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Mangott: "South Stream wird politisiert"

Nemanja Rujevic 12. Juni 2014

Brüssel hat den Bau der russischen South-Stream-Pipeline mit dem Gasstreit zwischen Moskau und Kiew verknüpft, kommentiert der Osteuropa-Experte Gerhard Mangott im DW-Interview. Doch ein Kompromiss sei möglich.

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Russland-Experte Gerhard Mangott (Foto: Celia di Paoli)
Bild: Celia di Pauli

Deutsche Welle: Der Streit um die Gasleitung South Stream hat sich zugespitzt, als die EU-Kommission Bulgarien aufgefordert hat, die Bauarbeiten vorerst einzustellen. Wie sehen Sie diese Maßnahme?

Gerhard Mangott: Die EU-Kommission hat - nach Äußerungen mancher ihrer Vertreter - die Fortschritte bei der Genehmigung der South-Stream-Pipeline an Entwicklungen in der Ukraine verknüpft. Das ist neu, denn bislang hat man den russischen Konzern Gazprom nur daran erinnert, dass nach EU-Regeln bestimmte Auflagen zu erfüllen sind. Jetzt haben wir eine klare Politisierung dieser Pipeline. Es stellt sich die Frage, ob die EU-Kommission die Energiepolitik unter dem Prisma allgemeiner Außenpolitik betreibt. Das ist eine eher besorgniserregende Entwicklung, denn die Kommission sollte für die Energiesicherheit der EU arbeiten - und nicht Außenpolitik betreiben.

Wie bewerten Sie die Behauptungen mancher Beobachter, dass Brüssel das Projekt South Stream benutzt, um Moskau unter Druck zu setzen?

Im Augenblick möchte die Europäische Kommission nicht einmal ernsthafte Gespräche mit Gazprom führen, wenn es um die Erfüllung der Bedingungen des Dritten Energiepaketes (das 2009 vom EU-Parlament zur Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte beschlossen wurde, Anm. d. Red.) geht, besonders was den Zugang dritter Anbieter zur Gasleitungs-Infrastruktur und die Festsetzung der Preise für Gastransport betrifft. Die Kommission wird diese Gespräche wieder ernsthaft aufnehmen, wenn Russland sich aus der europäischen Sicht in der Ukraine gut verhält. Es werden Themen benutzt, die nichts mit der europäischen Energiepolitik zu tun haben, um Russland unter Druck zu setzen. Das ist eine Art der Sanktionen durch die Hintertür gegen Gazprom.

Sechs EU-Länder (Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Ungarn, Slowenien und Österreich) sowie der Beitrittskandidat Serbien sind sehr an einer funktionierenden South-Stream-Pipeline interessiert. Gibt es Streitigkeiten in Brüssel wegen dem aktuellen Stopp der Bauarbeiten?

Die Länder haben mit Russland bilaterale Verträge unterzeichnet, die juristisch gültig sind. Moskau könnte gegen sie auch rechtlich vorgehen. Es ist aber schwer vorstellbar, dass Russland gegen Bulgarien oder andere Länder, die am South-Stream-Projekt beteiligt sind, zu Sanktionen greift. Denn damit würde Moskau das eigene Projekt völlig blockieren. Jene EU-Länder, die beim Thema South Stream Druck ausüben, arbeiten bei dieser Frage nicht mit Russland zusammen - etwa Großbritannien, Schweden und mehrere osteuropäische Staaten. Leider mischen sich die USA ein, obwohl es um europäische Energiepolitik geht, die nicht transatlantisch verhandelt werden sollte.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat neulich einen Vertrag mit dem chinesischen Staatschef unterzeichnet, es geht um Gaslieferungen in Wert von 400 Milliarden Dollar. Doch Europa bleibt weiterhin der wichtigste Kunde Russlands in diesem Bereich. Ist der Kreml jetzt unter Druck?

Russland ist schon unter Druck. Die Ukraine verlangt von Moskau einen günstigeren Gaspreis, um überhaupt die Gasschuldenfrage zu klären. Moskau könnte sagen: Wir liefern nichts mehr an die Ukraine. In diesem Fall wäre aber auch der Gastransit nach Europa betroffen - und Gazprom kann es sich derzeit nicht leisten, gegenüber Europa als unzuverlässiger Gaslieferant aufzutreten.

Ist es nicht zu viel, was Russland von Kiew verlangt hatte, nämlich fast 500 US-Dollar pro tausend Kubikmeter Gas?

Das ist zweifellos zu viel. Die Rückkehr zu den alten Preisen von 2010 kann Russland nicht umsetzen. Umgekehrt ist aber auch die Forderung der Ukraine, nur 265 US-Dollar zu bezahlen, völlig inakzeptabel. Das liegt deutlich unter den Preisen, die Gazprom durchschnittlich von europäischen Abnehmern fordert. Die Ukraine sieht sich offensichtlich in einer starken Verhandlungsposition, sonst würde sie nicht so hartnäckig von Gazprom einen niedrigen Preis verlangen.

Es ist unwahrscheinlich, dass die South-Stream-Pipeline schon Ende 2015 funktioniert, wie ursprünglich geplant. Doch wie könnte ein Kompromiss im Streit um dieses Projekt aussehen?

Ich glaube, das langfristige Ziel der EU-Kommission ist, dass Russland eine Mindesttransportmenge von Erdgas durch die Ukraine garantiert, bevor die EU tatsächlich bereit ist, mit Moskau einen Kompromiss über South Stream zu schließen. Aus der Sicht der EU-Kommission schädigt die South-Stream-Pipeline direkt die Ukraine - weil Gas, das sonst über die Ukraine transportiert worden wäre, dann durch diese neue Gasleitung transportiert wird und die Ukraine umgeht. Das bedeutet, dass die Ukraine die Transiteinnahmen verliert. Das Ziel der EU ist, dass die Ukraine nicht das gesamte Gasgeschäft verliert, sondern nur einen Teil.

Gerhard Mangott ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Er ist unter anderem Experte für Russland, die Ukraine und die Energiesicherheit der EU im Öl- und Gassektor.