Neue Zivilgesellschaft
24. April 2012Dorothea Haerlin steht in einen blauen Müllsack gewickelt auf dem Globalisierungskongress "McPlanet.com" in Berlin. Mit einem selbst gebastelten Wasserdrachen protestieren die 65-Jährige und ihre Mitstreiter gegen die Privatisierung der städtischen Wasserbetriebe. Die meisten der 20-30 Aktivisten sind bereits im Rentenalter. Mit ihrem Protest haben sie bereits einen Volksentscheid zur Wasserprivatisierung in Berlin durchgesetzt.
Die Anzahl der Menschen sei nicht entscheidend, meint Dorothea Haerlin. "Wenn es einen harten Kern von Leuten gibt, die sich gemeinsam für Wasser engagieren, können sie eine unheimliche Dynamik entwickeln." Ausschlaggebend bei der Mobilisierung der Bevölkerung seien vor allem direkte Gespräche bei Konferenzen oder an Informationsständen. „Wenn die Inhalte überzeugen, dann schließen sich spontan Tausende den Forderungen an und helfen mit, einen Volksentscheid wie in Berlin zu organisieren", sagt Dorothea Haerlin.
Weltweite Solidarität
Für die ehemalige Lehrerin ist der Kampf ums Wasser eine neue Lebensaufgabe. Im März war sie beim alternativen Weltwasserforum in Marseille, wo über 5000 Menschen zusammentrafen. Dort berieten sie Strategien, wie die Privatisierung des Wassers gestoppt werden kann. Nicht die Konzerne, sondern die lokalen Verbraucher sollten die Kontrolle über die Wasserversorgung haben, so die Forderungen.
Dorothea Haerlin hat dort Gleichgesinnte aus Entwicklungsländern getroffen: "Das hat mir persönlich großen Auftrieb gegeben, wenn ich sehe, wie in Lateinamerika, in Asien, in Afrika die Menschen für das Gleiche kämpfen wie wir."
Lokal wird global
Ähnliche Ziele verbinden die Aktivisten und mit neuen technischen Möglichkeiten wird der lokale Protest schnell zum globalen Ereignis. Auch zum fünften "McPlanet.com-Kongress" in Berlin kamen Teilnehmer aus aller Welt.
Doch die Mobilisierung findet erst einmal auf lokaler Ebene statt. Die Blogger und Internetaktivisten in den arabischen Ländern machten weltweit auf ihre Probleme aufmerksam, weil sie in den regionalen Medien verschwiegen wurden. Über Facebook, Twitter oder YouTube breiteten sich Botschaften und Handybilder blitzschnell aus. "Entscheidend für den Aufstand einer ganzen Region waren jedoch auch hier die direkten Gespräche im Vorfeld", glaubt Jutta Sundermann.
"Facebook und Twitter haben zwar zur Verbreitung der Themen beigetragen. Ohne direkte dezentrale Diskussionsprozesse hätte es aber keine Aufstände gegeben", betont die Aktivistin. Jutta Sundermann hat die globalisierungskritische Organisation Attac mit gegründet. Heute arbeitet sie an zahlreichen Kampagnen mit, vom Kampf gegen Billiglöhne bei der Supermarktkette Lidl bis zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer.
Bildersprache und klares Ziel
Entscheidend für viele Kampagnen seien starke Bilder für die Medien. Allein dadurch verändere sich aber noch lange nichts, ist Jutta Sundermann überzeugt und nennt als Beispiel die Occupy-Bewegung. Die Aufnahmen verbreiteten sich zwar schnell in den Medien, doch das Ziel der Bewegung sei nicht klar gewesen.
"Die Occupier sind auch leicht zu vereinnahmen gewesen", erinnert sich Jutta Sundermann. "Jeder konnte sagen: Bestimmt wollen sie auch noch das und bestimmt wollen sie auch noch jenes. Doch erst wenn die Zielrichtung einer Kampagne klar definiert ist und mit Detailkonzepten konkrete Gegenvorschläge erarbeitet wurden, erst dann schließen sich genug Menschen an.“
Fukushima-Effekt
Manchmal sind es auch Ereignisse wie die Katastrophe von Fukushima, die eine lange Kampagne zum Ziel führen. Gerade erst hatte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken beschlossen, da brachte die Fukushima-Katastrophe plötzlich wieder Zehntausende auf die Straßen, um für den Atomausstieg und eine Energiewende zu protestieren.
"Bewegung kann man nicht am Schreibtisch organisieren. Selbst der beste Aktivist kann das nicht. Bewegung hat etwas damit zu tun, wann Menschen ein Thema wirklich wollen und dann aufspringen", sagt Jutta Sundermann. Wenn dann auch noch die konkreten Gegenvorschläge stimmten, dann könne genug öffentlicher Druck erzeugt werden.
Auch vor großen Herausforderungen schrecken Aktivisten wie Jutta Sundermann nicht zurück – wie zum Beispiel den Reichtum weltweit umzuverteilen. Inzwischen habe sogar ein Beratungsunternehmen wie die Boston Consulting Group einen Umverteilungsvorschlag erarbeitet, erzählt die Aktivistin lächelnd. Die Zeit sei einfach reif für einen grundlegenden Wandel.