fenster."

Dagegen wachse die Unterstützung für eine schärfere Gangart: "Glaube ich, dass Putin deshalb sein Benehmen ändert oder echter Wandel in Russland ausgelöst wird? Die ehrliche Antwort heißt wohl: Nein. Aber sollten wir deshalb nicht handeln? Ich glaube, wir sollten das Richtige tun, egal welche unmittelbare Wirkung davon ausgeht."

 

Alle Interviews wurden exklusiv mit der DW geführt.