Der letzte Wille Online
22. Februar 2010Eine geräumige Industrieetage im zweiten Hinterhof unweit der Stockholmer Innenstadt. An einem halben Dutzend schlichten schwarzen Schreibtischen sitzen junge Leute an Laptops.
Lisa Granberg und Elin Tybring haben ihre Bildschirme aufgeklappt und diskutieren das Layout ihrer Seite MyWebwill. Oben prangt in großen Lettern der Schriftzug "Mein digitales Testament".
Es zu erstellen ist kinderleicht, sagt Lisa Granberg, Mitbegründerin von My Webwill: "Du legst ein Konto an und teilst uns mit, bei welchen Anbietern du Kunde bist und wo wir nach deinem Tod Änderungen vornehmen sollen. Du teilst uns zum Beispiel deine Zugangsdaten von Facebook mit, die wir verschlüsselt speichern. Du gibst an, ob wir dein Konto später deaktivieren oder bestimmte Inhalte hochladen sollen. Wenn wir von der Steuerbehörde die Information bekommen, dass du gestorben bist, setzen wir deinen letzten Willen um."
Ohne Passwort geht gar nichts
Die ungewöhnliche Geschäftsidee entwickelte Designerin Granberg zusammen mit ihrer Freundin Elin Tybring. Im Bekanntenkreis hatten die beiden von Fällen gehört, in denen Menschen gestorben waren, ihre Angehörigen aber ihr virtuelles alter Ego auf Seiten wie Facebook oder MySpace nicht löschen konnten, weil ihnen Passwort oder Anwendername fehlten.
Kein Einzelfall, stellte Elin Tybring in einer Seminararbeit fest: "Für Angehörige kann es ziemlich schwer sein, mit großen Internetseiten-Betreibern in Kontakt zu kommen. Es ist schwierig, eine Seite zu löschen, wenn man die Zugangsdaten nicht hat. Bei Facebook einen Ansprechpartner zu erreichen, ist fast unmöglich."
Dort wurde zwar vor Kurzem die Policy für den Todesfall geändert, aber es sind immer noch viele Schritte notwendig, unter anderem muss man eine Sterbeurkunde vorlegen, um eine Todesanzeige veröffentlichen zu können, weiß die Gründerin von MyWebwill zu berichten.
Bedürfnis nach Ritualen
Unser Leben spielt sich immer mehr im Internet ab, stellen Granberg und Tybring im Firmenvideo auf ihrer Internetseite fest. Sogenannte soziale Medien wie Facebook und Twitter haben Millionen Anwender, Abermillionen Fotos werden jeden Monat ins Internet hochgeladen. Es geht darum, den anderen an seinem Leben teilhaben zu lassen. Dazu gehört auch der Tod, hat Medienforscher Anders Larsson von der Universität Uppsala festgestellt und nennt ein Beispiel: "Ein Spieler hinter einer Figur aus dem virtuellen Fantasyspiel World of Warcraft war bei einem Verkehrsunfall gestorben. Seine Spielkameraden veranstalteten daraufhin ein Begräbnis im Spiel, das sie zusätzlich filmten, um sich an ihn zu erinnern."
Im Film sieht man eine große gotische Kathedrale, auf deren Altarplatz ein offener Sarg steht. Um ihn herum bevölkern die verschiedensten Fantasiefiguren die Szene, dazu erklingt ein melancholischer Popsong. Eine andere Form des Gedenkens ist, eine existierende Seite zu einem Ort der Erinnerung umzugestalten, wie es im Fall eines 15-Jährigen Mädchens geschah, das im vergangenen Jahr von einem Kameraden ermordet wurde: "Das zeigt, dass wir Menschen rituelle Wesen sind. Auch, wenn wir uns gerne einreden, wir wären säkularisiert und bräuchten keine religiösen Rituale mehr. Aber das Beispiel der Gedächtnisseiten zeigt, dass wir diese Bedürfnisse bis heute haben. Ein Online-Begräbnisritual ist als gingen wir zu einem Grab und legten eine Blume nieder", sagt Anders Larsson.
Erbfolge geregelt
Und wer tot ist, soll auch das Recht haben, im Internet einen Schlußstrich zu ziehen, finden die Gründerinnen von My Webwill. Für 20 Euro im Jahr speichern sie die Wünsche ihrer Kunden für den Todesfall. Von der Löschung des E-Mailkontos bis hin zur Übertragung von World-of-Warcraft-Figuren. Eine Blutelfe, Stufe 70, kann dann in Zukunft problemlos auf die Tochter vererbt werden.
Autorin: Agnes Bührig
Redaktion: Fabian Schmidt