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Lettland - Der Vermittler

Dorothee Soldan, 1631. März 2006

Kurz vor der russischen Grenze ist in Lettland von Europa nicht viel zu spüren. Dort prallen die europäischen und russischen Einflüsse aufeinander - und dabei zieht Europa meist den Kürzeren.

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Talsi/LettlandBild: picture-alliance/ dpa

Lettland ist seit 16 Jahren unabhängig und seit 2004 Mitglied der Europäischen Union. Zumindest in der Theorie. Hier in Daugavpils im Südosten des Landes ist der große Bruder Russland allerdings nicht nur geografisch zum Greifen nah: Etwa 90 Prozent der Einwohner der immerhin zweitgrößten Stadt des Landes kommen aus Russland, der Ukraine oder anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Viele von ihnen besitzen, obwohl sie schon vor der Unabhängigkeit Lettlands hier wohnten, noch nicht einmal die lettische Staatsangehörigkeit, und somit die Eintrittskarte zur Europäischen Union.

Viel Kritik

Immer wieder taucht dieses Thema im Alltag auf und eins ist klar: Die meisten Erwachsenen wollen an diesem Zustand etwas ändern, denn nicht nur international (z.B. für visafreies Reisen), sondern auch national bringt ihnen die lettische Staatsangehörigkeit viele Vorteile. Der Großteil aller Kinder kann diese Privilegien bereits genießen, und sie wissen sie zu schätzen. Jedes Jahr verbringen viele Jugendliche ihre Sommerferien im europäischen Ausland, vorzugsweise in England und Irland – ein Schritt, der durch die Mitgliedschaft Lettlands in der europäischen Union deutlich erleichtert wurde.

Ein bedingungsloses "Ja" zur EU? Sicher nicht. Fragt man die Letten gezielt nach ihrer Meinung zur EU, so hört man immer die gleichen Beschwerden. Je älter die Menschen, desto häufiger und lauter sind sie: "Seit dem Eintritt in die Europäische Union sind die Preise nur gestiegen – unsere Gehälter und Renten hingegen bleiben gleich oder sinken sogar." Dass viele ihrer Lieblingsprodukte, die es früher nicht gab, aus dem Westen importiert sind, machen sich die wenigstens klar. Irgendwie hat man sich eben doch schon an die Vorteile der EU gewöhnt. Öffentlich wird zwar viel kritisiert, aber im Grundsatz wird die Europäische Union nicht angegriffen.

Auf nach Europa

Unterschiede zwischen West und Ost, zwischen der EU und Russland treffen in lettischen Wohnzimmern aufeinander. Die Wahlen im Nachbarland Weißrussland wurden gespannt am Fernsehbildschirm verfolgt. Die Bilder sind auf deutschen und russischen Sendern zwar die selben, doch kommentiert wird ganz verschieden. Während aus dem Westen Anschuldigungen von Wahlbetrug laut wurden, ist es für die russischen Medien eindeutig: Das Ergebnis zeige schlicht und einfach die Meinung des Volkes, und Europa versuche mit falscher Berichterstattung, Unruhe zu stiften.

Unabhängig von Recht oder Unrecht prallen hier die oft so verschiedenen Sichtweisen der EU und Russlands aufeinander - und oft zieht die Botschaft Europas bei diesem Konflikt den Kürzeren. Und doch: Bei den Jugendlichen ist der europäische Gedanke schon fest verwurzelt und lässt sich auch von kritischen Äußerungen nicht mehr verbannen: Europa ist auf dem Weg.

Die Autorin kommt aus Mannheim und verbringt im Moment ein Austauschjahr in Daugavpils/Lettland.