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Deutsches Judentum - Vielfalt und Schicksale

3. Juli 2021

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland in einer Ausstellung: "Menschen, Bilder, Orte" in Köln setzt vor allem auf persönliche Geschichten.

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Blick auf einen Ausstellungskubus, auf dessen Außenseite zwei Männer abgebildet sind.
"Recht und Unrecht" heißt ein Kubus der Ausstellung "Menschen, Bilder, Orte"Bild: Stefan Arendt/LVR-ZMB

Selbstbewusst schiebt Abraham von Oppenheim seine rechte Hand in den Mantel. Die Geste erinnert an Napoleon, den französischen Feldherrn, der sich auf zahlreichen Gemälden in dieser Pose abbilden ließ. Am Kölner Rathaus ist Abraham von Oppenheim als Skulptur verewigt - zusammen mit 123 Frauen und Männern. Allesamt Personen, die für die Stadt bedeutend waren. Warum der jüdische Bankier und Kunstmäzen Abraham von Oppenheim unter ihnen ist, ist eine erstaunliche Geschichte, die aber viel über das Miteinander von Juden und Christen vor 1933 in Deutschland erzählt.

Als Mitglied verschiedener Stiftungen engagierte sich Oppenheim nicht nur für die Juden im Rheinland, in dem er den Bau der Synagoge in der Kölner Glockengasse finanzierte, sondern er gab auch viel Geld für die Katholiken aus. Er spendete eine größere Summe für den Fortbau des Kölner Doms. Deswegen hängt dort bis heute das Familienwappen der Oppenheims. In der Ausstellung "Menschen, Bilder, Orte", die im Rahmen des Themenjahrs "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" in Köln Station macht, lassen sich viele solcher Biographien erkunden. 

Louise Straus leitete als erste Jüdin ein Kölner Museum

Die Besucherinnen und Besucher lernen anhand von Filmmaterial schillernde Figuren wie Louise Straus kennen. Die 1893 in Köln geborene Jüdin und spätere Ehefrau des Surrealisten Max Ernst war eine für ihre Zeit ungewöhnlich hochgebildete Frau. Sie war eine der ersten promovierten Kunsthistorikerinnen und leitete 1919 kommissarisch als erste Frau das Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Doch während ihr Gatte Max Ernst zum Kunststar wurde, kam Straus im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben.

In vier Kuben, die sich den Themenfeldern "Recht und Unrecht", "Leben und Miteinander", "Religion und Geistesgeschichte" sowie "Kunst und Kultur" widmen, geht es weit zurück bis zu den Anfängen jüdischen Lebens in der Spätantike. Damals hieß Köln noch Colonia Claudia Ara Agrippinensium und war eine römische Kolonie im Rheinland.

Synagoge bedeutet "Versammlung"

In den multimedialen Ausstellugskuben lassen sich virtuelle Rekonstruktionen von Synagogen entdecken, viele Biografien von Persönlichkeiten wie der Komponistin Fanny Hansel, den Künstlern Felix Nussbaum und Max Liebermann, Musik von Schlager über Klezmer bis HipHop an Bildschirmen erkunden. "Die Vielfalt abzudecken", so Kuratorin Laura Cohen vom Landschaftsverband Rheinland im DW-Gespräch, sei das Anliegen dieser lehrreichen Ausstellung, "in der Personen vorgestellt werden, die wichtige Positionen inne hatten und großen Einfluss ausübten".

Eurovision Song Contest 2019 | Netta Barzilai, Gewinnerin 2018 aus Israel
Die israelische Sängerin Netta, Gewinnerin des ESC 2018Bild: picture-alliance/Zuma Press/Persona Stars

Diese Personen stammen aus der Zeit vor 1933, als der große Exodus der deutschen Juden begann - oder sie leben noch. Dazu gehören die Sängerin Netta, die mit ihrem Hit "Toy" 2018 den Eurovision Song Contest gewann, oder der Comiczeichner Ben Gershon. In seinem Cartoonbuch "Antisemitismus für Anfänger" tritt er den Beweis an, dass der berühmte jüdische Humor auch heute noch wirkt. Für Kuratorin Laura Cohen besteht die Strategie des typisch jüdischen Witzes darin, "mit Pragmatismus die strengen Regeln außer Kraft zu setzen".

Konstantin der Große
Konstantin der Große, Mosaik (ca. 1000) in der Hagia Sophia in IstanbulBild: public domain

Das Schlüsselexponat der Ausstellung ist eine Reproduktion der einzigen erhaltenen Abschrift des kaiserlichen Dekrets von 321. In diesem Jahr der Spätantike regelte Kaiser Konstantin per Gesetz, dass die Juden im Ratsdienst eine wichtige Aufgabe erfüllen durften.

Dekret Kaiser Konstantins aus dem Jahr 321

Ausstellung | „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ ab 1. Juli im LVR-Landeshaus in Köln
Bild: Stefan Arendt/LVR-ZMB

Ein Schaubild dokumentiert, dass Mitglieder der jüdischen Gemeinde nicht nur in Köln, sondern auch in anderen Städten in die Räte integriert wurden. Verstöße gegen ihren neuen Rechte wurden im sogenannten "Judenschreinsbuch" geahndet: Es handelte sich um eine Art Grundbuch des Mittelalters, wo Nachbarschaftsstreitigkeiten, Immobilienverkäufe oder Hochzeiten dokumentiert wurden. Wenn sich christliche Nachbarn über die feiernden jüdischen Nachbarn beschwerten, wurde das dort eingetragen.

Die Ausstellung möchte über die Vielfalt des Judentums auch jenseits der Shoah informieren. Und auch persönliche Geschichten wie die von Isaac von Aachen erzählen, einem jüdischen Dolmetscher am Hofe Kaiser Karls des Großen. Als Isaac wegen seiner Sprachbegabung im Auftrag des Kaisers einen Kalifen in Bagdad aufsuchte, brachte er als Gastgeschenk Abubal Abbas mit nach Aachen: einen indischen Elefanten. 

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion