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Neue Perspektiven für die Provenienzforschung

Heike Mund30. November 2015

Deutschland bekommt die erste Stiftungsprofessur für Provenienzforschung - wichtiges Signal fürs Ausland. Eine Tagung in Berlin eröffnete Perspektiven für eine international vernetzte Erforschung der NS-Raubkunst.

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Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg
Kompetenzbündelung: Das neue Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in MagdeburgBild: picture-alliance/dpa/J. Wolf

Viel kulturpolitische Aufregung gab es 2013 um den spektakulären Kunstfund bei dem Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt. Beamte der Steuerfahndung hatten mehr als tausend Gemälde, Zeichnungen und Drucke, unter anderem von Picasso, Chagall und Matisse in zwei Wohnungen des alten Mannes gefunden und sichergestellt. Lange war nicht klar, wie viele der Bilder Raubkunst aus der Nazizeit sind. Bis heute hat die eigens dafür eingerichtete Taskforce noch keinen Abschlussbericht mit Zahlen und Fakten dazu veröffentlicht. Ende Dezember wird er vorliegen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat daraus Konsequenzen gezogen und die vereinzelte Provenienzforschung, die sich professionell mit der Herkunft auch der Gurlitt-Kunstsammlung beschäftigt, kurzerhand unter einem Dach zusammengefasst. "Es gibt jetzt mit dem Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste endlich einen zentralen Ansprechpartner", sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in Berlin. Im Jüdischen Museum waren internationale Experten, Forscher und Kulturpolitiker zu einer hochkarätigen Tagung zusammengekommen, um die internationalen Perspektiven zum Thema Raubkunst zu diskutieren.

Hermann Parzinger in der Antikensammlung des Pergamonmuseums
Chef des größten deutschen Museumsverbundes: Hermann Parzinger (Stiftung Preußischer Kulturbesitz)Bild: BARBARA SAX/AFP/Getty Images

Konsequenzen aus dem Fall Gurlitt

Im April 2015 hat das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste seine Arbeit aufgenommen. Die Leitung liegt in den fachkundigen Händen von Uwe Schneede, Kunsthistoriker und ehemals Direktor der Hamburger Kunsthalle. Zwanzig Mitarbeitern sollen sich in Magdeburg verstärkt um die Vernetzung auf internationaler Ebene kümmern. Als erstes wird dafür die Datenbank "Lost ART", die für die internationale Suche nach verschollener Naziraubkunst unentbehrlich ist, mehrsprachig aufgesetzt.

Alle Forschungsaktivitäten werden in Zukunft in Magdeburg zentral gebündelt und dort ausgewertet. Dabei sollen enge Kooperationen auch mit ausländischen Universitäten entstehen, mit Archiven und Forschungsdatenbanken in Israel, den USA beispielweise oder in Frankreich, die kostbare Informationen beitragen könnten, wie Schneede erläuterte. Für die Stiftung, die das Zentrum betreibt, hat die Bundesregierung vier Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Kuratoriumsvorsitzende Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, begrüßt die koordinierte Zusammenarbeit. "Dass die verschiedenen Akteure in Sachen Raubkunst- und Provenienzforschung unter ein Dach kommen – und nicht jeder vor sich hin wurschtelt – das finde ich wichtig, weil es jetzt national wie international eine klare Anlaufstelle gibt."

Rückkehr zu den "Washingtoner Prinzipien"

Das neue Zentrum soll vor allem helfen, die "Washingtoner Prinzipien" von 1998 und die deutsche "Gemeinsame Erklärung" von 1999 konsequenter umzusetzen. In beiden Abkommen hatten sich Deutschland und weitere europäische Staaten verpflichtet, Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt oder geraubt wurden, ausfindig zu machen und an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.

Bislang ist die Mehrzahl der rund 2300 Museen und öffentlichen Kunstsammlungen in Deutschland der Aufforderung der Bundesregierung, ihre Depots nach Nazi-Raubkunst zu durchsuchen, nicht nachgekommen, zumindest gibt es darüber keine öffentlichen Auskünfte. Nur in sehr wenigen Fällen – auch der Kunstbestände der Sammlung Gurlitt – ist es zu einer "Restitution", einer rechtmäßigen Rückgabe an die Erben der Opfer gekommen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters schlug in Berlin vor, finanzielle Förderungen für Museen grundsätzlich an die strenge Überprüfung der Museumsbestände zu knüpfen. "Geldmangel kann keine Ausrede mehr sein." Der Bund habe die Mittel für Provenienzforschung 2015 verdreifacht, auf immerhin sechs Millionen Euro, weitere 1,15 Millionen stünden zusätzlich für die Arbeit des Magdeburger Zentrums bereit. "Es ist schlicht unerträglich, dass sich noch immer Nazi-Raubkunst in deutschen Museen befindet", sagte Grütters in aller Deutlichkeit.

Deutschland Gurlitt Rückgabe des Gemälde In einem Sessel sitzende Frau von Matisse
Eines der wenigen Raubkunstbilder, das an die Erben zurück gegeben wurde: "Sitzende Frau" von MatisseBild: picture-alliance/dpa/Art Recovery Group/W. Heider-Sawall

Mehr Transparenz gefordert

Die Taskforce, die ihre Nachforschungsarbeit offiziell zum Ende des Jahres 2015 abschließen und dem Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste übergeben wird, war wegen mangelnder Kommunikation heftig in die Kritik geraten. Vor allem aus dem Ausland wurden Stimmen laut, die eine fehlende Transparenz der laufenden Ermittlungsergebnisse der Taskforce beklagten. "Dass der Erfolgsdruck wahnsinnig groß und vielleicht gar nicht einzulösen war, war auch klar", räumt Kuratoriumsvorsitzende Pfeiffer-Poensgen ein.

Sie unterstütze die Forderung nach mehr und offenere Kommunikation, die ein amerikanischer Wissenschaftler auf der Tagung positiv mit "agressive transparency" umschrieben hatte. "Das ist ein typisches Problem der Deutschen, die sich damit immer schwer tun. Wir sind immer ein bisschen zu ängstlich und denken: Erst wenn alles bis zum letzten Punkt perfekt ist, können wir es ins Netz stellen." Auch die "Lost ART"-Datenbank müsse dringend im Sinne einer transparenteren Darstellung renoviert und für internationale Maßstäbe neu aufbereitet werden.

Kunstmuseum in Bern - Nachlass Cornelius Gurlitt
Erbt die Sammlung Gurlitt: das Kunstmuseum BernBild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Internationale Vernetzung der Forscher

Amerikanische Provenienzforscher wie Jane C. Milosch, Mitglied der Taskforce und Direktorin des Smithonian Instituts in Washington D.C., setzen hohe Erwartungen an das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste. "So eine zentrale Stelle haben wir nicht in den USA. Für uns in Amerika ist das ganz wichtig, da die Nazi-Raubkunst Teil der Kunstgeschichte ist", erläuterte sie im Gespräch mit der DW. Sie sieht Deutschland auch als Standort hoher wissenschaftlicher Standards. "Die Universitätsleute müssen ein bisschen umdenken. Studenten der Universität von Glasgow würden beispielsweise gerne zum Studium für ein paar Wochen an die FU Berlin gehen. Die Museen, die Archive, es ist alles in Berlin."

Dr. Meike Hoffmann, Lehrstuhlinhaberin der ersten Forschungsstelle für "Entartete Kunst" an der Freien Universität Berlin und Autorin wichtiger Grundlagenschriften zum Thema Raubkunst, bildet inzwischen Studenten aus aller Welt mit aus. Aber die weltweit genutzte Datenbank ihres Forschungsprojektes ist zurzeit nicht mehr erreichbar. Kostbare Informationen drohen in der Versenkung zu verschwinden, falls das Projekt nicht weiter finanziert wird – nach der Kritik an der Taskforce ein Signal mit fatalen Auswirkungen. "Das heißt ja nicht nur, dass ein paar Leute ihre Stelle verlieren, sondern dass ein sehr wichtiges zentrales Hilfsmittel für die Provenienzrecherche – auch für das Ausland – nicht mehr zur Verfügung steht", erklärte sie.

Isabel Pfeiffer-Poensgen
Kuratoriumsvorsitzende Isabel Pfeiffer-PoensgenBild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Isabel Pfeiffer-Poensgen, für die Ausrichtung des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste mit verantwortlich, zog nach der Fachtagung zufrieden Bilanz. Sie hält neue gesetzliche Regelungen, um die Rückgabe von NS-Raubkunst zu beschleunigen, für nicht notwendig. "Die Moral und auch der moralische Druck ist stärker als jeder Rechtsanspruch. Und deswegen reichen die 'Washingtoner Prinzipien', die das ja sehr klar formulieren, aus meiner Sicht vollkommen aus", sagte sie im DW-Interview. Sie müssten nur endlich auch angewendet werden, da sind sich Fachleute und Kulturpolitiker aus dem In- und Ausland einig.