Bundestrainer Joachim Löw soll die deutsche Nationalmannschaft zur EM im kommenden Sommer führen und auch seinen bis zur WM 2022 laufenden Vertrag erfüllen. Der 60-Jährige dürfe "den seit März 2019 eingeschlagenen Weg der Erneuerung uneingeschränkt fortsetzen", heißt es beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). "Gemeinsam geht der Blick zielgerichtet und fokussiert auf die weitere EM-Vorbereitung im nächsten Jahr."
Die Zukunft des seit 2006 amtierenden Bundestrainers stand seit der geschichtsträchtigen 0:6-Schmach gegen Spanien vor zwei Wochen auf der Kippe. Das DFB-Präsidium hatte ihn danach zur Analyse und inneren Einkehr aufgefordert.
"Offener und intensiver Austausch"
Löw hatte sich nach mehreren starken Turnieren 2014 mit dem WM-Titel in Brasilien gekrönt. Ab dem WM-Vorrundenaus als Titelverteidiger in Russland 2018 wuchs jedoch die Kritik. Der Bundestrainer vollzog während der EM-Qualifikation für das im Sommer 2021 bevorstehende Turnier einen Umbruch und sortierte unter anderem das Trio Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller aus. Nach der Klatsche von Sevilla geriet Löw unter Druck wie nie zuvor.
Vor dem Präsidialausschuss mit Keller, den beiden Vize-Präsidenten Peter Peters und Rainer Koch sowie Schatzmeister Stephan Osnabrügge durfte sich Löw nun erklären. Nur Keller-Gegenspieler Friedrich Curtius fehlte, der Generalsekretär ist krankgeschrieben. Der DFB sprach von einem "offenen, konstruktiven und intensiven Austausch" über die aktuelle Lage.
Dienstältester Nationaltrainer weltweit
"Die Mitglieder des Präsidialausschusses stellten übereinstimmend fest, dass die hochqualitative Arbeit des Trainerstabes, das intakte Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer sowie ein klares Konzept für das bisherige und weitere Vorgehen zählen", heißt es weiter. Ein einzelnes Spiel könne und dürfe nicht Gradmesser für die grundsätzliche Leistung der Nationalmannschaft und des Bundestrainers sein.
Die EM 2021 wird für Löw das siebte große Turnier als Chefcoach und einen weiteren alleinigen Rekord bedeuten. Der Coach, der 189 Länderspiele begleitete und länger im Amt ist als alle anderen derzeitigen Nationaltrainer weltweit, könnte damit im kommenden Sommer sogar die Marke von 200 Länderspielen knacken.
rb/ck (dpa, SID)
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Joachim Löw: Der Weg zum Helden und zurück
Einer mit Torriecher
Dass Joachim Löw einmal als der berühmteste Spross seiner Geburtsstadt Schönau im Schwarzwald gefeiert werden würde, war nicht unbedingt zu erwarten. Als Fußballer hat er zwar einen guten Torriecher - mit 83 Treffern, 81 davon in der 2. Liga, ist er lange Zeit Rekordtorschütze des SC Freiburg. Vier Einsätze im U21-Team des DFB verbucht der Mittelstürmer, eine richtig große Nummer ist er aber nie.
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DFB-Pokalsieg zum Trainer-Einstand
Mit 35 Jahren beendet Löw seine aktive Karriere beim FC Frauenfeld in der Schweiz - als Spielertrainer. Sein erstes Engagement als Cheftrainer beginnt vielversprechend: 1997 gewinnt Löw, damals noch ohne Trainerlizenz, mit dem VfB Stuttgart den DFB-Pokal gegen Energie Cottbus. Ein Jahr später verlieren die Schwaben unter Löw das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger gegen den FC Chelsea mit 0:1.
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Wechsel im Jahrestakt
Nach der Saison 1997/98 trennt sich der VfB von Löw, der daraufhin beim türkischen Traditionsklub Fenerbahce Istanbul anheuert. Dieses eher glücklose Engagement dauert nur ein Jahr - wie auch die anschließenden Stationen beim Zweitligisten Karlsruher SC, bei Adanaspor in der Türkei, beim FC Tirol Innsbruck und bei Austria Wien. Mit den Innsbruckern wird Löw 2002 österreichischer Meister.
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Zwei Freunde, ein Trainerteam
Beim Trainer-Kurzlehrgang des DFB im Jahr 2000 drückt Löw gemeinsam mit Jürgen Klinsmann (r.) die Schulbank. Die Chemie zwischen ihnen stimmt. Daran erinnert sich Klinsmann, als er nach dem deutschen Vorrunden-Aus bei der EM 2004 Rudi Völler als Teamchef der Nationalmannschaft ablöst. Klinsmann holt Löw als Assistenten. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass die Heim-WM 2006 zum "Sommermärchen" wird.
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Bad in der Menge
Deutschland wird nach begeisternden Auftritten und dem Halbfinal-Aus gegen Italien WM-Dritter und erlebt eine völlig neue Fußball-Euphorie. Auf der Fanmeile am Brandenburger Tor in Berlin lassen sich Löw und Klinsmann mit Torwarttrainer Andreas Köpke (l.) und Teammanager Oliver Bierhoff (r.) nach dem Turnier von den Massen feiern. Klinsmann nimmt anschließend seinen Hut, Löw wird Bundestrainer.
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Spanien eine Nummer zu groß
Bei der EM 2008 wird Löw im letzten Gruppenspiel gegen Co.-Gastgeber Österreich nach einem lautstarken Disput mit dem vierten Offiziellen auf die Tribüne verbannt und für das Viertelfinale gegen Portugal gesperrt. Deutschland erreicht schließlich das Finale und muss sich dort - wieder mit Löw auf der Bank - Spanien mit 0:1 geschlagen geben.
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Kuranyi aussortiert
Im Oktober 2008 greift der Bundestrainer durch. Kevin Kuranyi (r.), von Löw im WM-Qualispiel gegen Russland auf die Tribüne gesetzt, verlässt zur Halbzeit der Partie das Stadion in Dortmund. "So wie Kevin gestern reagiert hat, kann ich das nicht akzeptieren und werde ihn in Zukunft nicht mehr für die Nationalmannschaft nominieren", sagt Löw anschließend und beendet Kuranyis DFB-Karriere.
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Derselbe Stolperstein
Bei der WM 2010 in Südafrika begeistert die runderneuerte deutsche Mannschaft mit spektakulärem Offensivdrang. Löw zeigt, dass er mit jungen Spielern wie Mesut Özil (r.) umgehen und sie ins Team integrieren kann. Aber wieder sind es die damals international dominierenden Spanier, die das DFB-Team stoppen, dieses Mal im Halbfinale. Deutschland beendet das Turnier wie 2006 als WM-Dritter.
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Never change a winning team
Nach der EM 2012 in Polen und der Ukraine muss Löw erstmals heftige Kritik einstecken. Nach 15 Pflichtspiel-Siegen in Serie ist im EM-Halbfinale gegen Italien Endstation. Das DFB-Team verliert 1:2, nachdem Löw das zuvor überzeugende Team auf mehreren Positionen verändert. Diese Rechnung geht nicht auf. Der Bundestrainer muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich "vercoacht" zu haben.
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Die Helden von Rio
Die Krönung zwei Jahre später: Durch einen 1:0-Sieg nach Verlängerung gegen Argentinien sichert sich Deutschland in Rio de Janeiro den Weltmeistertitel. Zuvor demütigte das DFB-Team im Halbfinale Gastgeber Brasilien mit 7:1 - ein historischer Sieg. Mit 54 Jahren steht Löw auf dem Gipfel seiner Karriere und wird in der Folge zum "Welttrainer des Jahres 2014" gewählt. Aber Löw will mehr.
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Wieder nur EM-Halbfinale
Zu gerne würde Löw auch den EM-Titel gewinnen. Doch auch der dritte Anlauf des Bundestrainers scheitert: Bei der EM 2016 muss sich Weltmeister Deutschland im Halbfinale Gastgeber Frankreich mit 0:2 geschlagen geben. Fast schon trotzig verlängert Löw nach dem Turnier seinen Vertrag bis 2020 - hoch motiviert, den WM-Titel 2018 in Russland zu verteidigen.
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Der zweite Anzug passt
Und es scheint alles nach Plan zu laufen. Ein Jahr vor der WM, im Sommer 2017, gewinnt Deutschland in Russland die WM-Generalprobe, den Confederations Cup - und das, obwohl Löw mit einer besseren B-Elf anreist. Doch auch diese Mannschaft mit vielen jungen, noch unerfahrenen Nationalspielern überzeugt. Fazit ein Jahr vor der WM: Der zweite Anzug um Kapitän Julian Draxler (r.) passt.
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Blamage in Russland
Doch es folgt der tiefe Absturz. Bei der WM 2018 in Russland blamiert sich das deutsche Team bis auf die Knochen. Nach Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea und einem Sieg gegen Schweden scheidet der Titelverteidiger als Gruppenletzter nach der Vorrunde aus. So will Löw nicht aufhören. Schon vor der WM wurde sein Vertrag vorzeitig bis 2022 verlängert und er macht trotz der Blamage weiter.
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Joachim Löw: Der Weg zum Helden und zurück
Drei Weltmeister geopfert
Nach dem WM-Debakel räumt Löw eigene Fehler ein. Er habe fälschlicherweise geglaubt, "mit Ballbesitzfußball durch die Vorrunde zu kommen", sagt der Bundestrainer bei seiner WM-Analyse. "Es war fast schon arrogant." Löw kündigt einen Generationswechsel im DFB-Team an und erklärt, künftig auf die 2014er Weltmeister Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller zu verzichten.
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Der "rabenschwarze Tag"
Souverän qualifiziert sich das DFB-Team für die EM 2020, die wegen der Corona-Pandemie verschoben wird. Löw wähnt sich auf dem richtigen Weg - bis zur 0:6-Pleite im Nations-League-Spiel in Spanien, der zweithöchsten Schlappe in der Geschichte der DFB-Nationalmannschaft. "Es war ein rabenschwarzer Tag", sagt der aktuell dienstälteste Nationaltrainer der Welt, für den die Luft dünn wird.
Autorin/Autor: Stefan Nestler