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Politik

Merkel: "Demokratie ist nicht einfach da"

3. Oktober 2021

In ihrer Rede beim Festakt zum Einheitstag warnte die Bundeskanzlerin eindringlich vor den Gefahren für die demokratische Ordnung. Alle Bürger müssten sich gegen Hass, Verrohung und Radikalisierung zur Wehr setzen.

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Tag der Deutschen Einheit in Halle | Reiner Haselhoff und Angela Merkel
Kanzlerin Angela Merkel und Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, bei der Feier zur Deutschen Einheit in HalleBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Angela Merkel: Diese Freiheit brach nicht einfach über uns herein

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 31 Jahre nach der deutschen Vereinigung zum andauernden Einsatz für die Demokratie aufgerufen. "Demokratie ist nicht einfach da. Sondern wir müssen immer wieder für sie miteinander arbeiten, jeden Tag", sagte die CDU-Politikerin beim Festakt zum 31. Tag der Deutschen Einheit in der Händelhalle in Halle an der Saale. Manchmal, so fürchte sie, werde mit den demokratischen Errungenschaften etwas zu leichtfertig umgegangen.

Feuerwehrleute und Kommunalpolitiker als Opfer

In dieser Zeit seien zusehends Angriffe auf so hohe Güter wie die Pressefreiheit zu sehen. Zu erleben sei eine Öffentlichkeit, in der mit Lügen und Desinformation Ressentiments und Hass geschürt würden. "Da wird die Demokratie angegriffen", sagte Merkel. Daher stehe nicht weniger als der gesellschaftliche Zusammenhalt auf dem Prüfstand. 

Die Kanzlerin verwies auch auf Angriffe auf Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzten wie Feuerwehrleute und Kommunalpolitiker. "Die verbale Verrohung und Radikalisierung, die da zu erleben sind, dürfen nicht nur von denen beantwortet werden, die ihr zum Opfer fallen, sondern müssen von allen zurückgewiesen werden." Denn allzu schnell mündeten verbale Attacken in Gewalt.

Merkel nannte in diesem Zusammenhang konkret die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die Anschläge von Halle und Hanau wie auch den Mord an dem 20-jährigen Tankstellen-Mitarbeiter in Idar-Oberstein, bei dem der mutmaßliche Täter seine Ablehnung der Corona-Maßnahmen als Motiv genannt hatte.

Leben in der DDR ein biografischer "Ballast"?

Die Kanzlerin erinnerte zudem an den mutigen Einsatz vieler Menschen in der DDR bei der friedlichen Revolution 1989/90. Man dürfe nie vergessen, dass es auch anders hätte ausgehen können. Mit sehr persönlichen Beispielen wies Merkel auch auf anhaltende Missverständnisse in der gegenseitigen Wahrnehmung von Ost und West hin. Noch heute müssten sich etwa Ostdeutsche ihrer Generation für ein Leben in der DDR als biografischer "Ballast" rechtfertigen. Die Gestaltung der Einheit des Landes sei aber kein abgeschlossener Prozess, die Zukunft müsse gemeinsam gestaltet werden, so Merkel. "Wir brauchen Respekt vor den jeweiligen Biografien und Erfahrungen und auch vor der Demokratie."

Merkels letzte Rede als Kanzlerin zum Tag der deutschen Einheit quittierten die Zuhörer - darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Vertreter anderer Verfassungsorgane - mit lang anhaltendem Applaus. Die Gäste erhoben sich dabei von ihren Stühlen. 

"Nicht gegeneinander ausspielen lassen"

Zuvor hatte Bundesratspräsident Reiner Haseloff für gemeinsame Ideen und Projekte geworben, um Ost und West zusammenzuführen. "Mental und strukturell ist die Einheit noch nicht vollendet", sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt in Halle. "Es bestehen nach wie vor zum Teil große politische Unterschiede zwischen Ost und West." Dies habe sich zuletzt im Wahlverhalten bei der Bundestagswahl gezeigt. "Keinesfalls dürfen wir uns in diesen schwierigen Zeiten gegeneinander ausspielen lassen", so der CDU-Politiker.

Hallenser Staatsspitze-Gruppenfoto mit Dame: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundesratspräsident Reiner Haseloff (v.l.)
Hallenser Staatsspitze-Gruppenfoto mit Dame: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundesratspräsident Reiner Haseloff (von links)Bild: Johannes Stein/Getty Images

Haseloff erinnerte auch an die Brüche, die viele ehemalige Bürger der DDR nach der Vereinigung zu verkraften hatten, vor allem den Verlust von Arbeitsplätzen. Zugleich merkte er an, die Erfolgsgeschichte der friedlichen Revolution in der DDR werde nicht genug gewürdigt. Sie tauge durchaus zum "Gründungsmythos des vereinigten Deutschlands". 

"Für eine Kultur des berechtigten Widerspruchs"

In einem ökumenischen Gottesdienst hatten zuvor auch die Kirchen zur Wachsamkeit mit Blick auf Gefährdungen der Demokratie aufgerufen. Der katholische Magdeburger Bischof Gerhard Feige forderte, angesichts fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Tendenzen seien "konsequentere politische Bemühungen und eine mutige Zivilgesellschaft" notwendig. Er plädierte für "eine Kultur der Wachsamkeit und des berechtigten Widerspruchs, damit unsere Gesellschaft nicht aus dem Lot gerät". An dem Gottesdienst wirkten auch Spitzenvertreter der evangelischen Kirchen in Sachsen-Anhalt sowie der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland, Andreas Nachama, und der Vizevorsitzende des Dachverbandes Islamischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Djamel Amelal, mit.

Kein großes Bürgerfest in Halle

Für die Bevölkerung bleibt wegen der Corona-Pandemie das bis 2019 übliche große Bürgerfest aus, ähnlich wie schon 2020 in Potsdam. Jedoch sind in Halle mehrere Demonstrationen angemeldet. Die Polizei ist mit rund 2600 Beamten im Einsatz. Ein Bündnis gegen Rechts hatte darauf hingewiesen, dass rechte Gruppierungen ihre Anhänger mobilisieren würden.

sti/se (dpa, afp, epd, rtr)