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Politik

Steinmeier prescht vor. Gut so!

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Jens Thurau
28. Mai 2021

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bewirbt sich um eine zweite Amtszeit. Ein mutiger Schritt, denn eine Mehrheit in der Bundesversammlung im kommenden Februar ist ihm keineswegs sicher, meint Jens Thurau.

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Detailaufnahme von Frank-Walter Steinmeier vor der Amtsflagge des Bundespräsidenten. Zu sehen sind nur der Köpfe Steinmeiers sowie des Bundesadlers
Frank-Walter Steinmeier vor der Dienstflagge des BundespräsidentenBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Er hätte es sich leicht machen können. Frank-Walter Steinmeier hätte einfach verkünden können, dass er nach einer Amtszeit den Weg frei macht für ein neues Staatsoberhaupt. Vielleicht für eine Frau, vielleicht für jemanden, der nicht ins Amt kommt, weil sich die ehemals großen Parteien CDU, CSU und SPD auf eine Person einigen. Steinmeier wäre als geachteter Mann abgetreten.

Aber er hat dann doch wohl die Signale aus vielen Richtungen wahrgenommen (nicht nur aus den Reihen der SPD, für die er Minister war), dass dieser Präsident dem Land in den vergangenen Jahren ganz gut zu Gesicht gestanden hat. Und so traut er sich jetzt den Menschen zu sagen: Wenn ihr mich wollt, dann bin ich weiter da. Und das, ohne wie sonst üblich, eine klar kalkulierbare Mehrheit hinter sich zu wissen.

Präsidentenwahlen sind immer ein Zeichen der Zeit

Die Bundesversammlung, die nur zusammentritt, um den Bundespräsidenten zu wählen, ist ein nicht immer leicht einzuschätzendes Gremium - auch schon vor diesen bewegten Zeiten, in denen sich das Parteiensystem ständig neu formiert und alte Gewissheiten nichts mehr zählen. Sie setzt sich zusammen aus den Bundestagsabgeordneten und ebenso vielen Vertretern der Länder. Und immer war die Wahl eines Staatsoberhaupts auch Ausdruck eines Trends, einer Zeitströmung.

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Gustav Heinemann, ein Sozialdemokrat, symbolisierte bei seiner Wahl im März 1969 den Abschied von der Dominanz der Konservativen in der damals westdeutschen Politik. Wenig später regierte mit Willy Brandt erstmals ein Sozialdemokrat als Kanzler die Bundesrepublik. Als Steinmeier im Februar 2017 ins Amt gelangte, waren die Rechtspopulisten von der AfD noch nicht im Bundestag vertreten, konnten sich die etablierten Parteien vielleicht ein letztes Mal auf einen Konsens-Kandidaten einigen.

Wie das in Zukunft sein wird, steht in den Sternen. Im Februar 2022 steht die Wahl an, dann gibt es einen neuen Bundestag, mit anderen Mehrheiten wohl, mit starken Grünen, mit Konservativen, die vielleicht keine Mehrheit mehr zustande bringen. Wer weiß. Umso mutiger ist Steinmeiers Plan, sich noch einmal um das Amt zu bewerben. Und es stellt sich die Frage, warum er das tut.

Viele Gespräche mit Bürgern in der Pandemie

Steinmeier hat vor allem die vergangenen Monate in unzähligen, nicht immer öffentlichen Gesprächen mit den Bürgern verbracht. Hat Alten-und Krankenpfleger getroffen, Ärzte und Supermarktkassiererinnen, Kunstschaffende, Lehrer. Er hat mit Bürgermeistern und Landräten gesprochen, die ihm von dem immer größer werdenden Anfeindungen berichtet haben, die Staatsvertreter in diesen Zeiten ertragen müssen.

Er fand nach den schrecklichen Terrorakten in Hanau und Halle passende, einfühlsame Worte. Er wandte sich klar gegen Rassismus und Antisemitismus, wurde nicht müde, für eine plurale Gesellschaft zu werben. Er mahnte in der Pandemie beinah täglich, die gesellschaftliche Mitte nicht zu verlieren, sich nicht durch das Virus und seine Zumutungen noch weiter in Polarisierung und Egomanie treiben zu lassen. So gesehen war und ist er ein Vertreter der alten deutschen Konsensgesellschaft, die es über Jahrzehnte geschafft hat, alle Konflikte weitgehend friedlich zu lösen. Und er will das jetzt hinüber retten in die nächsten Jahre. Ein ehrenwerter Ansatz.

Deutschland muss wieder zu sich kommen

Ein bisschen erinnert sein Schritt an die oft kolportierte Erwägung, die Angela Merkel dazu brachte, 2017 noch einmal als Bundeskanzlerin zur Verfügung zu stehen. Auch sie hätte es damals sein lassen können, aber in vielen Äußerungen wurde klar: Sie wollte Deutschland nach der Flüchtlingskrise mit alle ihren Verwerfungen und vor allem die EU in ihrer Uneinigkeit nicht so übergeben, sie wollte die Dinge zum Besseren wenden. Gelungen ist ihr das kaum. Aber Steinmeier scheint jetzt ein ähnliches Motiv zu haben: In der ausgehenden Pandemie muss Deutschland wie viele andere Ländern wieder zu sich kommen, Fehler korrigieren, die Verlierer mitnehmen.

Steinmeier hat Recht: Das Land hat sich "wundgerieben". Hier Brücken zu bauen - das traut er sich zu. Warum auch nicht? Frank-Walter Steinmeier setzt bei seiner erneuten Bewerbung allein auf seine Person. Ob das reicht, nochmal gewählt zu werden, ist offen. Aber eine schlechte Wahl wäre er sicher nicht. Ein Stück Kontinuität in Zeiten, in denen sich auch in Deutschland die Dinge täglich ändern, würde den Deutschen sicher ganz gut tun.