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Lama Suleiman - ein Kind kommt in Deutschland an

Viktoria Kleber
30. August 2020

Als 2015 immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen, verspricht Bundeskanzlerin Merkel: "Wir schaffen das!" Warum die achtjährige Lama Suleiman sich heute als Deutsche und nur noch ein bisschen als Syrerin fühlt.

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Flüchtlingsfamilie Suleiman  Tochter Lama
Bild: DW/V. Kleber

"Neeeeein", schreit Joud, "neeeeein", als seine Schwester Lama ihm in der Badewanne die Füße mit kaltem Wasser abspritzt. "Joud mag selbst im Sommer kein kaltes Wasser", erklärt Lama und dreht den Wasserhahn noch ein bisschen weiter auf, um den Sand zwischen Jouds Zehen herauszuspülen. Die beiden lachen, Joud hüpft schnell aus der Badewanne.

Lama, fast neun Jahre alt, und Joud, sieben, kommen gerade vom Spielplatz. Lama liebt das Klettergerüst. Doch nicht nur hier klettert sie gerne, sondern auch zuhause im Türrahmen oder auf den Schrank im Zimmer ihrer kleinen Brüder.

Flüchtlingsfamilie Suleiman  Joud & Lama
Lama mit ihrem kleinen Bruder Joud beim Spielen in der BadewanneBild: DW/V. Kleber

"Hier auf dem Schrank unter der Decke, das ist das beste Versteck beim Versteckspielen", sagt Lama. "Da findet mich keiner. Aber das darfst du nicht Mama erzählen", fügt sie hinzu. Mama sage nämlich, der Schrank sei zu hoch, das sei gefährlich.

Lama spricht jetzt besser Deutsch als Arabisch

Lama spricht mit mir auf Deutsch, auch mit ihren Geschwistern. Sie singt deutsche Kinderlieder und schaut deutsches Fernsehen. Mit ihren Eltern kommuniziert sie auf Arabisch und baut dabei immer wieder deutsche Wörter ein.

Wenn ihre Eltern versuchen Deutsch zu sprechen, ist es Lama, die ihre Artikel korrigiert oder ihnen hilft, die richtigen Worte zu finden. Sie ist das Sprachrohr der Familie. "Ich bin deutsch", sagt sie. "Aber naja, ich bin auch ein bisschen syrisch."

Flüchtlingsporträt  Familie Suleiman
Die syrische Familie Suleiman ist 2015 nach Deutschland geflohen - vor allem Tochter Lama ist hier angekommenBild: DW/V. Kleber

Als sie mit ihrer Familie 2015 aus Syrien flieht, ist Lama vier, ihre Brüder Joud und Karam zwei Jahre und gerade mal zehn Monate alt. Sam, der Kleinste, ist damals noch nicht auf der Welt. An ihre Flucht erinnert sich Lama nicht mehr. Aber ich: Als Reporterin für die Deutsche Welle begleitete ich Lama und ihre Familie und lernte die Suleimans in der Türkei kennen. Damals sprach Lama ausschließlich Arabisch, sie war ein syrisches Mädchen.

Als Lamas Mutter am Vorabend der gefährlichen Überfahrt mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer mit mir spricht, bricht sie in Tränen aus. "Ich hoffe, dass wir es alle schaffen oder alle sterben", sagt sie damals. Es war Lama, die sich an ihre weinende Mutter kuschelt und sie versucht zu trösten. Die Familie schafft es nach Griechenland und weiter nach Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn.

Syrien und die Flucht nur noch Orte aus Erzählungen

Dann müssen sie drei Kilometer über die Grenze bis nach Österreich laufen. Mutter und Vater tragen ihre Söhne und Lama, die Älteste, muss alleine gehen. Irgendwann sind die Kinder erschöpft, sie schreien und weinen. Den Eltern fällt es schwer, sie zu beruhigen - alle sind am Limit. Für Lama sind das nur noch Erzählungen, ihre Eltern bewegt die Flucht bis heute.

Flüchtlingsfamilie Suleiman  Tochter Lama
Bild: DW/V. Kleber

Auch Syrien ist für Lama ein Ort der Erzählungen. Sie kann sich nicht mehr an die Bomben erinnern, die das Haus ihrer Familie zertrümmerten und sie verletzte. Für sie ist Syrien ein Land von Mutter und Vater, in dem heute noch Onkel und Tanten und bis vor kurzem ihre Großmütter lebten, mit denen sie immer wieder telefoniert.

Vier Jahre lang ist Lamas Familie auf Wohnungssuche in Berlin. Trotz der vielen Wohnungs-- und Stadtteilwechsel bleibt Lama immer im selben Kindergarten, später in der selben Schule. Manchmal dauert ihr Schulweg über eine Stunde. "Dann durfte ich auf dem Rückweg immer bei Papa auf dem Handy spielen oder ich habe geschlafen", sagt Lama.

Durch Corona Schwierigkeiten in der Schule

Mathematik ist Lamas Lieblingsfach, sie mag auch Kunst. In ihrem Zeugnis steht, Lama sei sehr gewissenhaft, engagiert und arbeite mit größter Sorgfalt. Sie helfe freiwillig Kindern, die Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Aufgaben hätten. Hier steht auch, sie setze sich sehr unter Druck, um mit dem Tempo der anderen mitzuhalten.

Berlin | Themenbilder für Artikel: Fünf Jahre "Wir schaffen das" - Familie Suleiman
Bild: DW/V. Kleber

Durch Corona verpasst Lama Unterricht, den die Eltern nicht mit ihr aufholen können. Ihre Lehrerin ist der Meinung, für Lama sei es das Beste, die zweite Klasse zu wiederholen. Ein Schock für die Achtjährige. "Sie hat tagelang geweint", erzählt uns ihr Vater. Und auch die Eltern fühlen sich schlecht: "Wir versuchen alles für unsere Kinder zu tun", sagt die Mutter, "und wenn das nicht reicht, tut das sehr weh."

Lama ist nun auf der gleichen Stufe wie ihr kleiner Bruder, "das ist doof", sagt sie. "Aber ich kann dafür schon Schreibschrift und ich werde alle damit überraschen in der neuen Klasse." Wenn Lama groß ist, würde sie gerne Zahnärztin werden. Wo? "Am liebsten nicht so weit weg von hier, bei Mama und Papa und meinen Brüdern."