Lost Generation im Jemen
Der Jugend im Jemen eilt der Ruf voraus, ohne Zuversicht und ohne Träume zu sein. Ist das übertrieben?
Die Touristen verstehen
Hail, 24, studiert seit vier Jahren Deutsch an der Universität in Sana’a. Sein Ziel: Er möchte Übersetzer und Dolmetscher werden. "Ich war früher als Guide mit deutschen Touristen im Jemen unterwegs, so kam ich darauf, Deutsch zu studieren. Deutsch sprechen zu können, ist im Jemen sehr nützlich, nicht nur wegen der Touristen. Es gibt auch viele deutsche Firmen hier." Einmal war Hail schon in Deutschland, für einen Sommerkurs in Heidelberg. Er hofft, dass er bald wiederkommen kann.
Englisch statt Khat
Ali ist 15 und im ersten Jahr der Highschool. "Ich will Architektur studieren“, sagt er. Khat-Blätter kaut Ali nicht. "Ich denke lieber an meine Zukunft und an mein Englisch“, sagt er mit ernster Miene. Englisch lernt er am Nachmittag in einem privaten Institut. In der Schule hat er zwar auch Englisch, aber "da lernt man nicht viel.“ Ali ist froh, dass sich seine Eltern die Gebühren der Sprachschule leisten können.
Buntes Fenster zur Stadt
Muhammad, 22, ist vor sechs Jahren aus einem Dorf nach Sana'a gezogen. Mit nichts als dem Kontakt zu einem Bekannten, der aus demselben Dorf stammt und in Sana’a kunstvoll gestaltete Mosaik-Fenster baut. „Nur durch das Zusehen habe ich das dann auch gelernt", erzählt Muhammad. Täglich arbeitet er in der Fenster-Werkstatt. Nachmittags kaut er dabei Khat. Über Träume oder Pläne spricht Muhammad nicht. Er redet ohnehin nicht viel, viel lieber gestaltet er die bunten Fenster.
Jurist such Job
Jalal ist 25 und hat Jura studiert. Jetzt sucht er einen Job in einer Kanzlei. "Findet man leicht, wenn man wichtige Leute kennt, im Regierungsapparat“, erzählt er und schaut auf seine Khat-Tüte. Jalal kennt keine wichtigen Leute. Jeden Nachmittag trifft er sich mit seinen Freunden in einer Werkstatt für Kopierer zum Khat-Kauen. Für eine kleine Tüte musste er heute ungefähr 1500 Rial bezahlen, knapp sechs Euro. Im Winter ist Khat fast doppelt so teuer wie im Sommer.
Mein Ziel: Professorin
Abir ist 22. "Ich lerne Deutsch, weil Englisch sehr leicht ist und man Deutsch nur an der Uni lernen kann. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland aus dem Nichts ein wunderschönes Land aufgebaut. Ich war letzten Sommer in Göttingen, habe einen Sprachkurs gemacht. Außerdem war ich in Berlin, Köln und Bonn. Es war sehr schön. Ich studiere seit 4 Jahren Deutsch. Später will ich eine Professorin sein."
An der Schuh-Garderobe
Fuad ist 22 Jahre alt und kommt aus Sana’a. Seit der Eröffnung der gigantischen al-Salih-Moschee im Herbst 2008 arbeitet er an der, im Jemen außergewöhnlichen Schuh-Rezeption des Gotteshauses. Dort können die Besucher der Moschee Fuad ihr Schuhwerk geben. Der nimmt die Schuhe an und gibt pro Schuhfach einen grünen Plastik-Chip heraus. „Dann finden sich Schuhe und Moscheebesucher wieder“, sagt er. Meist ist wenig los an der al-Salih-Moschee, denn die Bewohner von Sana’a beten lieber bei sich um die Ecke. Und viele halten die luxuriöse Riesenmoschee für übertrieben. Fuad gefällt die al-Salih-Moschee, schließlich hat er hier einen guten Job.
14 Jahre Ringe
Ahmad ist 28. Sein halbes Leben schon produziert er Silberringe in seiner Werkstatt in der Altstadt von Sana’a. Neun Jahre ist er zur Schule gegangen, dann hat er sein Handwerk in einem Ausbildungszentrum gelernt. "Ich möchte mein Leben lang nichts anderes machen", sagt er schüchtern. Dann blickt er wieder konzentriert auf die Flamme seines Brenners. Pro Tag schafft er etwa 35 Ringe. In die meisten setzt er Edelsteine ein. Den Schmuck verkauft Ahmad an die Souvenirhändler in der Altstadt.
Keine Zeit für Träume
Sein genaues Alter kennt Khalil nicht. Er geht in die 8. Klasse, allerdings nicht jeden Tag, sondern nur für die Prüfungen. Was er einmal werden möchte, weiß Khalil nicht. Träume oder Pläne hat er nicht. Khalil muss seine Familie ernähren. Er ist der Älteste von fünf Kindern, seine Eltern können nicht arbeiten. "Mein Vater ist müde“, sagt er ohne weitere Erklärungen. Jeden Tag verkauft Khalil Socken. Von neun Uhr morgens bis zum Nachmittag an Studenten vor dem Haupteingang der Universität. Danach zieht er um in eine Einkaufsstraße und bleibt dort bis zehn Uhr abends. Khalils Stand ist illegal und manchmal vertreibt ihn die Polizei. Was er pro Tag verdient, möchte Khalil nicht sagen.
Khat, Chemie und Krummdolche
Ali ist 16 und geht noch zur Schule. "In den letzten drei Schuljahren müssen viel lernen, um dranzubleiben", sagt er. Heute Nachmittag büffelt er im Geschäft seines Bruders Chemie. Drei Stunden pro Tag hilft Ali in dem Krummdolch-Laden aus. Meistens ist wenig los und er kann nebenbei Hausaufgaben machen und sich die aufputschenden Khat-Blätter in die Backe stecken. "Viele in meiner Klasse kauen Khat, gerade in der Prüfungszeit“, erzählt Ali. Blättert um liest weiter in seinem Chemiebuch. Nach der Schule will er Medizin studieren.