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Merkel räumt Fehler in Flüchtlingspolitik ein

19. September 2016

Wenn sie könnte, würde sie die Zeit zurückdrehen, betonte die Kanzlerin bei der Analyse des bitteren CDU-Wahlergebnisses in Berlin. Und das bezog sie sogar auf ihren umstrittenen Satz "Wir schaffen das".

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Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin bei der Wahl-Analyse (Foto: picture-alliance/dpa/M. Kappeler)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die deutlichen Einbußen ihrer Partei bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin als "sehr bitter" bezeichnet und eine Mitverantwortung übernommen. Wie in Mecklenburg-Vorpommern habe es landespolitische Gründe gegeben, "aber nicht nur", sagte Merkel nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin.

Eine Ursache für das schlechte Abschneiden sei, dass Richtung und Ziel der Flüchtlingspolitik nicht ausreichend erklärt worden seien. Auch sei der Flüchtlingszuzug nach Deutschland im vergangnen Jahr vorübergehend außer Kontrolle geraten, so die Kanzlerin weiter. Wenn sie könnte, würde sie die Zeit zurückdrehen, damit Deutschland besser auf die Entwicklungen vorbereitet gewesen wäre. Sie werde dafür kämpfen, dass eine solche Krise nicht mehr passieren könne. Die Kanzlerin wörtlich: "Die Wiederholung der Situation will niemand, auch ich nicht."

Wahlergebnis mit Ansage

"Wir müssen uns also jetzt gleichsam selbst übertreffen. Auch ich"

Deutschland sei nicht gerade Weltmeister bei der Integration gewesen, erklärte die CDU-Vorsitzende. Zudem habe man zu lange gewartet, bis man sich der Flüchtlingsfrage wirklich gestellt habe. "Wir müssen uns also jetzt gleichsam selbst übertreffen. Auch ich." Auch sie habe sich lange auf das Dublin-Verfahren verlassen, "das uns Deutschen einfach gesprochen das Problem abgenommen hat. Das war nicht gut."

Die Kanzlerin ging auch auf ihren vieldiskutierten Satz "Wir schaffen das" ein. Diesen wolle sie künftig nicht mehr so häufig verwenden. Viel sei in den eigentlich alltagssprachlichen Satz hineininterpretiert worden, sagte Merkel nach Sitzungen der CDU-Führungsgremien zur Aufarbeitung der Wahldesaster ihrer Partei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. "Soviel, dass ich ihn inzwischen am liebsten kaum noch wiederholen mag", weil er "zu einem schlichten Motto, beinahe (zu) einer Leerformel geworden" sei.

Manch einer fühle sich von dem kurzen Satz provoziert, obwohl er so nie gemeint gewesen sei. Sie habe den Satz auch "übertrieben oft" wiederholt, gestand Merkel ein. Der Satz "Wir schaffen das" sei jedoch als "Ausdruck von Haltung und Ziel" gemeint gewesen.

Und wie zum Beweis lehnte die Bundeskanzlerin die von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen im Jahr weiter ab. Es gelte, die Zahl zu reduzieren, "aber nicht durch eine statische Zahl". Deshalb müsse mit der CSU "an dieser Stelle weiter gearbeitet werden". Merkel betonte mit Blick auf Sicherheitspakete, Integration und Abschiebungen, dass CDU und CSUI sehr viele Dinge einten.

CSU: "Der zweite massive Weckruf in zwei Wochen"

Ob das die Christsozialen ebenso freundlich sehen?. Das historisch schlechte CDU-Ergebnis in Berlin hat für die bayerische Schwesterpartei jedenfalls einen glasklaren Grund: Den Kurs in der Flüchtlingspolitik. "Das ist der zweite massive Weckruf in zwei Wochen", sagte der CSU-Spitzenpolitiker Markus Söder "Bild" mit Blick auf die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern. "Der Union droht ein dauerhafter und massiver Vertrauensverlust in ihrer Stammwählerschaft. Dieser Trend bedroht auf Dauer die politische Stabilität des Landes."

Drei Fragen zur Berlin-Wahl an Nico Siegel von Infratest Dimap.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sieht in den Erfolgen der rechtspopulistischen AfD bei den letzten Landtagswahlen eine "tektonische Verschiebung der Parteienlandschaft". Die etablierten Parteien müssten dringend das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen, forderte Scheuer im Bayerischen Rundfunk. "Die Bürger haben zum wiederholten Male einen Weckruf, ein Alarmsignal ausgesendet."

Die Junge Union forderte von Kanzlerin Merkel, die Integrationsanforderungen an Flüchtlinge klarer zu benennen. "Dass die AfD aus dem Stand ein klar zweistelliges Ergebnis eingefahren hat, zeigt, wie viele Menschen Angst haben vor einem Scheitern der Integration der Asylsuchenden und wie viele sich überfordert fühlen", sagte JU-Chef Paul Ziemiak der "Welt". "Es ist der Union nicht gelungen, den Menschen diese Angst zu nehmen. Genau daran müssen wir arbeiten." Die Union müsse unmissverständlich sagen: "Wir wollen nicht, das Frauen hier vollverschleiert herumlaufen. Wir wollen, dass Mädchen weiterhin zusammen mit Jungen in den Sportunterricht gehen, und wir wollen, dass sich Mann und Frau hier die Hand geben zur Begrüßung." Ziemiak forderte eine Verschärfung der Abschiebepraxis.

Berlins Bürgermeister Michael Müller (r.) und SPD-Chef Sigmar Gabriel nach der Wahl (Foto: dpa)
Berlins Bürgermeister Michael Müller (r.) und SPD-Chef Sigmar Gabriel nach der WahlBild: picture-alliance/Pacific Press/S. Kuhlmey

Die Sozialdemokraten suchten die Schuld für ihren Absturz in der Diskussion über die Asylpolitik - und bei der Union. Wenn CDU und CSU permanent über die Flüchtlingspolitik stritten, sende auch die schwarz-rote Bundesregierung das Signal, "dass sie nicht weiß, wo es lang geht", sagte der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Thomas Oppermann im Deutschlandfunk. Leider werde auch die SPD durch diese Dauerdebatte zwischen Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer heruntergezogen.

"Viel umgesetzt"

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley beklagte, dass ihre Partei wegen der breiten Diskussion über die Flüchtlingspolitik mit Sozialthemen nicht durchdringe. "Es ist ja so, dass über nichts anderes mehr gesprochen wird", sagte Barley im deutschen Fernsehen. Auf Landes- und Bundesebene sei in den vergangenen Jahren bei Wohnungsbau, Kitas und Arbeitsplätzen viel umgesetzt worden."Geredet wird aber nur über Flüchtlinge. Und wenn das so ist, dann kommt eben so eine Protesthaltung auch stärker zur Geltung, die wir in Berlin gesehen haben."

sti/stu/as (afp, dpa, rtr)