1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aufruf zur Gelassenheit

Michael Gessat23. September 2012

Die Aufregung rund um das Mohammed-Video und die neuen Karikaturen machen vielen Menschen in Deutschland Sorgen. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime (ZMD), rät zur Gelassenheit.

https://p.dw.com/p/16D5D
Der Generalsekretär des Zentralrat der Muslime in Deutschland Aiman Mazyek (Foto: dpa)
Aiman MazyekBild: picture-alliance/dpa

Rund 4000 Salafisten gibt es in Deutschland, ein Teil davon sind Konvertiten. Für die radikal-islamistische, zum Teil gewaltbereite Gruppierung sind Verunglimpfungen des Propheten Mohammed das sprichwörtliche "rote Tuch". Populisten vom rechten politischen Rand bietet das wiederum eine willkommene Steilvorlage für gezielte Provokationen.

DW: Herr Mazyek, wie soll man als Muslim in Deutschland; wie soll man als Nichtmuslim in Deutschland auf die Aktivitäten von Salafisten reagieren?

Aiman Mazyek: Gelassener. Wir müssen aufpassen, dass wir dem extremen Mist auf beiden Seiten nicht ein Forum bieten, indem wir ihm viel mehr Raum im gesellschaftlichen Diskurs geben als notwendig ist. Salafisten sind eine absolute Minderheit. Und wir müssen einfach unseren Glauben richtig und wahrhaftig leben. Das ist die beste Prävention, um den Extremen in der Religion zu begegnen. Es gibt einen schönen Ausspruch des Propheten: "Ich warne vor der Übertreibung in der Religion". Und das hat er aus einem klaren Verständnis gemacht, dass die Übertreibung in der Religion letztlich zu einem Fanatismus führt, und der zerstört die Religion ja selber.

Ist Ihrer Meinung nach ein Dialog mit einem überzeugten Salafisten überhaupt noch möglich?

Das ist schon schwierig, weil Dialog eben genau da endet, wo einer den anderen als vogelfrei erklärt. Dieses inquisitorische, dieses religionspolizeiliche Verhalten ist ja leider kein Phänomen, das sich nur im Islam findet, sondern das kennen wir auch aus anderen Religionen. Letztendlich geht es da gar nicht um den Glaubenserhalt, sondern um Macht. Und das geht dann soweit, dass man nicht nur die Religion missbraucht, sondern sie pervertiert, sie in das völlige Gegenteil umschlägt; dass man Dinge tut, die ausdrücklich im Islam verboten sind, und sie dann als richtig erklärt oder umgekehrt.

Salafisten beten am auf dem Potsdamer Platz in Berlin (Foto: Britta Pedersen/dpa)
Salafisten in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Viele Deutsche sind sehr irritiert über die Heftigkeit der Aufregung unter Muslimen über den Film "Innocence of Muslims" - und damit meine ich nicht nur die gewalttätigen Anschläge und Angriffe auf Botschaften, sondern auch Dinge wie einen landesweiten Protesttag in Pakistan. Können Sie diese Irritation unter Nichtmuslimen nachvollziehen?

Natürlich kann ich die nachvollziehen. Und deswegen will ich das auch selbstverständlich nicht entschuldigen - wir haben das ja auch verurteilt in jeder Hinsicht. Stattdessen versuche ich, Situationen und Gesellschaften zu beschreiben; dann kommen wir ein Stück weiter. In Pakistan zum Beispiel haben wir ein Volk, das in den letzten Jahren Demütigungen erleben musste; mit einer korrupten Regierung, gegen die vorzugehen sehr schwer oder sehr gefährlich ist. Und wenn dann eine Lunte gelegt wird und ein Ventil entsteht, durch das man seinem Frust und seiner Wut freien Lauf lässt, dann tut man das. Da geht es weniger um diesen Film, weniger um dieses Schmuddelvideo, sondern mehr darum, seiner Wut einfach freien Lauf zu lassen. Letzteres ist aber keine Attitüde und kein Verhalten eines guten Moslems. Und darum sagen auch die muslimischen Gelehrten in der Welt, das ist nicht rechtens. Und sie sagen: Auch wenn ihr in einem Zustand der Ungerechtigkeit in der Welt lebt, macht darauf friedlich aufmerksam, versucht dagegen anzukämpfen, durch Demonstrationen und anderes mehr, aber nicht durch Gewalt, schon gar nicht durch Gewalt gegen unschuldige Menschen. Dass dies passiert, ist ein Beleg dafür, wie fragil diese Gesellschaften sind.

Sie haben von der Notwendigkeit des respektvollen Umgangs miteinander gesprochen und von der Zulässigkeit respektvoller Kritik an der Religion oder religiösen Werten. Nun ist aber in westlichen Demokratien durchaus auch respektlose Kritik zulässig - im Rahmen der Meinungsfreiheit, im Rahmen z.B. auch der Kunst- oder Satirefreiheit. Wie viel Verständnis oder Toleranz bringt ein "durchschnittlicher" Moslem in Deutschland dafür auf?

Diese Frage ist so pauschal gestellt: Ein "durchschnittlicher Moslem". Ich möchte nicht als Leidender, als Opfer dastehen, aber fast im Dreimonatsabstand wird eine neue Sau durchs Dorf gejagt, was solche Fragen angeht. Und wir müssen dann immer Stellung beziehen, uns distanzieren und erklären; bisweilen leider auch verurteilen, wenn schlimme Sachen passieren. Und das lenkt natürlich wahnsinnig ab von der eigentlichen Arbeit, die wir tagtäglich machen: die Betreuung, die Seelsorge, die Aufrechterhaltung der Moscheen - das ist nicht so einfach.