Long-COVID: Mehr Hilfe für Betroffene
9. September 2022Wer zu Max Pensel will, der braucht viel Geduld. Knapp 400 Menschen stehen beim Arzt an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn und seinen Kollegen auf der Warteliste. Sie alle leiden an den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion und wollen so schnell wie möglich einen Termin in der neu geschaffenen Post-COVID-Ambulanz in Bonn. Eine Anlaufstelle für alle Betroffene, die nun nicht mehr Arzt um Arzt abklappern müssen.
In ganz Deutschland schießen solche Ambulanzen aus dem Boden, nachdem es anfänglich fast keine gegeben hatte - noch sind es nicht genug. Pensels Idee war es, die psychischen Folgen des Krankheitsbildes genauer unter die Lupe zu nehmen. Er sagt: "Gerade die Altersgruppe von 30 bis 50 Jahren ist von diesen Symptomen besonders häufig betroffen. Also viele, die mitten im Leben stehen und natürlich auch viele Aufgaben haben."
Aufgaben, die sie im Alltag nicht mehr bewältigen können. Laut Robert-Koch-Institut sind vier Wochen nach einer Corona-Infektion noch 5,8 Prozent der Infizierten krankgeschrieben. Nach drei Monaten klagt noch jeder Zehnte über Symptome wie Müdigkeit und Antriebslosigkeit, Kurzatmigkeit oder auch Konzentrations- und Gedächtnisprobleme.
Ein halbes Jahr nach der Infektion entwickeln ein bis zwei Prozent die Diagnosekriterien für das Chronische Fatigue-Syndrom. Unter Post-COVID versteht man gesundheitliche Beschwerden mehr als zwölf Wochen nach der Infektion. Von Long-COVID sprechen Wissenschaftler bei Symptomen nach mehr als vier Wochen nach der Ansteckung.
Zwischen Besserung und Verzweiflung
Zur Wahrheit gehört auch: Viele Patientinnen und Patienten auf Pensels Liste geht es wieder besser, wenn sie endlich an der Reihe sind. "Die sagen dann: 'Ich weiß gar nicht, ob ich den Termin noch wahrnehmen soll, es geht mir schon deutlich besser', einfach durch den Zeitablauf", sagt der Mediziner: "Nach mehreren Monaten oder einem Jahr berichten auch laut Studien deutlich weniger Patienten von Symptomen. Einige sind aber weiterhin sehr verzweifelt."
So wie der Patient, der zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 in einer Rehaklinik war, wegen einer Corona-Infektion nur einmal die Woche Besuch bekam und völlig isoliert war. Dieser Mann, sagt Pensel, leide bis heute. Der Arzt hört häufig Fragen wie diese, die mit einem positiven Corona-Test verbunden sind: "Wen habe ich alles getroffen? Bin ich schuld, dass ich jemand anders angesteckt habe? Habe ich irgendetwas Schlimmes gemacht?"
Auch Patienten mit Post-Vac-Syndrom in der Ambulanz
Max Pensel empfängt auch immer mehr Patienten zum Erstgespräch, die am sogenannten Post-Vac-Syndrom leiden: junge, oft sportliche Menschen, die nach einer Impfung langanhaltende Symptome entwickeln. Ein Thema, das in der deutschen Öffentlichkeit bislang noch wenig Beachtung findet.
Pensel berichtet von einem jungen Mann, der jedes Wochenende 200 Kilometer mit dem Fahrrad fuhr und sich auf einen Triathlon vorbereitete: "Er musste dann auf dem Fahrrad-Ergometer total schnell abbrechen, später wurde eine Myokarditis festgestellt, er hat Angst bekommen. Bei seiner früheren Hausärztin fühlte er sich nicht ernst genommen. Weil es ja anfangs hieß, das sei (nach der Impfung, Red.) gar nicht möglich oder nur in extremen Ausnahmefällen. Jetzt geht es ihm besser, aber er ist immer noch meilenweit von seinem Leistungsniveau entfernt."
Jeder Vierte, der in die Post-COVID-Ambulanz kommt, ist bereits in psychischer Therapie. Bei weiteren 40 Prozent der Betroffenen legt die Anamnese eine psychische Störung nahe. Für etliche Long-COVID-Patienten ist also nicht nur die Treppe mit den vielen Stufen plötzlich eine neue Herkulesaufgabe, sondern auch, im Kopf mit der Eingeschränktheit klarzukommen.
Die Erfahrung, die der Arzt seit der Eröffnung der Ambulanz vor drei Monaten gemacht hat: "Mit Psychotherapie, Physiotherapie und Medikamenten wie Psychopharmaka und Schmerzmitteln können neurologische und psychiatrische Symptome gut behandelt werden." Pensel fordert: "Die Pandemie an sich ging ja schon mit einer Zunahme an psychischen Erkrankungen einher. Deutschland braucht da ein noch breiteres Angebot."
Mangel an Patientenorientierung
Ein Appell, den Pia Chowdhury wohl sofort unterschreiben würde. Sie gehört zu den wenigen Long-COVID-Patientinnen, die ihre Krankheit in den Medien öffentlich gemacht haben. Noch weniger sind es, die sich in lokalen Selbsthilfegruppen oder bundesweiten Initiativen wie Long COVID Deutschland aktiv für die Betroffenen einsetzen. Chowdhury zählt dazu, sie kämpft gleich doppelt: gegen ihre eigene Krankheit und für die Belange der anderen Patienten in der von ihr mitgegründeten Initiative "Post COVID - genesen und doch nicht gesund" in Bonn.
"Das ist mit so einer Erkrankung natürlich nicht einfach. Wir haben immer wieder Ausfälle, weil wir es ja alle nebenher machen, neben unserer Genesung. Und wir bemühen uns natürlich alle, wieder ins Arbeitsleben zurückzukommen", schildert sie die Herausforderung. "Was wir versuchen, ist, mit Politikern aus dem Bundestag, mit Patientenvertretungen, mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und Unikliniken ins Gespräch zu kommen, sie als Institutionen mit ins Boot zu holen."
Chowdhury will, dass sich das deutsche Gesundheitssystem endlich an den Long-COVID-Patienten orientiert und nicht umgekehrt. Damit es ihr nicht mehr so ergeht wie damals in einer Post-COVID-Ambulanz, als sie von den Ärzten abgekanzelt wurde. "Da denke ich, Leute, geht besser gar nicht auf Patienten zu, lasst es lieber, ihr schadet mehr, als das ihr nützt", sagt sie und nennt ein weiteres Beispiel: "Wenn ich als Long-COVID-Patient einen Schwerbehindertenantrag oder einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stelle, kommt es immer darauf an, auf welchen Mitarbeiter ich treffe."
Long-COVID jetzt auch Grund für Berufsunfähigkeit
Immerhin scheint sich in Deutschland langsam etwas zu tun: Die Debeka-Versicherungsgruppe meldet erstmals auch Corona als Grund für eine anerkannte Berufsunfähigkeit, verbunden mit einer Invalidenrente. "Wir hatten 2021 die ersten sechs Fälle, da zahlen wir", sagte Vorstandschef Thomas Brahm der Deutschen Presse-Agentur. Doch Pia Chowdhury will mehr, sie sieht sich auch als Vorreiterin für Betroffene mit anderen Krankheiten.
"Was uns von den anderen Organisationen unterscheidet ist, dass wir aus einer akuten Erkrankung kommen und relativ schnell mediale Aufmerksamkeit erhalten haben, während andere zehn Jahre erfolglos darum gekämpft haben", sagt sie. Für Patienten mit anderen Erkrankungen sei das nicht leicht: "Das schlägt jetzt ein wenig auf uns zurück nach dem Motto: Euch geht es ja gut, Ihr werdet gesehen, Euch wird schon geholfen."
Long-COVID-Patienten landen mittlerweile bei Physio- und Ergotherapeuten oder Logopäden, die sie behandeln. Post-COVID-Ambulanzen entstehen, wenn auch nur in den Städten. Und immer mehr Studien erforschen die langfristigen Folgen einer Infektion. Zweieinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie hat sich einiges getan.
Alles stehe und falle immer noch mit dem Hausarzt, sagt Pia Chowdhury: "Das ist das Wichtigste: Ärzte, wo ich meine Fragen stellen kann und die einen ernst nehmen. Wo ich nicht ausgelacht oder weggeschickt werde, und so getan wird, als ob man nicht krank sei. Man braucht immer einen Arzt, der an Long-COVID glaubt."