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PolitikEuropa

Abschieben ist nicht die Lösung

Max Zander
Max Zander
29. Oktober 2021

In Polen gilt seit dieser Woche ein neues Gesetz, das es erlaubt, Asylsuchende noch einfacher des Landes zu verweisen. Abermals begeht ein EU-Mitglied Verrat an den gemeinsamen Werten, meint Max Zander.

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Zwei Soldaten an einem mit Stacheldraht gesicherten Grenzstreifen in einem ansonsten dichten Waldgebiet
Polen errichtet einen starken Grenzzaun zwischen Belarus und der EUBild: Dominika Zarzycka/NurPhoto/picture alliance

Noch mehr Härte. Das ist die Antwort der polnischen Regierung, um der steigenden Zahl von irregulären Grenzübertritten aus dem Nachbarland Belarus zu begegnen. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko sorgt als Antwort auf EU-Sanktionen dafür, dass Migranten und Flüchtlinge gezielt an die Grenzen von Polen, Lettland und Litauen gebracht werden. Warschau hat nun mit einem Gesetz reagiert, dass den örtlichen Grenzschutzkommandeuren große Macht über die Schicksale dieser Menschen gibt.

Die Reform erlaubt kurzen Prozess: Wenn die Grenzbeamten illegale Einreisen feststellen, dürfen sie die betroffenen Ausländer unmittelbar abschieben. Eine bis zu dreijährige Einreisesperre für den gesamten Schengen-Raum kann zusätzlich verhängt werden. Nicht mehr Behörden oder Gerichte entscheiden - alles liegt in der Hand der Grenzschützer.

Menschen sind keine Waffen

Wer direkt nach einem illegalen Grenzübertritt gefasst wird, darf nun auch keinen Asylantrag mehr stellen. Beachtet werden müssen solche Anträge nur, wenn die Person unmittelbar aus einem Staatsgebiet kommt, indem ihr Gefahr oder Verfolgung droht. Für die Migranten, die sich zu Tausenden aus Belarus auf dem Weg nach Polen machen, aber eigentlich aus dem Irak, Syrien oder Afrika stammen, gilt das gewiss nicht. Die EU-Kommission prüfe zurzeit die Vereinbarkeit des polnischen Gesetzes mit EU-Recht, hieß es in dieser Woche.

DW Kommentarbild Max Zander
Max Zander ist Korrespondent im Studio Brüssel

Mit dem belarussischen Machthaber Lukaschenko hat Polen einen Nachbarn, der zu allem entschlossen ist. Er lockt Menschen mit falschen Versprechen in sein Land, nur um diese dann in die Wälder zu schicken, in Richtung der Grenze zu Polen oder dem Baltikum. Dort laufen sie dann Gefahr zu verdursten und zu erfrieren. Mindestens acht Menschen sind in den vergangenen Wochen auf ihrem Weg aus Belarus in den Grenzgebieten ums Leben gekommen.

Mit einer ähnlichen Situation hatte es die EU im März 2020 an der griechisch-türkischen Landgrenze zu tun. Der türkische Präsident Erdogan schickte Zehntausende in Richtung EU, um neue Zugeständnisse im Flüchtlingsdeal zu erzwingen. Damals wie heute sprach man in Brüssel von einer Instrumentalisierung Geflüchteter. Es heißt, Lukaschenko benutze sie als Waffen - gerichtet auf die EU-Außengrenzen. Wie schon im vergangenen Jahr in Südosteuropa sind die Menschen an der polnischen Grenze aber keine Waffen, die entsprechend bekämpft werden müssen, sondern politische Geiseln, denen humanitäre Hilfe zusteht.

Keine Härte um jeden Preis

Auch wenn Präsident Lukaschenko jedes Mittel nutzt, um den Druck auf die EU zu erhöhen, darf die Antwort der Mitgliedsstaaten nicht Härte um jeden Preis sein. Mit Mauern, wie sie inzwischen eine ganze Reihe EU-Staatschefs verlangen, sowie illegalen Pushbacks, wie sie von einigen länger schon praktiziert werden, gewinnt die EU auf Dauer wenig. Im Gegenteil: Der belarussische Machthaber bekommt mehr Aufmerksamkeit und kann mit dem Finger auf die ungeheuerlichen Zustände im Westen zeigen.

Die polnische Regierung muss für die Einhaltung der Menschenrechte für alle in ihrem Land sorgen. Aber die übrigen EU Mitglieder sind hier ebenfalls gefragt: Sie dürfen nicht stillschweigend akzeptieren oder sogar klammheimlich begrüßen, wie Polen die Drecksarbeit für sie erledigt und das Asylrecht weiter untergräbt.

Systematischer Rechtsbruch an den Außengrenzen

Was in Polen geschieht, ist nicht neu in der EU. Bereits 2015 hatte Ungarn Reformen umgesetzt, mit denen illegal im Land befindliche Migranten abgeschoben werden konnten - ohne jeden Einzelfall zu prüfen, wie es das Unionsrecht eigentlich vorsieht.

Auch in Griechenland und Kroatien werden immer wieder Fälle von illegalen Pushbacks durch Küstenwache und Grenzschützer dokumentiert. EU-Recht wird an den Außengrenzen mittlerweile systematisch gebrochen. In einer Europäischen Union, deren Mitglieder sich nicht einigen können, wie sie mit dem Migrationsdruck umgehen sollen und wie sich die Verantwortung der Staaten an den Außengrenzen unter allen teilen lässt, ist mittlerweile Abschottung und zur Not auch Gewalt das Mittel der Wahl.

Natürlich kann und darf sich die EU von einem Diktator wie Alexander Lukaschenko nicht erpressen lassen. Aber ihre Mitglieder sind verpflichtet, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die mit dem Menschenrecht auf Flüchtlingshilfe und den europäischen Werten vereinbar sind. Bevor am Ende nichts mehr davon übrig ist.