1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kyoto-Protokoll oder "Plan B"?

Das Gespräch führte John Hay, DW-RADIO/English29. September 2003

Die Russen sperren sich gegen das Kyoto-Protokoll. Warum eigentlich? Die Deutsche Welle sprach mit Joke Waller-Hunter, Leiterin des UN-Klimasekretariats, darüber, welche Auswirkungen eine schnelle Ratifizierung hätte.

https://p.dw.com/p/477z
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Landwirtschaft?Bild: transit-Archiv

DW-RADIO: Es gibt Menschen in Russland, die sagen, der Klimawandel hätte auch sein Gutes – in Russland wäre es sowieso viel zu kalt und ein paar Grad mehr könnten nicht schaden. Im Gegenteil: Eine Erwärmung könnte sogar für eine erhöhte landwirtschaftliche Produktivität sorgen. Was sagen Sie dazu?

Waller-Hunter: Ich glaube, die Russen sind im Moment dabei, in sehr starkem Maße eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufzumachen. Die Produktivität ihrer Landwirtschaft ist ein Teil davon, ebenso wie die Frage nach dem Export von Energie und Energieträgern und dem Umgang mit Ressourcen in Russland allgemein. Wissenschaftler glauben, dass der Klimawandel die landwirtschaftliche Produktivität positiv beeinflussen wird. Aber unsere Kollegen aus der Abteilung "Artenvielfalt und Artenschutz" argumentieren dagegen: Wenn wertvolle Ökosysteme in Agrarland umgewandelt werden - und das wäre ja durchaus denkbar, wenn die Erwärmung kommt -, dann wäre das ein substantieller Verlust für das "Ökosystem Welt".

Besonders am Herzen liegt uns die landwirtschaftliche Produktivität der Entwicklungsländer, weil von ihrem Export landwirtschaftlicher Produkte die Lebensmittelversorgung der eigenen Bevölkerung abhängig ist. Der Klimawandel, gefolgt von zunehmender Wasserknappheit, wird dramatische Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit der Böden in vielen Ländern Afrikas und Asiens haben. Dort werden sich die Bauern – und die Agrarwissenschaftler – auf den Klimawandel besonders einstellen müssen.

"Ein bißchen" Klimawandel ist unausweichlich, denn wir können ihn nicht mehr abwenden. Das Kohlendioxid in der Atmosphäre hat schon zu viel Schaden angerichtet, da lässt sich nicht mehr viel dagegen machen. Die Länder müssen sich darauf einstellen und in Zukunft eben Pflanzen anbauen, die auch bei einer höheren Konzentration von Kohlendioxid noch ausreichende Erträge bringen.

Russland ist schon jetzt der drittgrößte Umweltverschmutzer der Welt. Aber es ist auch eine aufstrebende Industrienation. Die Wirtschaft boomt. Inwieweit ist damit zu rechnen, dass beim Aufbau der russischen Wirtschaft von vornherein umweltreundliche Technologien zum Einsatz kommen?

Das wäre in der Tat ein Anreiz für Russland, endlich das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen. Denn das Kyoto-Protokoll sieht vor, dass hochentwickelte Industrienationen gemeinsam mit Schwellenländern umweltfreundliche Technologien entwickeln können. Dieser Technologietransfer wäre nicht nur für Russland, sondern auch für einige andere Staaten in Osteuropa interessant. Mit umweltfreundlichen Technologien kann das Land nur gewinnen: Wer seine Umweltverschmutzung reduzieren will, muss energiesparende Technologien einsetzen. Energiesparende Technologien tragen dazu bei, die Energiekosten zu senken. Wird weniger Energie gebraucht, sinkt auch der Ausstoß von umweltschädlichen Abgasen - das ist ein positiver Kreislauf. Derzeit ist der Energieverbrauch der russischen Wirtschaft sehr hoch im Vergleich zu anderen Ländern. Zum Beispiel Japan, das ziemlich frühzeitig angefangen hat, den Energieverbrauch seiner Industrien zu senken. Die russische Wirtschaft könnte in großem Umfang ebenso gewinnbringend wie umweltfreundlich saniert werden.

Sollten es die Russen nicht schaffen, das Kyoto-Protokoll vor der UN-Klimakonferenz im Dezember in Mailand zu ratifizieren, was hätte das zur Folge?

Wenn alles gut ginge, dann könnte das Kyoto-Protokoll 90 Tage nach der Ratifizierung durch Russland endlich in Kraft treten. Wenn wir aber genauer hinschauen, dann sehen wir, dass dies recht unwahrscheinlich ist – denn eigentlich hätte Russland bereits bis zum 13. September einen entsprechenden Beschluss der UNO kundtun müssen. Es ist also ziemlich unwahrscheinlich, dass das Kyoto-Protokoll in Mailand tatsächlich in Kraft treten kann. Aber es wäre schon mal gut zu wissen, wann es denn endlich so weit sein könnte. Wir sind zuversichtlich, dass die Russen bis zu dieser Konferenz so weit vorankommen, dass wir einen Zeitrahmen haben werden, innerhalb dessen das Kyoto-Protokoll in Kraft treten wird. Das wäre ein ein wirklich positives Signal – und vor allem eine Ermutigung, den "Kyoto-Prozess" weiter voranzutreiben.

Und wenn die Russen das Protokoll nicht ratifizieren, was dann?

Das ist das, was wir intern "Plan B" nennen – und worüber man besser gar nicht nachdenken sollte. Wenn das Kyoto-Protokoll nicht bald in Kraft tritt, dann steuern wir direkt auf einen Klimakollaps zu.