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Politik

Indien - Katastrophe mit Ansage

Weltzeit 1 | 2021 | Ankita Mukhopadyay, Studio Delhi
Ankita Mukhopadhyay
25. April 2021

Indiens Regierung hatte genug Zeit, um sich auf die neue Corona-Welle vorzubereiten. Stattdessen wurde das Problem klein geredet. Es ist höchste Zeit, Fehler einzugestehen, meint Ankita Mukhopadhyay.

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Indien Bildergalerie Coronavirus | Neu Delhi, Krematorium
In einem Krematorium in Neu-Dehli steht ein Mitarbeiter neben dem Leichnam eines Corona-TotenBild: Adnan Abidi/REUTERS

Auf Whatsapp bin ich Mitglied einer Gruppe, in der sich die Leute gegenseitig Hilfe im Umgang mit Corona anbieten. Fast sekündlich fragt jemand nach Sauerstoffflaschen, nach antiviralen Medikamenten oder, wo es noch freie Intensivbetten gibt.

Bei jedem verzweifelten Hilferuf frage ich mich, wie die Indische Volkspartei BJP ihr Pandemie-Management so grundlegend vermasseln konnte. Die Regierung hatte ein Jahr, um sich auf diese Infektionswelle vorzubereiten. Doch Anfang 2021 wurde sie zunehmend selbstgefällig, temporäre COVID-19-Isolationszentren wurden abgebaut, Social-Distancing- und Lockdown-Regeln wurden entschärft.

Modi lobt sich selbst

Dabei war beim Blick auf andere Länder schon längst klar, dass eine neue Welle kommen würde. Indiens Gesundheitssystem war schon immer auf Kante genäht. Schon immer gab es eine Versorgungslücke. Experten haben jahrelang davor gewarnt.

Doch irgendwie dachten die Verantwortlichen, dass der Hinduismus, ein paar Tempel und eine Trotzhaltung gegenüber dem Coronavirus ausreichen würden, um der Bedrohung Herr zu werden. Am 20. März verkündete Narendra Modi, der für viele ein Held ist, dass die Leute zuhause bleiben sollten, um einen erneuten Lockdown zu verhindern.

In seiner Rede rühmte Modi sich, wie seine Regierung das Virus bislang bekämpft habe. Einen Plan, wie er schnell in das unterfinanzierte Gesundheitssystem investieren will, präsentierte er aber nicht.

Jetzt bleibt der Regierung nichts anders übrig, als die Opposition und die nicht von der BJP regierten Bundesstaaten dafür verantwortlich zu machen, was alles schief gelaufen ist. Dabei wird viel schmutzige Wäsche gewaschen - und das gefährdet zahllose Menschenleben, sowohl derer, die die BJP gewählt haben, als auch die aller anderen.

Indien Bildergalerie Coronavirus | Ahmedabad , Lieferung Sauerstoffflaschen
Sauerstoffflaschen sind ein knappes Gut in IndienBild: Amit Dave/REUTERS

Eine bittere Realität

Schade eigentlich, dass der britische Premierminister Boris Johnson zuletzt keine Gelegenheit hatte, nach Indien zu reisen. Was er gesehen hätte? Ein Land, in dem keiner etwas auf Abstandsregeln hält, in dem kaum einer eine Maske trägt oder sonst irgendwelche Corona-Maßnahmen beachtet. Manche Leute behaupten bis heute, dass das Virus in Indien längst besiegt sei.

Viele Inder haben geglaubt, sie könnten das Virus bekämpfen, indem sie irgendwelche Medikamente ohne nachgewiesene Wirkung einnehmen. Oder den Werbeanzeigen für irgendwelche Heilmittel glauben, die sie ständig auf Whatsapp bekommen. 

Während viele daran glauben, dass die Regierung schon das Nötigste täte, war bereits die neue Virusvariante auf dem Vormarsch. Experten und Ärzte warnten eingehend vor einer neuen Welle. Die Regierung tat: nichts.

Schon bald wurden die Rufe nach Hilfe und die Forderungen, endlich was zu tun, lauter. Und zwar von all jenen, die Familienmitglieder hatten, die um ihr Leben kämpften. Die, die nicht dabei zusehen wollten, wie ihre Liebsten langsam starben.

Ich selbst war ein Opfer dieser neuen Welle. Mein Schwiegervater konnte nicht ausreichend schnell ins Krankenhaus eingeliefert werden, woraufhin er eine Lungenentzündung bekam. Er starb vergangenen Donnerstag.

Viele haben nicht einmal das Glück, ein Krankenhausbett zu bekommen. In Neu-Delhi sind die Krankenhäuser total überfüllt, mit mehr als einem Patienten pro verfügbarem Bett. Wer kein Bett ergattert, stirbt im Flur oder im Krankenwagen. Sauerstoffflaschen und antivirale Medikamente werden von Schwarzmarkthändlern gehortet. Unschuldige Leute müssen Tausende Rupien aufbringen, nur, um die nötigsten Mittel zu kaufen.

Schamloser Wahlkampf

Fast jeder meiner Bekannten hat inzwischen irgendeine herzzerbrechende Geschichte zu erzählen. Indiens Gesundheitsversorgung ist unter der Last von Corona zusammengebrochen. Ärzte bekommen kaum Schlaf, haben keine Energie mehr. Mikrobiologen kommen inzwischen in die Krankenhäuser, um dort Ärzte zu ersetzen.

Kommentarbild PROVISORISCH Ankita Mukhopadhyay
DW-Redakteurin Ankita Mukhopadhyay verlor in Indien einen Familienangehörigen durch Corona

Das indische Krisenmanagement ist das derzeit wohl schlechteste auf der Welt. Aber die Modi-Regierung glaubt derweil, es sei eine gute Idee, Geld in Wahlkampfveranstaltungen mit tausenden Teilnehmern zu stecken - statt einfach nur Leben zu retten. Ohne jede Scham weigern sie sich öffentlich, Fehler zuzugeben. Als der ehemalige Premierminister Manmohan Singh, selbst an Covid-19 erkrankt, mit Ratschlägen zur Hilfe eilen wollte, wurde das abgelehnt.

Was mich am meisten wundert: Die Regierungspartei hortet das Medikament Remdesivir. Sie hält Daten zur indischen Impfstoffentwicklung zurück. Und sie übersieht komplett die inzwischen nachgewiesene Tatsache, dass das Virus über Aerosole übertragen wird.

Die indische Bevölkerung muss die Regierung bei den nächsten Wahlen für ihr Versagen abstrafen statt auf deren übliche Religionspolitik zu setzen. Nicht religiöse die Spaltung ist es, die Indien zerstört - sondern das komplette Versagen der Regierung, diese Pandemie zu bekämpfen. 

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.