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Politik

Politisches Erdbeben in Mexiko

2. Juli 2018

Die Wahl des Linkspopulisten zum mexikanischen Präsidenten ist eine krachende Niederlage für die politischen Eliten. Und er könnte einen tiefgreifenden politischen Umbruch bedeuten. Ob zum Besseren, bleibt abzuwarten.

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Mexico -  Andres Manuel Lopez Obrador zum neuen Präsident gewählt
Bild: Reuters/G. Tomasevic

Nach einer von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahl in Honduras und einer Farce in Venezuela hatten Beobachter auch für Mexiko das Schlimmste befürchtet - das Land, das Autoren zu ganzen Büchern über Wahlmanipulationen inspiriert hat. Doch sie wurden eines besseren belehrt: Der Wahltag verlief friedlicher als die meisten gewöhnlichen Tage in Mexiko, die Wahlbeteiligung erreichte 63 Prozent, und noch bevor die offiziellen Ergebnisse auf dem Tisch lagen, räumten die beiden unterlegenen Kandidaten auf Basis von Wählerbefragungen ihre Niederlage ein und beglückwünschten Andrés Manuel López Obrador, genannt "AMLO".

Der linke Wahlsieger hielt eine staatsmännische Rede, in der er Unternehmer beruhigte und Korruptionsbekämpfung versprach. Er wolle als "guter Präsident" in die Geschichte eingehen. So weit, so vorbildlich. Doch was bedeutet sein Sieg für ein Land, das bis zum Hals in Problemen steckt?

López Obradors Triumph ist weniger ein Sieg des Sozialismus als vielmehr eine Niederlage der Traditionsparteien. Die regierende "Partei der Institutionellen Revolution" (PRI) und die konservative "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) bekamen die Rechnung präsentiert für Drogenkrieg, Korruptionssumpf und ein liberales Wirtschaftsmodell, das die sozialen Gräben innerhalb der mexikanischen Gesellschaft nicht schließen konnte. Nach 99 Jahren PRI-Herrschaft, nur unterbrochen durch die Amtszeiten der PAN-Präsidenten Vicente Fox (2000 bis 2006) und Felipe Calderón (2006 bis 2012), war López Obrador der einzige unter den aussichtsreichen Kandidaten, der einigermaßen glaubwürdig einen Wandel verkörperte. Auch wenn er nicht wirklich progressiv oder innovativ daher kam, sondern eher getragen wurde von der Nostalgie eines paternalistischen Staatskapitalismus und der Sehnsucht nach einem starken Mann.

Die vierte Transformation und ihre Stolpersteine

López Obrador hat nichts weniger versprochen als die "vierte Transformation Mexikos" nach der Unabhängigkeit (1821), der Säkularisierung (1857) und der Revolution (1910/11). Entsprechend hoch sind die Erwartungen, und López Obrador wird rasch Ergebnisse liefern müssen, um seine Anhänger nicht zu enttäuschen. Doch ob seine Rechnung aufgeht, Renten, Stipendien und Gesundheitsfürsorge auszuweiten, ohne weitere Schulden zu machen oder Steuern zu erhöhen, ist fraglich. Denn die bislang vom Export getragene Wirtschaft befindet sich wegen der Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) in einer Phase der Ungewissheit.

Dreh- und Angelpunkt der kommenden sechs Jahre wird AMLO selbst sein. So hat er es konzipiert, seine Bewegung der Nationalen Erneuerung "MORENA" ist ganz auf ihn zugeschnitten. Mit seinem personalistischen Regierungsstil und seinem Zentralismus wird er das Land polarisieren und ihm seinen Stempel aufdrücken - oder es zumindest versuchen. Doch Mexiko ist nicht mehr der absolutistische Präsidialstaat, der er in Zeiten der "perfekten Diktatur" in den 1960er und -70er Jahren war. Es ist eine dezentralisierte Föderation mit einflussreichen Bundesstaaten, mächtigen Unternehmern, einer starken Zivilgesellschaft, einer globalisierten Wirtschaft und aufstrebenden Industriestädten. Als Erlöser im Alleingang wird López Obrador die komplexen Probleme nicht lösen können. Daran erinnerte der mexikanische Unternehmerverband den Sieger noch in der Wahlnacht. Gelingen könnte es ihm dennoch, weil der neue Präsidenten schon als Hauptstadtbürgermeister (2000 bis 2005) unterschiedliche Interessen ausbalancieren musste.

Mexico -  Andres Manuel Lopez Obrador zum neuen Präsident gewählt
Anhänger von López Obrador feiern den Wahlsieg von "AMLO" in Mexiko-Stadt. Bild: Reuters/G. Graf

Bunte Mehrheit im Kongress

Ob sein damals gezeigter Pragmatismus auch in der Präsidentschaft die Oberhand über sein autoritäres Sendungsbewusstsein behält, muss sich jedoch erst noch zeigen. Daran könnte sich auch entscheiden, wie er mit der erstarkten Zivilgesellschaft umgehen wird, die in den letzten Jahren wichtige Gesetzesänderungen angestoßen hat. In Sachen Transparenz, Rechtsstaat und Stärkung der Institutionen verfolgen diese Bürgergruppen dieselbe Agenda wie die Unternehmerschaft. Konflikte mit López Obrador sind da vorprogrammiert, der autonomen Institutionen misstrauisch gegenüber steht.

Um seine Ideen umzusetzen, braucht der Präsident auch in Mexiko Mehrheiten im Kongress. Und das könnte schwieriger werden, als es auf den ersten Blick scheint. Zwar verfügt sein Bündnis "Gemeinsam schreiben wir Geschichte" im Unterhaus mit 71 Prozent der Sitze über eine mehr als komfortable Mehrheit. Aber die Drei-Parteien-Allianz ist so diffus wie ihr Name: Sie verfügt über keine programmatische Grundlage, das Spektrum der Fraktionsmitglieder reicht von fundamentalistischen Evangelikalen über opportunistische und korrupte Alt-Politiker bis hin zu Maoisten, und für die meisten von ihnen ging es vor allem um die Jagd nach Pfründen. Wie das einhergehen soll mit der versprochenen Korruptionsbekämpfung, ist unklar.

Offen ist ebenfalls, was aus PRI und PAN wird. Beide Parteien sind tief gespalten, Absplitterungen verschiedener Gruppierungen sind denkbar, und das Ergebnis davon wäre mehr als ungewiss: Möglich wäre, dass Abtrünnige zu MORENA abwandern, und sich López Obradors Partei in ein neues Sammelbecken verwandelt - eine "PRI 2.0". Ebenso wäre aber möglich, dass eine schlagkräftige, streitbare Opposition entsteht. Denn AMLO hat eben nur die eine Hälfte der Stimmen erhalten - die andere Hälfte hat er gegen sich.