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Ermittlungen gegen Netzpolitik.org

30. Juli 2015

Weil sie über die Pläne des Verfassungsschutzes zur Internetüberwachung berichteten und auch Dokumente darüber veröffentlichten, ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen die Journalisten des Blogs Netzpolitik.org.

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Das Logo von Netzpolitik.org (Foto: DW)

Landesverrat – ein schwerer Vorwurf. Jahrzehntelang gab es kein derartiges Verfahren mehr gegen Journalisten, nun hat die Auseinandersetzung zwischen Behörden und Medien in Sachen Berichterstattung über die Geheimdienste einen neuen Höhepunkt erreicht. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte, dass gegen die Betreiber des Investigativ-Blogs "Netzpolitik.org" ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf Landesverrat eingeleitet wurde. Die Journalisten sollen in zwei Artikeln Staatsgeheimnisse verraten haben. Die Strafanzeige gegen sie erstattete Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.

"Geheimer Geldregen" und "Geheime Referatsgruppe"

Das Internet-Portal Netzpolitik.org hatte im Februar und April dieses Jahres über interne Pläne des Bundesamts für Verfassungsschutz zur nachrichtendienstlichen Auswertung von Internetkommunikation berichtet. Der Artikel vom 25. Februar trug den Titel "Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an Massenauswertung von Internetinhalten", der Artikel vom 15. April erschien unter der Überschrift "Geheime Referatsgruppe: Wir präsentieren die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung".

Landesverrat – politisch heikler Vorwurf

Der Vorwurf des Landesverrats gegen Journalisten gilt als politisch heikel. Nach der "Spiegel"-Affäre Anfang der Sechzigerjahre, in der ein solcher Vorwurf erhoben wurde, hatten Juristen und Politiker eindringlich vor eine Drangsalierung des unabhängigen und kritischen Journalismus in Deutschland gewarnt. Dabei geht es immer um eine Abwägung zwischen strikter Geheimhaltung und dem zentralen Grundrecht auf Pressefreiheit.

Markus Beckedahl, Gründer des Blogs Netzpolitik.org (Foto: dpa)
Gegen Markus Beckedahl, Gründer des Blogs Netzpolitik.org, wird wegen Landesverrats ermitteltBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Die jetzige Entwicklung erfolgt vor dem Hintergrund einer monatelangen Auseinandersetzung zwischen Regierung, Opposition und Medien. Das Kanzleramt hatte mehrmals mit Strafanzeigen gedroht - etwa im Zusammenhang mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente zur Affäre um die Lauschaktivitäten des US-Nachrichtendiensts NSA.

Weitere Strafanzeige gegen WDR, NDR und SZ

Dabei ging es aber stets nur um den Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen. Dieses Delikt wird nicht von Karlsruhe, sondern von Staatsanwaltschaften der Länder bearbeitet. In dem nun vorliegenden Landesverratsfall soll laut Berichten des Rechercheverbands von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) zunächst ein Gutachter prüfen, ob es sich bei den durch den Blog veröffentlichten Dokumenten tatsächlich um Staatsgeheimnisse gehandelt habe.

Laut Rechercheverband hatte Maaßen auch in einem dritten Fall Strafanzeige erstattet. Dabei sei es um einen geheimen Bericht über eine V-Mann-Affäre im Umfeld der rechtsextremen Terrorzelle NSU gegangen, über den NDR, WDR und SZ berichtet hatten. Im letzteren Fall sehe der Generalbundesanwalt aber zumindest bislang keinen Anfangsverdacht - anders als bei "netzpolitik.org".

"Einschüchterung unliebsamer Medien"

Der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken sprach von einem "unzulässigen Versuch, zwei kritische Kollegen mundtot zu machen". Das Vorgehen des Generalbundesanwalts sei völlig überzogen und stelle einen Angriff auf die Pressefreiheit dar.

"Die Ermittlungen gegen die beiden Journalisten zeigen, dass der Verfassungsschutzchef in Sachen Pressefreiheit offenbar nicht dazulernt", sagte Konken. Die beiden Journalisten hätten die Aufklärung geliefert, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht habe.

Lebenslängliche Haft möglich

Der Tatbestand des Landesverrats wird im Strafgesetzbuch unter Paragraf 94 abgehandelt. Es geht darin um die Weitergabe von Staatsgeheimnissen an "eine fremde Macht", an "Unbefugte" oder um die reine Veröffentlichung solcher Geheimnisse, "um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen" und dadurch die Gefahr "eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" herbeizuführen. Die Mindeststrafe liegt bei einem Jahr Haft, in schweren Fällen ist lebenslänglich möglich.

cw/joz (dpa, apf, NDR, WDR, SZ)