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Mein Deutschland: Der Mainzer und der Chinese

Zhang Danhong8. Oktober 2015

Den Mainzer Johannes Gutenberg kennt hierzulande fast jeder. Seine Erfindung hat die Welt verändert. Doch war der Buchdruck wirklich sein Patent? Unsere Kolumnistin Zhang Danhong kennt eine andere Version.

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Die Werkstatt von Johannes Gutenberg (Foto: Westfaelisches Schulmuseum)
So sah die Werkstatt von Johannes Gutenberg ausBild: picture-alliance/akg-images

Geboren ist er ungefähr im Jahr 970 in der chinesischen Song-Dynastie. Als Handwerker in einer Druckerei empfindet er den Blockdruck als mühsam und aufwendig - Bi Sheng grübelt über Alternativen. Als er einmal seinen Kindern zusieht, wie sie aus Lehm Figuren formen und sie hin und her schieben, bekommt er die zündende Idee: Für die einzelnen Schriftzeichen fertigte er Druckstempel aus gebranntem Ton an. Von jedem Schriftzeichen hatte er mehrere Stücke, um für Wiederholungen auf einer Seite gerüstet zu sein.

Der Druckstock, bestehend aus einem Eisenrahmen und den vielen Schriftzeichen, wurde auf einer Eisenplatte erhitzt, bis die Paste an der Rückseite der Lettern verschmolz und die Zeichen freigab. Nach dem Druck wurden die Druckstempel in eine Holzschachtel gelegt und bis zum nächten Einsatz aufbewahrt.

Durch die beweglichen Zeichen wurde der Buchdruck enorm erleichtert. Die Zeichen aus Ton und später aus Keramik und Holz hatten allerdings einige Nachteile: Sie waren nicht robust genug, nicht gleichmäßig, der Rand nicht scharf und präzise. Wahrscheinlich hatte die riesige Anzahl chinesischer Schriftzeichen Bi Sheng mehr zu schaffen gemacht als die Erfindung an sich. Auf jeden Fall wurde die Technik nicht weiter perfektioniert und marktreif gemacht.

Chinas Technik aus beweglichen Druckbuchstaben aus Holz (Foto: (Xinhua/Zhuang Yingchang)
Die vielen Schriftzeichen machten das Drucken zu einem schwierigen UnterfangenBild: imago

Kleinere Erfindungen führen zum Durchbruch

Ganz anders Johannes Gutenberg. Er war Erfinder und Unternehmer zugleich. Überzeugt von sich selbst baute er mit geliehenem Geld 1447, drei Jahre vor dem großen Durchbruch, eine Werkstatt mit 20 Mitarbeitern auf. Seine Buchstaben waren aus einer Legierung aus Zinn, Blei und Antimon. Dann entwickelte er ein Handgießgerät, mit dem die flüssige Legierung schnell zu gleichmäßigen Lettern zusammenfloss. Analog zur Weinpresse konstruierte Gutenberg eine Druckerpresse. Im Gegensatz zu Bi Sheng musste er allerdings weitaus weniger Buchstaben zu Drucklettern bearbeiten.

Die mit der neuen Technik gedruckte Bibel wurde zum Verkaufsschlager. Auch der Papst schwärmte davon. Die heute im Gutenberg-Museum in Mainz ausgestellte Gutenberg-Bibel sieht noch aus wie frisch gedruckt. Der Erfindergeist und der Geschäftssinn verhalfen dem Mainzer zu Ruhm und Geld. Seine Mitstreiter sorgten nach seinem Ableben dafür, dass sich die Technik in ganz Europa ausbreitet.

Doppelseite einer Bibel (Foto: Gutenberg-Museum)
Die Bibel - von Johannes Gutenberg persönlich gedrucktBild: Gutenberg-Museum

Es ist das Glück von Martin Luther, dass er ein halbes Jahrhundert nach Gutenberg gewirkt hat. So wird seine Bibel auf Deutsch zum Bestseller. Ohne Buchdruck wäre die Reformation und später die Aufklärung unvorstellbar.

Gelang der Buchdruck von China nach Europa?

Bleibt die Frage, ob Johannes Gutenberg auf Basis von Bi Shengs Erfindung weiter getüftelt oder ob er ohne Kenntnis davon 400 Jahre später neu angefangen hatte? Naturgemäß behaupten die Chinesen das erstere. Im Baidu-Lexikon, dem chinesischen Wikipedia, steht unter dem Begriff "Bi Sheng" unter anderem: "vom 13. bis zum 19. Jahrhundert wurde seine Erfindung weltweit verbreitet. Er wird von allen Völkern auf Welt als der große Revolutionär in der Geschichte des Buchdrucks bezeichnet." Hierzulande ist diese These zumindest umstritten. Das Gutenberg-Verfahren zur Herstellung von Lettern sei ein völlig anderes als das von Bi Sheng, sagt Claus Maywald vom Gutenberg-Museum: "Wir haben keinen Beweis dafür, dass die Erfindung des Buchdrucks - wie zum Beispiel das Papier - von Ost nach West gewandert ist."

DW-Redakteurin Zhang Danhong (Foto: DW)
DW-Redakteurin Zhang Danhong
Mainz - Gutenberg-Museum
Das Gutenberg-Museum in der Mainzer InnenstadtBild: Gutenberg-Museum/M. Pipprich

Die innovativen Chinesen haben nämlich auch das Papier erfunden. Durch die arabische Welt gelang es nach Europa. Wieder waren es die Europäer, die durch eigene Innovationen die maschinelle Massenproduktion von Papier schafften.

Ähnlich verhält es sich mit anderen bahnbrechenden Erfindungen. Die Chinesen wussten sich als erste mit dem Kompass zu orientieren; die Europäer eroberten damit die Welt. Chinesische Chemiker forschten im Auftrag der Kaiser nach Pillen für ein ewiges Leben und erfanden dabei zufällig das Schießpulver; daraufhin bastelten die Engländer die ersten Kanonen und überraschten damit die deutsch-französische Armee in der Crecy-Schlacht.

Drei Erfindungen als Basis für den Kapitalismus

Das war der Anfang vom Ende der Ritter, die nur im Nahkampf glänzen konnten. Karl Marx sagte einmal: "Schießpulver sprengte die Ritterklasse in die Luft, der Kompass entdeckte den Weltmarkt und gründete die Kolonien, und die Druckerpresse war das Werkzeug des Protestantismus und die Regeneration der Wissenschaft." Bitter für die Chinesen, die Karl Marx über alle Maßen verehren, dass er ihnen die drei Erfindungen nicht zuordnete.

Karl Marx (Foto: Henry Guttmann/Getty Images)
Karl Marx würdigte die Verdienste der Chinesen nichtBild: Getty Images

Letztendlich ist es nicht entscheidend, wer welche Technik als erster erfunden hat; wichtiger ist, was man aus der Erfindung macht. So haben die Chinesen Bi Shengs Technik nicht weiter verfolgt und nutzen stattdessen seit dem 19. Jahrhundert Gutenbergs Druckerpresse.

Immerhin verneigt sich das Gutenberg-Museum vor Bi Sheng, indem es ihm und seiner Drucktechnik einen eigenen Raum gewidmet hat.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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