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Merkel geht, ihr Stil aber bleibt

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec
7. Dezember 2021

Wenn nun die Bundeskanzlerin unwiderruflich die politische Bühne verlässt, fragen sich viele im Ausland, ob Deutschland berechenbar bleibt? Solche Sorgen sind unbegründet, meint Rosalia Romaniec.

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Angela Merkel winkt zum Abschied
Nicht nur im Inland, vor allem aber im Ausland trauen viele Angela Merkel nachBild: Getty Images/Sean Gallup

Die zu Beginn so unterschätzte Bundeskanzlerin hat in 16 Jahren Amtszeit vier Regierungen angeführt und eine ganze Reihe von Krisen gemeistert. Sie hat mit vier US-Präsidenten zusammengearbeitet, fünf britischen Premierministern und vier Präsidenten Frankreichs. Von der Vielzahl der Bundeskanzler Österreichs oder Ministerpräsidenten Italiens wollen wir gar nicht erst sprechen. In vielen Hauptstädten war ein Kommen und Gehen - Angela Merkel aber blieb.

Und so ist es verständlich, wenn sich insbesondere im Ausland viele Menschen Deutschland und Europa ohne Angela Merkel gar nicht mehr vorstellen können. Und deshalb fragen, ob die wirtschaftsstarke Nation im Herzen des Kontinents auch ohne diese Kanzlerin stabil und berechenbar bleibt.

Nicht Muskeln, sondern Rückgrat

Unprätentiös, unaufgeregt und pragmatisch begegnete sie schwierigen Partnern. Gegenüber Donald Trump oder Wladimir Putin trat sie trotz aller Provokationen stets gelassen auf. Ihren politischen Kompass demonstrierte sie oft zwischen den Zeilen - das wurde im Ausland oft viel besser erkannt, als in Deutschland selbst.

Deutsche Welle Rosalia Romaniec Portrait
Rosalia Romaniec leitet die Abteilung Current PoliticsBild: DW/B. Geilert

Die Bundeskanzlerin hat sich in einer männlich dominierten Welt durchgekämpft. Sie ließ nicht die Muskeln spielen, sondern hat sich auf ihr Rückgrat verlassen. "Vor allem braucht es Wahrhaftigkeit gegenüber anderen und - vielleicht am wichtigsten - gegenüber uns selbst", sagte sie 2019 bei ihrer großen Rede in Harvard. Dazu gehöre, so Merkel, "dass wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen".

Laute Botschaften liegen ihr deutlich weniger als subtile Gesten. Als sie bei einem Besuch in Wladimir Putins Residenz in Sotschi von dessen großem Labrador beschnüffelt wurde, bewahrte sie Ruhe - trotz ihrer enormen Angst vor Hunden. Erst jetzt, 14 Jahre später, bei ihrem letzten Besuch im Kreml, ließ sie mitten in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin ihr Handy mit maximaler Lautstärke klingeln. Zweimal hintereinander!

Merkel prägte einen neuen Politikstil

Für ihre Art mochte und respektierte man Merkel im Ausland fast mehr als in Deutschland selbst. Auch wenn sie natürlich auch im Ausland nicht nur beliebt ist und war. Sie musste ja auch eine ganze Reihe unangenehmer Entscheidungen treffen. Die Griechen hadern bis heute mit ihrer Härte in der Finanzkrise, die Italiener mit dem Wegschauen von der sich schon deutlich vor 2015 anbahnenden Migrationskrise und die Polen mit der Zustimmung zur Erdgas-Pipeline Nord Stream 2. Aber dem Respekt, den Merkel international genießt, tun ihre umstrittenen Entscheidungen keinen großen Abbruch.

Denn Angela Merkel steht für einen Politikstil, den man bei anderen Politikern lange suchen muss: Sie regierte 16 Jahre ohne jegliche Affären. Und mit ihrem selbstbestimmten Abgang hat sie einen Maßstab gesetzt, wie die freiwillige Machtübergabe mit Würde und Respekt vollzogen werden kann.

Lehrjahre des neuen Kanzlers

Kein Wunder also, wenn nun viele im Ausland fragen, welches Deutschland die Welt erwartet, wenn Merkel geht. Die Frage stellen sich übrigens auch viele Deutsche. In ihrer Partei, der CDU, stand lange der Vorwurf im Raum, Merkel hätte nicht an ihre Nachfolge gedacht.

Doch sieht man von der parteipolitischen Dimension ab, kann man durchaus in Frage stellen, ob das so stimmt: Ihr Nachfolger, der Sozialdemokrat Olaf Scholz, war zuletzt vier Jahre lang Merkels Vizekanzler. Stabilität und Kontinuität sind auch für ihn die wichtigsten Leitlinien der deutschen Politik. So gesehen, braucht niemand im Ausland umdenken. Der neue Kanzler hat schließlich lange genug bei Merkel gelernt.

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec Leiterin Current Politics / Hauptstadtstudio News and Current Affairs@RosaliaRomaniec