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Kuba kämpft gegen leere Regale

Andreas Knobloch
25. August 2022

Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise bricht die kubanische Regierung ein Tabu und erlaubt ausländische Investitionen im Einzel- und Großhandel.

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Kuba Krise l Warteschlangen, Menschen warten, um Essen zu kaufen
Warteschlänge vor einem Lebensmittelgeschäft in Havanna im März 2022Bild: Amanda Perobelli/File Photo/REUTERS

Rodolfo Cotilla* ist angefressen. Seit vier Uhr morgens war der Handwerker aus Havanna unterwegs und hat angestanden - wegen ein paar Stücken Butter, wie er sagt. Kurz vor zehn musste er unverrichteter Dinge wieder abziehen. Das Sortiment war ausverkauft - lange, bevor er an der Reihe war. Dazu wurde an diesem Vormittag im seinem Viertel der Strom abgestellt. Das zerrt an den Nerven.

"Es gibt nichts zu kaufen, nur lange Schlangen überall", klagt der 60-Jährige. Im Geschäft für kubanische Pesos (CUP) im nahegelegenen Einkaufszentrum gibt es nur Seife und Waschmittel, sagt er, "damit man wenigsten ordentlich aussieht, wenn es schon nichts zu essen gibt".

Ein Monatsgehalt für etwas Huhn

In den im Sommer 2020 eröffneten Devisenläden ist das Warenangebot etwas besser, aber Verwandte im Ausland und damit Zugang zu Devisen, um dort einzukaufen, hat Cotilla nicht. "Auf dem Schwarzmarkt kostet ein Päckchen Hühnerfleisch 1000 CUP, ein Karton Eier 800 bis 900 CUP. Wer soll das bezahlen?"

Seine Familie und er könnten das nicht. Die Tochter, ausgebildete Ärztin, verdient 5000 CUP, der Sohn als Unidozent 4000 und seine Frau in einer staatlichen Behörde 2800 CUP, rechnet Cotilla vor. "Mit dem Monatsgehalt meines Sohnes können wir zwei Päckchen Huhn und zwei Kartons Eier kaufen, stell' Dir das mal vor!"

Krise plus Krise plus Krise

Kuba steckt in einer schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise, zu der sich nun auch noch eine Energiekrise gesellt hat. Aufgrund des coronabedingten Einbruchs des Tourismus, dem Ende zahlreicher Ärzte-Missionen und verschärfter US-Finanzsanktionen sind die Deviseneinnahmen Kubas fast komplett weggebrochen.

Die kubanischen Wärmekraftwerke sowjetischer Bauart sind in einem bedauernswerten Zustand und müssten dringend überholt werden. Immer wieder kommt es zu Ausfällen infolge von Havarien oder Brennstoff- oder Ersatzteilmangel. Stundenlange Stromabschaltungen gehören mittlerweile wieder zur kubanischen Normalität.

Ausländisches Kapital

In der vergangenen Woche nun hat die Regierung angekündigt, den Umfang ausländischer Investitionen im Einzel- und Großhandel stark auszuweiten. Ein bemerkenswerter Schritt, war der Binnenhandel für ausländische Investitionen und die Beteiligung privater kubanischer Unternehmen doch bislang tabu. Ziel sei eine Verbesserung der Versorgungslage und des Angebots in den Geschäften, so die Regierung.

Kuba Havanna | Coronavirus Wirtschaft
Leere Stände in einem Geschäft in Havanna, kurz nach der Währungsreform Anfang 2021Bild: Adalberto Roque/AFP/Getty Images

Die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen im Einzelhandel soll gefördert werden, heißt es. Gibt es auf der Insel also bald Supermarktketten mit ausländischer Beteiligung? Im Großhandel sind neben Joint Ventures auch so genannte internationale Wirtschaftsvereinigungen und Unternehmen mit 100 Prozent ausländischem Kapital möglich. Mit den aus diesen Geschäften erzielten Einnahmen soll die nationale Produktion angekurbelt und die Einfuhr von Waren unterstützt werden, um diese in CUP an die Bevölkerung zu verkaufen.

Der kubanische Ökonom Ricardo Torres von der American University in Washington DC sieht die Maßnahme "als Teil eines übereilten Versuchs, die Wirtschaftskrise im Allgemeinen und die Inflation und die Verknappung von Produkten aller Art im Besonderen einzudämmen". Er sagt aber auch: "In gewisser Weise ist das ein Schritt in die richtige Richtung."

"Eine Stufe auf einer langen Leiter"

Die Regierung hat angekündigt, zunächst Unternehmen zu bevorzugen, die Kuba in der Krise gegenüber "loyal" geblieben sind. Allerdings ist Kuba bei diesen Unternehmen oft hoch verschuldet. Für Torres ein aus zwei Gründen trotzdem sinnvoller Schritt. "Unternehmen, die bereits in Kuba tätig sind, kennen die Probleme des kubanischen Marktes und haben dessen Nachteile bis zu einem gewissen Grad 'verinnerlicht'." Zudem könne die Beteiligung an dem Programm eine Möglichkeit sein, die Schulden auszugleichen.

Der unabhängige kubanische Ökonom Omar Everleny Pérez dagegen hält die Schulden für ein Hindernis. "Wie soll sich ein neues Unternehmen einbringen, wenn es nicht zu 100 Prozent sicher ist, dass es auch bezahlt wird?", fragt er. Ein weiteres Problem sei die US-Blockade: "In einem Land, das von den Vereinigten Staaten blockiert wird, kann nicht jedes Unternehmen tätig sein, da es sanktioniert werden könnte." Er glaubt deshalb nicht, dass durch die Maßnahme Ressourcen im gewünschten Ausmaß in die kubanische Wirtschaft fließen, hält sie aber dennoch für eine gute Idee. "Es ist eine weitere Stufe auf einer langen Leiter."

Ein auf Kuba tätiger deutscher Unternehmer, der nicht namentlich genannt werden will, äußert sich dagegen hoffnungsfroh. Endlich könne er mit seinem Joint Venture nun Showrooms und Läden eröffnen und sei nicht mehr nur auf den Verkauf über Online-Plattformen angewiesen. Die Regierung wolle, dass die Maßnahme schnell umgesetzt werde, obwohl viele Einzelheiten, zum Beispiel Zahlungsmodalitäten, noch ungeklärt seien, sagt er. "Wahrscheinlich will die Regierung zeigen, dass es voran geht."

Rückkehr des staatlichen Devisenmarktes

Die Zulassung von ausländischen Investitionen im Handel sind Teil eines größeren Maßnahmenpakets zur Bewältigung der Wirtschaftskrise, das die Regierung Ende Juli angekündigt hatte. Dazu zählt auch die Wiederaufnahme eines staatlichen Devisenmarktes.

Kuba Doppelwährung Peso Cubano und Peso Convertible
Anfang 2021 war die konvertiblen Pesos CUC (rechts) abgeschafft worden. Seitdem galten nur noch die nicht-konvertiblen CUP (links)Bild: Adalberto Roque/APF/Getty Images

Am Montag (22.08.2022) hatte die Regierung angekündigt, dass sie ab sofort wieder Fremdwährungen an die Bevölkerung, und damit auch an Kuba-Reisende, zu einem Kurs von 120 CUP für einen US-Dollar verkaufen wird. Der Kurs liegt damit fünfmal so hoch wie der offizielle Wechselkurs, der weiterhin im Unternehmenssektor gelten soll.

Um mehr Menschen den Zugang zum Devisenmarkt zu ermöglichen und die Nachfrage zu befriedigen, die das Angebot bei weitem übersteigt, werden die Devisenverkäufe auf 100 US-Dollar oder den Gegenwert in einer anderen Währung beschränkt und ausschließlich für natürliche Personen durchgeführt.

Nur gut anderthalb Jahre nach der Währungsreform und der Abschaffung des Konvertiblen Pesos (CUC) war Kuba Anfang August offiziell zu einem System mit mehreren Wechselkursen zurückgekehrt und hatte zunächst wieder Devisen von der Bevölkerung angekauft; nun folgt der begrenzte Verkauf.

Wechsel als Gradmesser für Vertrauen

Mit der Währungsreform zum Jahresbeginn 2021 war der CUC nach 25 Jahren abgeschafft und der CUP als einzige Währung im Umlauf belassen worden - mit einem festen Wechselkurs zum US-Dollar von 24:1. Gleichzeitig stellte der Staat mit der Währungsreform den Umtausch von Devisen gänzlich ein.

In der Folge hat sich ein informeller Devisenmarkt herausgebildet, auf dem ein US-Dollar zuletzt zum Kurs von 1:140 gehandelt wurde. Die Menschen im Land kaufen Devisen, um in den Devisenläden einzukaufen oder auszuwandern. Praktisch sämtliche Preise, die nicht zentral festgelegt sind, richten sich mittlerweile an dem informellen Kurs aus.

Die Wiederaufnahme des Devisenhandels durch den Staat ist der Versuch, die Kontrolle über den Devisenmarkt im Land zurückzugewinnen und die Inflation einzudämmen. Für den Ökonom Pérez ist die Maßnahme "Teil des Weges, der vor uns liegt", aber "unzureichend", da das Devisenangebot sehr begrenzt sei.

"Der Staat hat keine Dollars zu verkaufen. Er hängt also davon ab, wie viele Dollar er einkauft, um sie dann zu verkaufen." Was der Staat nicht habe, könne er nicht ausgeben. "Die Ideen sind gut, aber sie landen in einem leeren Sack. Sie werden keine Verbesserung des inflationären Klimas im Lande bringen."

 

*Name geändert