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Zensur gegen türkische Kulturschaffende

Ceyda Nurtsch
6. Oktober 2016

Seit dem vereitelten Militärputsch behindert und zensiert die türkische Regierung auch die Kunst- und Kulturszene immer mehr. Dass die Staatstheater nur noch bestimmte Stücke aufführen wollen, sorgt für Diskussionen.

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Türkei -
Bild: picture-alliance/Ap Photo/P. Karadjias

Der Ausnahmezustand in der Türkei wirkt sich auch auf die Kunst- und Kulturszene aus. Künstler sind zwar bislang nicht unter den Inhaftierten, doch "Zensur kann viele Formen annehmen", weiß Asena Günal, Direktorin des Kulturzentrums Depo, einer ehemaligen Tabakfabrik im Istanbuler Stadtteil Tophane. "An Staatstheatern sollen keine ausländischen Stücke gespielt werden, Schauspielern wird für einige Zeit ihr Engagement vom Staatstheater gekündigt oder das Kultusministerium verweigert Kompanien die finanzielle Unterstützung", erzählt die Frau mit schwarzem Lockenkopf auf einer Veranstaltung der nGbK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) in Berlin. Überhaupt stelle sie einen Motivationsverlust bei Kunstschaffenden in der Türkei fest. Auch internationale Kuratoren, Wissenschaftler und Kunstkritiker, die bislang an einem Ideenaustausch interessiert waren, blieben fern, erzählt sie.

Enttäuschte Hoffnung

Dabei zeichnete sich diese Entwicklung zu Beginn der AKP-Herrschaft 2002 noch nicht ab. "Die Kulturszene war sehr lebhaft, als die AKP an die Macht kam", erinnert sich Asena Günal. Auch 2010, als Istanbul Europäische Kulturhauptstadt wurde, herrschte weiterhin eine Atmosphäre der Hoffnung, dass das Land sein Potential weiter ausschöpfen und auch für internationale Künstler und Investoren attraktiv werden könnte. Der Wendepunkt kam mit den Gezi-Protesten 2013 und "der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft und dem Autoritarismus", so Günal. Seitdem müsse die Regierung nichts mehr legitimieren. Menschen, die auf Intellektuelle und Künstler schimpfen, fühlten sich durch sie bestätigt.

Auch schon früher wurden auf Filmfestivals vereinzelt Filme verboten. Doch seitdem der Ausnahmezustand verhängt wurde, herrscht eine verängstigte Stimmung, in der die Übergänge zwischen Zensur und Selbstzensur fließend sind. Organisatoren, Institutionen und Investoren ziehen sich zurück und wollen keine Risiken eingehen. Das zeigt sich deutlich im Bereich der zeitgenössischen Kunst, die meist von Institutionen wie der Bank Aksanat oder einflussreichen Familienclans gesponsert wird. Diese wollten es sich nicht mit der Regierung verderben, weiß Günal. Theater und Kino hätten es ungleich schwerer, weil sie diese Sponsoren gar nicht hätten. Asena Günal ist Mitbegründerin von Siyah Band, einer Plattform, die Fälle von Zensur in der Kunst dokumentiert. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage. "Wir haben zwar Angst, noch weiter isoliert zu werden. Aber wir werden weiterkämpfen", sagt sie.

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Sein Wort gilt in der Türkei: Recep Tayyip Erdogan Bild: AFP/Getty Images

Seit dem Ausnahmezustand wurden Kulturevents wie die Biennalen in Çanakkale und Sinopale abgesagt beziehungsweise verschoben, häufig auch auf Eigeninitiative der Organisatoren. Verträge von Theaterkompanien wurden einseitig gekündigt, der Popsängerin Sila wurden Konzerte verweigert, weil sie über Twitter bekanntgegeben hatte, sie sei zwar gegen den Putsch, aber ein von der AKP organisiertes sogenanntes "Demokratie-Meeting" sei für sie eine Show, an der sie nicht teilnehmen wolle.

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Ob die Fahnenschwenker auf dieser Pro-Erdogan-Veranstaltung auch für Zensur in der Kultur demonstrieren?Bild: Reuters/O. Orsal

Eine Künstlerin, die Zensur und Restriktionen seit Jahren am eigenen Leib erlebt, ist die Sängerin Feryal Öney. Sie ist Vokalistin der Gruppe "Kardeş Türküler" ("Lieder der Brüderlichkeit"), die seit ihrer Gründung 1993 Volkslieder der Türkei interpretiert. Unter anderem singt sie auf Kurdisch und Armenisch und die Lieder der Aleviten. Seitdem es das Ensemble gebe, habe es kaum einen Auftritt in einer Atmosphäre des Friedens gegeben, erzählt die Frau mit dem strengen Dutt nach einem Konzert in der Komischen Oper in Berlin. Immer sei die Polarisierung der Gesellschaft zu spüren gewesen, seien zeitgleich irgendwo Opfer von kämpferischen Ausschreitungen beerdigt worden.

Hauptsache nicht verrückt werden

Künstler, die auf Kurdisch singen, standen in der Türkei schon immer unter Druck. "Doch seit dem 15. Juli ist es egal, welche Musik man macht", erzählt sie. "Man muss nur in einem kleinen Satz etwas sagen, das nicht gefällt, dann kann es einem Popsänger passieren, dass er keine Bühne mehr betreten darf." Viele ihrer Freunde seien festgenommen oder suspendiert worden, weil sie ihre Freiheit forderten. Für das Ensemble gibt es nur eine Möglichkeit, unter diesen Umständen nicht verrückt zu werden, sagt sie: Weitermachen und im In- und Ausland ihre Lieder über Vertreibung, Liebe und Freiheit mit vielen Menschen teilen. 

Comiczeichnerin und Installationskünstlerin Özge Samancı
Özge SamanciBild: Hartwig Klappert

Özge Samanci ist Comic-Zeichnerin und Installationskünstlerin und auf dem diesjährigen Internationalen Literaturfestival in Berlin zu Gast. 2015 erschien ihr autobiographischer Comicroman "Dare to Disappoint. Growing up in Turkey", der in internationalen Medien auf positive Resonanz stieß. Seit 2003 lebt Samanci in den USA und beobachtet ihre Heimat aus der Ferne. Erst vor kurzem solidarisierte sie sich mit der inhaftierten Schriftstellerin Asli Erdogan, indem sie eine Zeichnung von ihr veröffentlichte. "Die Haltung der Regierungspartei AKP wurde immer harscher, besonders als sie bei den Wahlen im Juni 2015 begann, die Unterstützung ihrer Anhängerschaft zu verlieren. Das führte zum heutigen Ausnahmezustand", erklärt die zierliche Frau.

Druck auf Familien von Exilanten

"Akademiker, Künstler und Intellektuelle haben sich niemals völlig frei gefühlt, aber der Druck auf sie nimmt immer weiter zu", so Samanci. Es sei fraglich, ob man wirklich Beweise dafür findet, dass alle Inhaftierten den Putsch unterstützt haben, wie behauptet wird, oder ob man vor allem Andersdenkenden Angst einflößen möchte. Beispiele dafür seien etwa die Schriftstellerin Asli Erdogan, die Wissenschaftlerin Esra Mungan oder der Journalist Can Dündar. Künstler, die wie sie im Ausland leben, gerieten zwar individuell weniger in Bedrängnis. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie festgenommen würden, sei geringer. Doch alle hätten Familie und Freunde in der Türkei und stünden somit auch unter Druck. Inwiefern man sich vom Ausland aus für seine Heimat engagieren möchte, solle jeder für sich entscheiden. Für sich selbst aber sieht sie es als ihre Verantwortung, sich für ihre Kollegen in der Türkei einzusetzen.