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Deutschland muss offen über Waffenlieferungen reden

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Jens Thurau
15. Februar 2022

Deutschland liefert der Ukraine Helme, aber keine Waffen, auch keine rein defensiven. Das ist die Folge der seit Jahren anhaltenden Weigerung, über das heikle Thema Waffenexporte ernsthaft zu streiten, meint Jens Thurau.

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Gestapelte Gefechtshelme der Bundeswehr in einem Magazin-Regal
5000 Helme - anderes militärisches Material hat die Bundesregierung der Ukraine bisher nicht angebotenBild: Frank May/dpa/picture alliance

Es ist einer der großen Widersprüche der deutschen Außenpolitik, und das seit vielen Jahren: Die Bundesrepublik zählt zu den größten Waffenexporteuren der Welt. Momentan liegt Deutschland auf Platz vier, hinter den USA, Russland und Frankreich. Für 9,3 Milliarden Euro exportierten deutsche Waffenschmieden im vergangenen Jahr ihre Produkte - allein nach Ägypten gingen Waffensysteme für fast die Hälfte dieser Summe.

Und gleichzeitig bleibt die Regierung, die neue wie auch schon die alte, bei ihrer Haltung, keine Waffen in Konfliktregionen zu liefern. Auch jetzt, in der sich immer weiter hochschaukelnden Krise an den Außengrenzen der Ukraine, in der das russische Säbelrasseln längst beängstigende Züge angenommen hat und die USA schon davon sprechen, der Angriff der Russen auf die Ukraine könnte bereits in den nächsten Tagen beginnen. Doch Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock setzen ganz und gar auf die Diplomatie. Und sie haben nach Wochen des merkwürdigen Zauderns eine regelrechte Gesprächs-Offensive in Gang gesetzt, die im Besuch von Scholz in Kiew und danach in Moskau in dieser Woche ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

Zurückhaltung, wenn es brenzlig wird

Es gibt gute Gründe für den deutschen Standpunkt, prinzipiell keine Waffen in Kriegs- oder Krisenregionen zu liefern. Zumal in eine Region, die vor einem Menschenalter unter einer furchtbaren deutschen Besatzungsherrschaft litt. Die Gefahr, die Konflikte durch immer mehr Waffen noch weiter anzuheizen, ist nicht von der Hand zu weisen. Und es ist auch richtig, dass eben nicht geschossen wird, solange die Konfliktparteien noch miteinander sprechen.

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Das Problem ist eher, dass in Deutschland, vor allem in den regierenden Parteien, keine wirklich ernsthafte Debatte darüber stattfindet, wann dieser Standpunkt eben nicht mehr haltbar ist. Und das hat damit zu tun, dass fest in die deutsche Nachkriegsmentalität eingebrannt ist, dass sich das Land zurückhält, wenn es brenzlig wird. Noch jeder Auslandseinsatz der Bundeswehr, von Afghanistan bis Mali, wurde und wird in Umfragen von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Daraus haben die Parteien längst ihre Schlüsse gezogen. Deutschland macht gern Geschäfte mit der ganzen Welt, auch Waffengeschäfte. Aber bleibt bei Konflikten bei seiner fast pazifistischen Grundhaltung - auch wenn es immer wieder Ausnahmen gibt und gab. 

Bei der SPD etwa führt diese Haltung weit zurück in die Frühzeit der Entspannungspolitik unter Willy Brandt. Und bei den Grünen in ihre Wurzeln in der Friedensbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre. Dabei gibt es in beiden Parteien längst viele Stimmen, die argumentieren, ein solcher Standpunkt lasse sich nicht immer und überall aufrechterhalten. Beim jüngsten Parteitag der Grünen gab es etwa durchaus einen Antrag mit dem Ziel, der Ukraine auch militärisch stärker unter die Arme zu greifen. Eine Mehrheit fand er aber nicht. Und der heutige Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck erntete im Wahlkampf im vergangenen Jahr viel Kritik aus den eigenen Reihen, als er bei einem Besuch in den Kampfgebieten der Ostukraine die Lieferung von Defensiv-Waffen forderte. Aber die Diskussion wurde dann nicht weitergeführt. Sie versandete, wie fast immer in Deutschland bei diesem Thema. Eine der wenigen Ausnahme war die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg auf dem Balkan vor mehr als 20 Jahren. Eine Entscheidung, die vor allem die Grünen mit ihrem damaligen Außenminister Joschka Fischer fast zerriss.

Jeden Konflikt einzeln entscheiden

Was jetzt notwendig wäre, ist eine ehrliche Debatte darüber, welche Rolle Deutschland in einer sich immer stärker verändernden geopolitischen Lage spielen will - auch militärisch. Schon lange ist klar, dass sich etwa die USA immer stärker dem pazifischen Raum zuwenden und darauf dringen, dass Europa die Konflikte in seiner Region selbst in die Hand nimmt. Das wird so bleiben, auch wenn US-Präsident Joe Biden Europa wieder stärker in den Blickpunkt nimmt als sein irrlichternder Vorgänger Donald Trump. Aber mittel - und langfristig kann Deutschland nicht mehr darauf setzen, dass die Amerikaner, vielleicht noch die Briten und Franzosen, die Drecksarbeit erledigen.

Das ist kein Appell, ohne Rücksicht auf die deutsche Geschichte der grenzenlosen Aufrüstung oder unbeschränkten Waffenexporten das Wort zu reden. Aber so einleuchtend, wie der jetzige Standpunkt der Regierung sein mag, so viele gute Argumente hätte es dann im Fall der Ukraine eben doch auch für das Gegenteil gegeben. Und gibt es eben immer noch. Gerade erst hat die Ukraine eine große Stückzahl deutscher Panzerabwehrraketen gefordert.  

Der Appell lautet also: Machen wir uns ehrlich und entscheiden wir in jedem Konflikt jeweils neu - immer unter Beibehaltung der grundsätzlichen deutschen Zurückhaltung. Auf der anderen Seite sollten wir bei den Waffenexporten endlich ernst machen mit prinzipiell weniger Genehmigungen. Da ist Zurückhaltung nämlich längst angebracht - zumal gegenüber Staaten, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden..