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Letzte Enklave Männercafé

1. Dezember 2010

Der Tee kostet einen Euro, Frauen sind unerwünscht. Türkische und arabische Männercafés wirken wie Relikte aus längst vergangenen Zeiten. Eine Fotografin hat sich der Welt der blickdichten Lokale genähert.

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Café von Außen (Foto: Loredana Nemes)
Bild: Loredana Nemes

Erst nachts, wenn es dunkel wurde, begann Loredana Nemes zu fotografieren. Irgendwo auf den Straßen von Kreuzberg oder Neukölln. Dann verschwand die zierliche Fotografin unter einem schwarzen Tuch, blickte durch eine riesige, alte Kamera und drückte ab. Das Ergebnis: Schwarz-weiße Außenansichten von türkischen und arabischen Männercafés.

Orte der Abschottung

Neonhell erleuchtete Räume, die wie überdimensionierte Aquarien wirken. Gardinen, Milchglasscheiben, Jalousien verhindern den Blick ins Innere. Nur schemenhaft erahnt man das Kartenspielen und Teetrinken darin. Es sind Orte der Abschottung, männliche Enklaven, die Loredana Nemes für ihre Fotoserie "Beyond" abgelichtet hat. Die Neugierde habe sie dazu getrieben, sagt sie. Jeden Tag fahre sie an diesen Cafes vorbei und wollte mehr über sie erfahren. Trotzdem wählte Loredana Nemes den Blick der Außenstehenden für ihre Fotos. "Ich wollte festhalten, wie wir auf diese Orte blicken. Und wie Fremdheit uns verunsichert."

Café Esto von Außen (Foto: Loredana Nemes"
Bild: Loredana Nemes

Zweieinhalb Jahre arbeitete die 38 Jahre alte Fotografin an ihrem Projekt. Wochenlang schaute sie sich die Fassaden an, bis sie sich traute, mit den Cafebesitzern zu sprechen und ihre Idee zu erklären. Ein langsames, behutsames Antasten von beiden Seiten. „Die meisten Männer waren sehr interessiert, aber auch vorsichtig“ erklärt Loredana Nemes. "Sie reichten mir ein Glas Tee und fragen mich, ob ich sie als Menschen oder Türken zeigen werde." Noch heute hallt diese Frage bei ihr nach. "Sicherlich war es hilfreich, dass ich selbst aus Rumänien stamme", glaubt die Fotografin. "Ich weiß, wie es ist in einem anderen Land neu anzufangen. Vielleicht haben sie mir deshalb vertraut."

Mann hinter Milchglasscheibe (Foto: Loredana Nemes)
Bild: Loredana Nemes

Fragile Porträts

Loredana Nemes bricht mit ihren Fotos die Klischees in unseren Köpfen. Statt Aggressivität, einschüchternder Männlichkeit, umweht etwas Weiches, Fragiles ihre Bilder. Ali, Kemal, Bayram – sie alle bleiben seltsam entrückt, verschwommen. Ein angedeutetes Lächeln, die Umrisse von dunklen Augen. Wirklich scharf und klar sind nur die Muster der Scheiben, hinter denen die Männer posieren. Für Loredana Nemes symbolisieren sie Distanz. "Wir versuchen Fremde erst mal in Muster, in Schubladen einzuordnen", so die Fotografin. "Dadurch dringen wir gar nicht bis zum Individuum vor, sondern bleiben nur an der Oberfläche."

Café "Oriental temple" (Foto: Loredana Nemes)
Bild: Loredana Nemes

Das Projekt war für sie auch eine technische Herausforderung. Kein künstliches Licht, keine stürzenden Linien. Klare, frontale Ansichten sollten entstehen, Details sichtbar bleiben, und das trotz des Gegenlicht. Dafür kaufte sich die Fotografin eigens eine spezielle Kamera, eine Linhof-Plattenkamera aus den 60er Jahren. Loredana Nemes sagt, diese Großformat-Negative hätten eine große Wiedergabe-Genauigkeit. "Deswegen musste ich sogar vor den Cafes kehren und die Zigarettenstummel aufheben, damit sie nicht von meinem Motiv ablenken." Herausgekommen sind kluge Momentaufnahmen, die Schicht für Schicht das Fremde und unseren Blick darauf sezieren. Keine bunte Teestuben-Romantik, kein Migrantenkitsch, sondern Bilder, die Grenzen aufzeigen – visuelle und kulturelle.

Loredana Nemes: "Beyond". Bildband. Hatje Cantz Verlag 2010. 39,80 Euro.

Autorin: Aygül Cizmecioglu

Redaktion: Marlis Schaum