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Keine Pressefreiheit für Blogger?

Helena Kaschel5. August 2015

Die Affäre um das Internetportal Netzpolitik.org hat eine alte Debatte in Deutschland neu angefacht: Sind Blogger eigentlich richtige Journalisten? Von dieser Frage hängt nicht zuletzt der gesetzliche Schutz ab.

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Symbolbild Pressefreiheit - (Foto: dpa - Bildfunk)
Bild: picture alliance/dpa/T. Felber

Können Blogger auch Journalisten sein? Dürfen sie sich auf die Pressefreiheit berufen und damit verbundenen juristischen Schutz in Anspruch nehmen? Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Autoren der Blogplattform netzpolitik.org werden diese Fragen derzeit kontrovers diskutiert. Äußerungen des Journalisten Reinhard Müller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sorgten kürzlich auf Twitter für Aufregung. In seinem Kommentar warnt Müller, wenn sich "jeder selbsternannte Blogwart" auf die Pressefreiheit berufen könne, "hätte das weitreichende Konsequenzen, etwa für das Zeugnisverweigerungsrecht wie auch für die Gesetze zum Schutz vor einer Gefährdung der Sicherheit".

„Solche Grabenkämpfe gehören ins Museum“

Müllers Argumentation gegen netzpolitik.org stieß bei deutschen Twitter-Nutzern - wenig überraschend - auf wenig Verständnis.

Einer, der Müllers Unterscheidung zwischen Bloggern und Journalisten für "vollkommen überflüssig" hält, ist Richard Gutjahr. Er ist freier Mitarbeiter bei der ARD, dem größten öffentlich-rechtlichen Rundfunksender in Deutschland, schreibt für Tageszeitungen – und auf seinem Blog. Von medialem Standesdünkel hält er wenig. "In einer Zeit, in der es hausübergreifende Rechercheverbünde zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und Verlagen gibt, in der die Zusammenarbeit zwischen Bloggern und klassischen Journalisten fast schon ein Normalzustand geworden ist, von dem beide Seiten profitieren, gehören solche Grabenkämpfe ins Museum."

Journalist und Blogger Richard Gutjahr (Foto: Copyright: Mathias Vietmeier)
Richard GutjahrBild: Mathias Vietmeier

Meinungsfreiheit ist nicht gleich Pressefreiheit

Komplizierter als die Netzdebatte ist die juristische Diskussion. Wann sich Blogger auf die Pressefreiheit berufen dürften, sei gesetzlich geregelt, sagt Bernd Holznagel, Medienrechtler an der Universität Münster. An seinem Lehrstuhl läuft ein vergleichendes Forschungsprojekt zu dieser Debatte. Das Problem: "Im öffentlichen Diskurs und auch in den Beiträgen von Herrn Müller wird nicht hinreichend zwischen Meinungsfreiheit und Pressefreiheit differenziert." Natürlich könne sich jeder bei einer Meinungsäußerung auf Grundrechte berufen. Auch Blogger fielen – zumindest verfassungsrechtlich – unter die in Artikel fünf des Grundgesetzes festgehaltene Rundfunkfreiheit. Die Pressefreiheit geht aber weiter: Sie schützt bestimmte journalistische Rechte wie das Zeugnisverweigerungsrecht in Gerichtsverhandlungen oder das Redaktionsgeheimnis.

Nicht alle Blogger dürften diese Privilegien für sich beanspruchen. Zum einen müssten sie eindeutig beruflich bloggen: "Ich habe wenig Bedenken, dass sich die Autoren von netzpolitik.org auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. Das gilt aber nicht für jede Webpage eines Studenten", so Medienrechtler Holznagel. Der zweite Maßstab ist eine journalistische Arbeitsweise. Schließlich seien die Rechte von Journalisten auch an eine Sorgfaltspflicht gebunden: "Der Gesetzgeber wollte nicht jede Meinungsäußerung im Netz unter das Zeugnisverweigerungsrecht stellen. Auch hier muss man im Einzelfall schauen: Hat dieses Blog für die Meinungsbildung tatsächlich eine Funktion?"

Universität Münster Bernd Holznagel (Foto: Uni Münster)
Bernd HolznagelBild: Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Alte Debatte, neue Brisanz

Die Diskussion ist nicht neu. "Wir reden seit mindestens zehn Jahren darüber", bilanziert Holznagel. Aktuell ist der Streit trotzdem. 2014 mussten die Blogbetreiber Tilo Jung von "Jung und Naiv" und Markus Beckendahl von netzpolitik.org um eine Jahresakkreditierung für die Bundespressekonferenz und das Parlament kämpfen. So alt wie die juristische Problematik ist wohl auch das Misstrauen traditioneller Journalisten gegenüber Bloggern oder Online-Kollegen, wie Richard Gutjahr beobachtet. "Wir alle – klassische und Netz-Journalisten, aber auch die politischen Machtzirkel – merken, dass wir es mit einer neuen Öffentlichkeit und einer neuen Form der Öffentlichkeitsarbeit zu tun haben. Die einen schaffen den Sprung schneller und die anderen brauchen ein paar Jahre länger, um sich anzupassen. Am Ende werden wir uns alle in diesem Neuland wiedersehen."

Blogger und Pressefreiheit – eine weltweite Diskussion

Die Frage, ob sich Blogger auf die Pressefreiheit berufen können, wird weltweit intensiv diskutiert. In Neuseeland, Australien und Großbritannien haben sich parlamentarische Expertenkommissionen mit der Frage beschäftigt. Neuseeland möchte die Privilegien der Pressefreiheit an die Einhaltung eines Pressekodex zu binden – auch für Blogger. Die Frage der Berufsmäßigkeit soll dagegen keine Rolle spielen.

Wie es in Deutschland weitergeht, ist ungewiss. "Der Bundestag und der Gesetzgeber werden in Zukunft klarer definieren müssen, wann ein Blogger durch die vielen Privilegien geschützt werden kann, die die Strafprozessordnung für herkömmliche Journalisten bereithält", sagt Medienrechtler Bernd Holznagel. ZEIT-Journalist Gero von Randow plädiert sogar für ein gänzlich neues Konzept von Pressefreiheit: "Die Pressefreiheit gilt nicht für alle, anders als die Meinungsfreiheit. Aber sie muss ausgeweitet werden, um sie auf der Höhe der Zeit zu halten."