Massenkundgebung in Israel gegen Regierungschef Netanjahu
7. April 2024Zehntausende Menschen haben am Samstagabend in Tel Aviv und anderen israelischen Städten gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu demonstriert. Sie forderten ernsthaftere Bemühungen um die Freilassung der von der islamistischen Hamas verschleppten Geiseln. Außerdem verlangten sie nach Angaben von Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP den sofortigen Rücktritt des Ministerpräsidenten und Neuwahlen.
Erinnerung an Netanjahus Bruder
An diesem Sonntag ist es genau sechs Monate her, dass Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen den Süden Israels überfielen, mehr als 1100 Menschen töteten und weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppten. Die militante Palästinenserorganisation Hamas wird von Israel, Deutschland, der EU, den USA und anderen Staaten als Terrororganisation gelistet.
Einer der Redner in Tel Aviv erinnerte an Netanjahus Bruder Joni, der 1976 als Elitesoldat bei der Befreiung von Geiseln aus einem von palästinensischen und deutschen Terroristen entführten Flugzeug ums Leben gekommen war. "Und was ist mit dir, Bibi?", fragte er, Netanjahu mit der Kurzform seines Vornamens ansprechend. "Was hast du getan? Was wird dein Erbe sein? Nichts als politischer Spin und Intrige (...) wird dein Erbe sein."
Weitere Demonstration für die Freilassung der Geiseln geplant
Der wegen Korruption angeklagte Regierungschef hatte schon vor dem Beginn des Gaza-Kriegs wegen einer umstrittenen Justizreform unter starkem politischen Druck gestanden. Für Sonntag ist in Jerusalem eine weitere Demonstration für die Freilassung der Hamas-Geiseln geplant.
Die Demonstranten entzündeten mehrere Feuer auf der Straße. Polizisten schritten ein und löschten sie mit Feuerlöschern. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen Beamten und Demonstranten, wie Medien berichteten. An einer anderen Stelle überfuhr ein Auto offenbar mutwillig drei Kundgebungsteilnehmer, die Verletzungen erlitten. Die Polizei nahm den Fahrer des Wagens fest.
Demonstrationen gab es auch in Jerusalem, Haifa, Beerscheba, Herzlija und in Caesarea vor einer Privatvilla Netanjahus. Nach Medienberichten handelte es sich am Samstag um die größte Protestaktion seit dem 7. Oktober, als das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels den Gaza-Krieg auslöste. Israels Streitkräfte reagierten mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive.
Weltweite Kritik an Israel
Wegen seiner Kriegsführung wird Israel inzwischen weltweit kritisiert. Laut der von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsbehörde sind seit Kriegsbeginn 33.175 Palästinenser getötet worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Bis zu 70 Prozent der Opfer sollen Frauen, Minderjährige und ältere Männer sein. Die israelische Armee gab am Sonntagmorgen den Tod vier weiterer Soldaten bekannt. Seit Beginn der israelischen Bodenoffensive Ende Oktober sind damit 260 Soldaten und Soldatinnen ums Leben gekommen, wie die "Times of Israel" berichtete.
Abzug aus Chan Junis
Die israelische Armee betonte am Sonntag, sie habe ihre Truppen aus der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens abgezogen. "Die 98. Kommando-Abteilung hat ihren Einsatz in Chan Junis beendet", heißt es in einer Mitteilung der Armee. Sie habe den Gazastreifen verlassen, "um sich zu erholen und auf weitere Operationen vorzubereiten". Erhebliche Truppen verblieben jedoch im Gazastreifen, "und werden die Aktionsfreiheit der israelischen Armee bewahren und ihre Fähigkeiten, präzise Operationen auf der Basis von Geheimdienstinformationen auszuführen", hieß es weiter.
Israelischen Schätzungen zufolge sind heute noch knapp 100 der verbliebenen Geiseln am Leben. Im Rahmen eines Abkommens hatte die Hamas während einer einwöchigen Feuerpause Ende November vergangenen Jahres 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug entließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen.
pg/kle/ack (dpa, afp)