Die steigenden Corona-Zahlen in Europa verdrängen andere wichtige, ja überlebenswichtige Themen aus den Schlagzeilen und aus den Köpfen. Die Europäische Union hat in dieser Woche sowohl den Klimaschutz als auch mehr nachhaltige Landwirtschaft und den Erhalt der Artenvielfalt auf der Tagesordnung gehabt. Drei Dinge, die für das Wohl und Wehe der EU auf mittlere Sicht noch wichtiger sind als die Pandemie.
81 Prozent der geschützten Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand, warnt die Europäische Umweltagentur. Die Vielfalt der Arten war noch nie so bedroht wie heute. Der Mensch beschneidet Lebensräume weiter, verschmutzt seine Meere, kippt Plastikmüll in die Umwelt, verbraucht viel zu viel Flächen, erwärmt das Klima weiter. Die EU-Umweltminister haben deshalb einen neuen Plan zur Erhaltung der Biodiversität beschlossen. Es geht nicht darum, möglichst viele Schmetterlinge, Bienen oder Feldhasen um ihrer selbst Willen oder zum Gefallen von romantisierenden Umweltschützern zu erhalten, die Artenvielfalt ist vielmehr die Grundlage für unsere Ernährung, für unser Wirtschaften, für unser eigenes Überleben. Gelingt es uns nicht, den Kollaps von ganzen Ökosystemen zu verhindern, ist auch die Art Mensch bedroht. Eine zusätzliche Pandemie wäre da gar nicht nötig. Das besorgen wir durch den sorglosen Umgang mit den Ressourcen schon selbst.
EU läuft den Problemen hinterher
Die EU ringt nach wie vor um vernünftige Klimaschutzziele und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft. Die diskutierten Zahlen - 55 oder 60 Prozent weniger Kohlendioxid - sind wahrscheinlich schon wieder zu niedrig, wenn die Ziele irgendwann im nächsten Jahr wirklich beschlossen werden. Uns läuft die Zeit davon. Das gilt nicht nur beim Klimaschutz, sondern auch bei der damit verbundenen Artenvielfalt. Vor zehn Jahren hatte die EU bereits einen Plan zum Schutz der Arten beschlossen, der bis zu diesem Jahr eine Trendwende bringen sollte. Fehlanzeige. Die Situation in unseren Wäldern und auf den Feldern ist schlimmer denn je.
Nun soll ein neuer Zehn-Jahres-Plan mit Aufforstungsprogrammen und Pestizidverboten helfen. 30 Prozent der EU-Land- und Meeresflächen sollen Naturschutzgebiete werden. Ein richtiges Ziel, doch es haperte bisher schon bei der Umsetzung. Wie die Mitgliedsstaaten dazu bewegt werden sollen, diesmal wirklich zu handeln, ist unklar. Dabei müsste die EU dringend eine Vorreiterrolle einnehmen, damit im kommenden Jahr ehrgeizige Regeln für die Biodiversität auf Ebene der Vereinten Nationen beschlossen werden können.
Auch die Agrarreform, in dieser Woche von den EU-Ministern beschlossen, greift hier zu kurz. Gerade die Landwirtschaft spielt beim Schutz der Arten und der Lebensräume eine große Rolle. Doch leider sind die Fördersysteme immer noch nicht stark genug an Umweltauflagen gekoppelt. Nur 20 Prozent des größten Förderkuchens der EU sind dafür vorgesehen. Zu kurz gesprungen, weil viele Mitgliedsstaaten partikulare Interessen angemeldet haben.
Es dauert
Das ist das Grundproblem der EU in vielen Fragen: Es müssen die Interessen der 27 einzelnen Staaten unter einen Hut gebracht werden. Minister und Europäisches Parlament müssen sich einigen. Nationale Parlamente müssen europäische Richtlinien dann in nationale Gesetze überführen und am Ende auch durchsetzen. All das dauert und dauert. Und für engagierte Umweltpolitiker ist das meistens ohnehin viel zu wenig, während die Wirtschafts- und Agrarexperten vor zu großen Belastungen warnen.
Man darf vom schwerfälligen Getriebe der EU nicht zu viel erwarten. Beispiel: Selbst das simple Thema Sommerzeit-Umstellung scheint unlösbar. Seit zwei Jahren ist beschlossen, die Zeitumstellung abzuschaffen. Sie wird trotzdem an diesem Sonntag wieder vollzogen, weil sich die Mitgliedsstaaten nicht einigen können, wann und wie genau die Zeitumstellung gekippt werden soll. Da kann wirklich nicht verlangen, dass sich die EU-Institutionen auf ambitionierte Ziele bei echten Schicksalsfragen einlassen.
Eine EU im Schneckentempo. Es ist zum Haare raufen!