Tödlicher Profit
22. März 2012Aktien der Deutschen Bank hatte Branislav Kapetanović eigentlich keine. Trotzdem war er dabei, als das größte deutsche Finanzinstitut am 26. Mai vergangenen Jahres seine Hauptversammlung abhielt. Viele Jahre hat der 46-jährige Serbe als ausgebildeter Minenräumer gearbeitet, um Streubomben des Typs BLU 97 zu entschärfen - und hat dabei Arme und Beine verloren. Auf Einladung des Dachverbands der Kritischen Aktionäre kam Kapetanović in seinem Rohlstuhl aufs Podium der Frankfurter Festhalle. Er berichtete den Aktionären von jenen Verstümmelungen, die er durch die Explosion der Waffe erlitten hat, die er eigentlich unschädlich machen wollte. "Ich bin froh, dass ich heute hier zu Ihnen sprechen darf, denn die Deutsche Bank ist ein wichtiger Finanzierer von Streumunition weltweit", schockierte das Streubomben-Opfer seine Zuhörer. Dennoch bekam er Applaus, sehr lange sogar.
Selbstverpflichtung deutscher Banken
Seit am 1. August 2010 die in Oslo unterzeichnete Streubomben-Konvention in Kraft getreten ist, haben sich 68 Vertragsstaaten verpflichtet, Streumunition und Antipersonenminen zu ächten - darunter auch Deutschland, der Stammsitz der Bank. Weitere 44 Nationen bekennen sich zum Geist des Abkommens, haben es aber noch nicht rechtlich verankert. Nach Schätzungen der Organisation Handicap International hat Streumunition weltweit bis heute 100.000 Menschen getötet, fast alle davon waren Zivilisten. Noch jahrzehntelang liegen die vielen hundert von der Bombe freigesetzten Sprengkörper herum. Darunter viele Blindgänger, die selbst bei geringster Berührung explodieren. So wie es bei Branislav Kapetanović eine Streumbombe aus dem Jugoslawienkrieg 1999 war. "Die Streubombe, die mich verwundet hat, wurde von der Firma Alliant Techsystems hergestellt", sagt Kapetanović leise. Und etwas lauter: "Diese Firma gehört zu den Kunden der Deutschen Bank."
Auftragsrecherchen der finanzmarktkritischen Umweltlobbygruppe "Urgewald" und der EU-finanzierten Kampagne "Facing Finance" hatten zuvor aufgedeckt, dass deutsche Banken noch zu Beginn des Jahres 2011 Aktienbeteiligungen, Anleihen und Kredite von Streumunitions-Herstellern im Wert von rund 1,3 Milliarden Euro hielten. "Facing Finance" will nach eigenen Angaben Investoren sensibilisieren, nicht in Unternehmen zu investieren, die an Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung und Korruption beteiligt sind.
So auch im Fall der Streumunition, wo deutsche Finanzinstitute über Fonds und Beteiligungen das Geld privater Sparer noch immer direkt oder indirekt in Streumunitions-Hersteller anlegen. 2010 wurde aufgedeckt, dass bei einigen Instituten sogar staatlich-geförderte Rentensparpläne, die sogenannte Riester-Rente, voll waren mit Papieren von Herstellern dieser völkerrechtswidrigen Waffen. Darunter nach Recherchen der Kampagne die Militärkonzerne General Dynamics, Lockheed Martin, Alliant Techsystems, Textron, L-3 Communications oder Raytheon.
Besonders viele Aktien sowie direkte und indirekte Kreditvergaben an Streumunitionshersteller deckten die Recherchen in den Büchern der Deutschen Bank Group auf. Auf der Hauptversammlung im Mai vergangenen Jahres versprach ihr Vorstandschef Josef Ackermann Besserung. Sechs Monate später verkündete das Unternehmensmanagement am 9. November 2011, die Deutsche Bank Group werde in Zukunft sämtliche Geschäftsbeziehungen zu solchen Herstellern kappen. Noch am 2. Februar 2012 wiederholte Ackermann gegenüber der ARD-Nachrichtensendung "Tagesschau": "Die Deutsche Bank ist zum Beispiel aus der Finanzierung von Streubombenherstellern ausgestiegen."
Ausstiegslüge der Deutschen Bank?
Womöglich eine Ausstiegslüge, zu diesem Schluss kommt zumindest eine am Mittwoch (21.03.2012) in Berlin veröffentliche Nachfolge-Studie durch die Kampagne "Facing Finance". Nach Recherchen des Netzwerks addieren sich die laufenden Geschäftsbeziehungen deutscher Finanzinstitute mit Streumunitionsherstellern sogar auf rund 1,6 Milliarden Euro auf - mehr als noch ein Jahr zuvor. Das erstaunt, da laut Studie einige deutsche Finanzdienstleister durch nachprüfbare Selbstverpflichtungen ihre Investments reduziert hätten.
Mögliche Gründe sieht Barbara Happe von der Umwelt-Lobbygruppe "Urgewald" im weiter anhaltend hohen Engagement der Deutschen Bank Group. Fast 90 Prozent der aktuellen Geschäftsbeziehungen zu Streumunitions-Herstellern ließen sich mit dem deutschen Branchen-Primus Deutsche Bank Group in Verbindung bringen, zitiert Happe aus den Recherche-Ergebnissen: "Diese Zahlen sind ein absolutes Armutszeugnis für die Deutsche Bank und belegen, dass die eigene Selbstverpflichtung nicht das Papier wert ist, auf dem es steht", sagt sie. Als Beleg dafür sehen die finanzmarktkritischen Aktivisten von "Facing Finance" jenen Tag nach Josef Ackermanns Fernsehinterview an, an dem die Deutsche Bank Group dem amerikanischen Rüstungskonzern L-3 Communications einen Kredit zugesagt hat. "Die Deutsche Bank hat ihr Versprechen gebrochen", sagt "Facing Finance"-Mitglied Thomas Küchenmeister.
Auf Anfrage der Deutschen Welle bekräftigte ein Sprecher der Deutschen Bank dagegen, das Geldinstitut nehme seine Verantwortung in vollem Umfang wahr und stehe auch weiterhin zu seinen öffentlich eingegangenen Versprechen.
Streumunitions-Herstellern den Geldhahn abdrehen
Für die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Verteidigungsausschuss, ist es höchste Zeit für ein gesetzlich verankertes Verbot von Investitionen in Antipersonenminen und Streumunition. Das ergebe sich aus der internationalen Streubomben-Konvention: "Die Konvention, die Einsatz, Lagerung, Herstellung, Entwicklung und Handel von Antipersonenminen und Streumunition verbietet, beinhaltet natürlich eigentlich folgerichtig auch, dass in solche Waffen dann nicht mehr investiert werden darf", so Brugger.
Zwar habe öffentlicher Druck im vergangenen Jahr dazu geführt, dass wichtige deutsche Finanzdienstleister ihren Selbstverpflichtungserklärungen auch Taten hätten folgen lassen, darunter nach "Facing Finance"-Recherchen die Commerzbank, UnicreditGroup/Hypovereinsbank und zahlreiche Landesbanken. Doch das Erreichte sei bei Weitem nicht genug, sagt Brugger: "Bei Stichproben stellen wir fest, es ist immer noch ein nur einstelliger Prozentbetrag von Finanzinstituten, die sich selbst verpflichtet haben." Am Donnerstag (22.03.2012) konkretisierten die Oppositionsparteien um Sozialdemokraten, Linke und Grüne deshalb ihre Pläne, indem sie dem Deutschen Bundestag einen Antrag für ein gesetzlich-geregeltes Investitionsverbot vorlegten. Sie wollen dadurch mehr Transparenz für die Bürger erzwingen - und vor allem Sanktionsinstrumente gegenüber nicht kooperationswilligen Finanzhäusern schaffen.
Besonders im Fokus stehen Rüstungs-Mischkonzerne. Sie sollen laut Antragsentwurf aus der öffentlichen Auftragsvergabe gänzlich ausgeschlossen werden können, sofern auch nur in geringen Teilen Antipersonenminen oder Streumunition in ihrer Produktpalette zu finden sind. "Wir wollen verhindern, dass Streumunition weiter produziert wird, gerade von solchen Mischkonzernen", sagt die Linken-Abgeordnete Inge Höger: "Es sind nämlich die Mischkonzerne, die Streumunition herstellen."
Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr gefährdet?
Zu gesetzlichen Regeln wird es derzeit aber nicht kommen, denn die bürgerlichen Regierungsparteien tragen die Maßnahmen nicht mit. Christoph Schnurr, FDP-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Verteidigungsausschuss, hält nichts von pauschalen Investitionsverboten. Zu ungenau könnten diese nur ausgestaltet werden. "Reden wir nur über Firmen, die Streumunition herstellen? Reden wir über Firmen die Bauteile oder vielleicht auch Know-how und Technologie für Streumunition liefern?" fragt Schnurr. "Wo ziehen wir da die Grenze?"
Christoph Schnurr sieht sogar Gefahren: "Das würde bedeuten, dass wir auch viele Rüstungs- und Beschaffungsprojekte, die wir zum Beispiel für den Afghanistan-Einsatz benötigen, bei großen Firmen nicht mehr tätigen könnten." Zudem habe sich gerade im vergangenen Jahr durch den Ausstieg vieler Finanzinstitute bestätigt, dass das Instrument freiwilliger Selbstverpflichtungen wirke. Neue Gesetze brauche es daher nicht.
Eine Haltung, die selbst in weiten Teilen des großen Koalitionspartners der Konservativen CDU/CSU-Fraktion mit Kopfschütteln quittiert wird. Auch dort ist der Wille zu mehr Finanzregulierung groß, doch die Angst vor neuem Koalitionskrach in der schwarz-gelben Regierungskoalition überwiegt. Zu erwarten ist derzeit vom Bundestag also wenig.
Streubomben-Opfer Branislav Kapetanović macht das traurig, vor allem wenn er zurückdenkt an seinen Auftritt in Frankfurt vor gut einem Jahr. Trotz schwerster Verstümmelungen macht Kapetanović aber auch in Deutschland mit seiner Aufklärungsarbeit weiter - mal vor einem Bundestagsausschuss, mal bei Podiumsdiskussionen gegen Streubomben. Mit Nachdruck sagt er: "So schnell gebe ich nicht auf."