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Politik

Vereint gegen den russischen Angriffskrieg

Johann Bernd Kommentarbild App
Bernd Johann
22. Dezember 2022

Die Lieferung von Patriot-Raketen ist nicht das einzige Ergebnis des Besuchs von Präsident Selenskyj in Washington. Politisch wurden Zeichen gesetzt. Richtung Moskau, aber auch in anderer Hinsicht, meint Bernd Johann.

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Selenskyi und Biden, der US-Präsident hat seinen arm m Selenskyj gelegt
Verstehen sich als Partner - der ukrainische Präsident Selenskyj und US-Präsident BidenBild: Andrew Harnik/AP/picture alliance

Das war gewiss keine normale Auslandsreise. Mitten in einer neuen Eskalationsphase des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, hat Wolodymyr Selenskyj überraschend und für kurze Zeit sein Land verlassen. Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn vor mehr als 300 Tagen. Der ukrainische Präsident traf Joe Biden in Washington. Er warb bei seinem Gespräch mit dem US-Kollegen und vor dem US-Kongress nachdrücklich um weitere Hilfe für sein Land. Politisch, aber vor allem auch militärisch, damit sich die Ukraine weiterhin effektiv gegen die russische Aggression zur Wehr setzen kann.

Weil es an der Front im Osten und im Süden nicht vorangeht, zerstört Russland jetzt systematisch die Energie- und Wassersysteme in der Ukraine. Die Menschen sollen in diesem Winter ohne Strom, ohne Heizung und ohne Wasser bleiben. Und die russischen Marschflugkörper, Raketen und Drohnen treffen nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die Wohnhäuser - inzwischen überall im Land. Für die Ukraine und ihre Menschen geht es buchstäblich ums Überleben.

Selenskyj vermittelt Zuversicht

Präsident Selenskyj steht unter enormen Druck. Die Anspannung war ihm bei seinem Besuch in Washington deutlich anzumerken. Aber er vermittelte Zuversicht. "Die Ukraine ist nicht gefallen. Sie ist lebendig und munter", und sie kann und wird diesen Krieg mit Hilfe von außen gewinnen. Das war seine Botschaft an den Kongress. Unter großem Beifall wurde sie aufgenommen. Ein Zeichen der Einheit und Entschlossenheit wurde so gesetzt. Es richtete sich vor allem an Moskau. Die USA und ihre Verbündeten stehen weiter an der Seite der Ukraine. Russland wird keinen Keil zwischen die Ukraine und ihren Partnern treiben können.

Bernd Johann
Bernd Johann, Leiter der ukrainischen Redaktion der DW

Für die Ukraine ist klar, die USA sind international ihr wichtigster Unterstützer. Seit dem ersten Kriegstag haben die USA unter Joe Biden eine Führungsrolle übernommen. Ohne amerikanisches Leadership wäre die Hilfe aus anderen Staaten für die Ukraine ganz sicher sehr viel schwächer ausgefallen. Vor allem bei den Waffenlieferungen. Wichtige europäische Länder, darunter auch Deutschland, haben in dieser Frage immer wieder gezögert. Und sie tun es noch immer. Erst wenn die USA vorangehen, folgen andere Staaten nach.

Signale an die USA und Europa

Aber auch in den USA, vor allem im Kreis der Republikaner, gibt es vermehrt Stimmen, die statt weiterer US-Hilfen für die Ukraine das Geld lieber in Investitionen im eigenen Land stecken möchten. Die "America First"-Bewegung lässt grüßen. Joe Biden und seine Regierung stehen zur Ukraine. Aber auch sie sind unter Druck nach den Midterm Elections im November. Der US-Kongress soll in Kürze über ein humanitäres und militärisches Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von 42,3 Mrd. Euro entscheiden. Es ist ein gutes Zeichen, dass Selenskyj bei seiner Rede im Kongress so viel Applaus von den US-Parlamentariern erhalten hat.

Selenskyj am Rednerpult, applaudierende Kongressmitglieder
Die Zustimmung im Kongress ist großBild: Win McNamee/Getty Images

Der ukrainische Präsident trat nicht als Bittsteller in Washington auf, aber auch ihm ist klar, dass weder die USA noch die Europäer und andere Unterstützer in den russischen Krieg gegen die Ukraine unmittelbar militärisch hineingezogen werden wollen. Biden sprach das offen in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj an. Defensivwaffen, Raketenwerfer, Munition und anderes Gerät werden geliefert, solange die Ukraine sie benötigt. Aber die von Kiew gewünschten offensiven Langstreckensysteme, mit denen die Ukraine Militärflugplätze angreifen könnte, auf denen russische Raketenbomber ihre Angriffe auf die Ukraine starten, wird es aus Washington wohl nicht geben. Auch das ist ein Ergebnis der Reise Selenskyjs.

Den Himmel über der Ukraine sicherer machen

Stattdessen soll die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine weiter gestärkt werden. Die USA überlassen den Ukrainern eine Einheit ihres Patriot-Luftabwehrsystems. Kiew wünscht sich verständlicherweise mehr davon. Denn ein System reicht nur aus, um eine Großstadt zu schützen. Die Hilfe ist dennoch mehr als ein symbolischer Akt. Es ist ein weiterer Schritt zu einem sichereren Himmel über der Ukraine. Die USA ergänzen damit andere internationale Unterstützung im Bereich der Luftabwehr. Die Gepard-Panzer und das System Iris T aus Deutschland beispielsweise retten bereits Leben in der Ukraine.

Absurd ist das Geschrei aus Moskau als Reaktion auf den Washington-Besuch Selenskyjs. Die Lieferung der Patriot-Einheit ist keine Eskalation. Sie hilft der Ukraine bei der Selbstverteidigung. Und auch die deutsche Bundesregierung sollte jetzt noch einmal nachdenken. Berlin hat eine Patriot-Einheit für Polen zugesagt, die Warschau am liebsten an die Ukraine abgeben hätte. Doch das wollte Deutschland nicht.

Deutschland hat nicht viele dieser Systeme. Aber sie könnte der Ukraine eine Einheit zur Verfügung stellen. Dort werden Patriots dringend gebraucht. So wie die USA unter Joe Biden tun, was sie können, sollte auch Berlin noch mehr tun, um Leben in der Ukraine zu retten.