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Politik

Kroatiens neue Rechte wird immer extremer

25. Oktober 2020

Seit einem Anschlag auf den Sitz der Regierung wird in Kroatien intensiv über den Umgang mit Rechtsextremen diskutiert. Auch die national-konservative Regierungspartei HDZ hat das Problem erkannt.

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Kroatien Angriff auf Polizisten vor Regierungsgebäude in Zagreb
Kroatische Polizisten sichern die Stelle, an der der Attentäter Daniel Bezuk (22) tot aufgefunden wurdeBild: Tomislav Miletic/Pixsell/imago images

Die Überwachungskameras haben alles aufgezeichnet: Am 12. Oktober 2020 gegen acht Uhr morgens geht ein junger Mann entschiedenen Schrittes über den malerischen, zu dieser Tageszeit noch fast leeren Markusplatz in der Zagreber Altstadt. Sein Ziel: das Banuspalais, Sitz der kroatischen Regierung. Eng am Körper trägt er ein Sturmgewehr Modell Kalaschnikow AK-74.

Kurz vor dem Eingang hebt der Angreifer seine Waffe und feuert auf den wachhabenden Polizisten. Auch als der schon schwer verletzt am Boden liegt, schießt der Täter weiter. Erst als ein zweiter Wachmann das Feuer erwidert, flieht der Mann.

Kroatien Angriff auf Polizisten vor Regierungsgebäude in Zagreb
Das Banuspalais in der Altstadt von Zagreb, Sitz der kroatischen Regierung, nach dem AnschlagBild: Josip Regovic/Pixsell/imago images

Wenige Minuten später schrieb der Attentäter auf seinem Facebook-Profil: "Genug der Betrügereien und des rücksichtslosen Tretens auf menschliche Werte ohne jede Verantwortung". Eine halbe Stunde später wurde Daniel Bezuk (22) tot aufgefunden - Selbstmord.

Ein Anschlag auf den Premierminister?

Seit dem Anschlag diskutiert die kroatische Öffentlichkeit intensiv darüber, welche Motive der junge Mann hatte und welche Ziele er verfolgte. Dabei geht es auch um die Frage, ob es eine Atmosphäre in der kroatischen Gesellschaft gibt, die eine solche Tat erst ermöglichte.

Kroatien Angriff auf Polizisten vor Regierungsgebäude in Zagreb
Premier Andrej Plenković (2. v. li.) spricht auf dem Markusplatz in der Zagreber Altstadt vor JournalistenBild: Josip Regovic/Pixsell/imago images

Für Premier Andrej Plenković von der national-konservativen Partei "Kroatische demokratische Gemeinschaft" HDZ ist die Sache klar: der Attentäter wollte in den Regierungssitz eindringen, um ihn, den Regierungschef, zu töten. "Das war Terrorismus", da ist sich Plenković sicher.

Beifall in den sozialen Medien

Žarko Puhovski, emeritierter Professor für politische Philosophie an der Zagreber Universität und einer der angesehensten politischen Analysten Kroatiens, ist anderer Ansicht. "Terror will Angst erzeugen", sagt Puhovski der DW, "aber in den sozialen Medien in Kroatien gab es nach dem Angriff hunderte Botschaften, in denen die Tat begrüßt wurde und in denen sich Leute bei dem Attentäter bedankten. Das hat nichts mit Angst verbreiten zu tun."

Zarko Puhovski Politiloge Kroatien
Žarko Puhovski, emeritierter Professor für politische Philosophie an der Zagreber UniversitätBild: DW/G. Simonovic

Für Puhovski zeigt der Anschlag vielmehr, wie sehr in der kroatischen Öffentlichkeit Gewaltverherrlichung allgegenwärtig ist. "Es wird immer wieder betont, der höchste Wert des kroatischen Patriotismus sei die Würde des sogenannten Vaterländischen Krieges - und Krieg bedeutet immer Gewalt", so Puhovski. Jetzt, so der Tenor vieler Reaktionen, hätte sich endlich jemand entschieden, zu handeln, "denen da oben", die "uns ausbeuten" und "über uns herrschen", es "endlich mal zu zeigen": "Handeln bedeutet in dieser Macho-Welt, Gewalt auszuüben."

Ein Land voller Waffen

Begünstigt wird die Gewaltbereitschaft durch die Tatsache, dass es in Kroatien sehr viele nicht registrierte Waffen gibt. Nach der Unabhängigkeitserklärung von Jugoslawien (1991) und dem darauf folgenden "Vaterländischen Krieg" (1991-95) haben viele Bürgerinnen und Bürger ihre Waffen behalten."Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass es in Kroatien eine illegale Waffe pro Kopf gibt", sagt der Militäranalytiker Igor Tabak.

Jugoslawienkrieg | Kroatien
Kroatische Soldaten im "Vaterländischen Krieg" (1991-95) Bild: AFP/J. Robine

In Rahmen der Aktion "Weniger Waffen, weniger Tragödien" wurden den kroatischen Behörden seit 2007 über 343.000 Pistolen und Gewehre übergeben - darunter über 5000 Maschinengewehre. Hinzu kamen über fünf Tonnen Sprengstoff und mehr als fünf Millionen Stück Munition. Das sei aber nur ein kleiner Teil des illegalen Arsenals, glaubt Tabak: "Die Menschen geben die alten und unbrauchbaren Waffen zurück - die funktionsfähigen behalten sie."

Extremismus Made in Croatia

Noch wichtiger als die bloße Existenz von Waffen aber ist ein gesellschaftliches Klima, das ihre Anwendung begünstigt. Das hat jetzt auch die kroatische Regierung eingesehen. Obwohl der Angreifer vom Markusplatz, soweit bisher bekannt, alleine handelte - er stammt aus einer Familie von Kriegsveteranen. "Wir haben ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem mit Radikalisierung und Extremismus, die nicht von außen kommen, sondern von innen. Das ist ein kroatisches Produkt, mit dem wir uns künftig beschäftigen werden müssen", so Premier Plenković nach dem Anschlag.

Kroatien Okucani | 25. Jahrestag Operation Flash
Der faschistische Gruß "Für die Heimat bereit" steht auf der Schleife bei einem Treffen kroatischer VeteranenBild: picture-alliance/Pixsell/I. Galovic

Verständnis für den Attentäter kommt nicht nur aus den anonymen Tiefen der sozialen Medien. Auch Politiker aus dem rechten parlamentarischen Spektrum, allen voran aus den Reihen der rechtsnationalen "Heimatbewegung von Miroslav Škoro" (Domovinski pokret Miroslava Škore) verharmlosen den Angriff: "Diesem jungen Menschen jetzt alles anzulasten und gleichzeitig alle Sünden der letzten 30 Jahre zu vergessen, wäre sehr falsch", sagt etwa der Bürgermeister der ostkroatischen Stadt Vukovar, Ivan Penava. Der Attentäter hätte "wie wir alle" die ganze Ungerechtigkeit in Kroatien gesehen und seinen Protest gezeigt.

Intoleranz, Hassreden, neofaschistische Symbole

Seit Jahren herrscht ein Klima der Intoleranz in der kroatischen Gesellschaft. Es richtet sich vor allem gegen die serbische Minderheit im Land. Rechtsextreme Ikonographie gehört zum kroatischen Alltag. Zwar gibt es kaum direkte physische Gewalt auf den Straßen - aber scharfe nationalistische Rhetorik, Hassreden und eindeutig rechtsextreme und neofaschistische Symbole sind in der Öffentlichkeit allgegenwärtig. An vielen Häuserwänden stehen Parolen wie "Töte die Serben" oder "Hängt die Serben an die Bäume".

Kroatien Zagreb | faschistisches Graffiti
"Für die Heimat bereit": Der kroatische Faschistengruß auf einem Graffiti in ZagrebBild: DW/J. Drobnjak

Neu ist allerdings, dass jetzt auch die regierende HDZ aus dem rechten politischen Spektrum heraus angegriffen wird - denn diese Partei war lange selbst Vertreterin rechter bis rechtsextremer Positionen. Erst als Regierungschef Plenković vor vier Jahren den Vorsitz übernahm, begann er, den rechten HDZ-Flügel zu schwächen und seine Partei in Richtung politisches Zentrum zu schieben.

Ein internationaler Trend

"Plenković wird von den Rechten als Verräter gesehen, als jemand, der ihre wichtigste Partei gekapert hat und sie nach links führt - und somit als eigentlicher Anführer der Linken", meint Professor Žarko Puhovski. Als zusätzliche Sünde wird gesehen, dass Plenkovićs Regierung mit der Partei der serbischen Minderheit koaliert.

"Es wäre falsch zu behaupten, die Mehrheit der kroatischen Gesellschaft sei rechtsextrem", sagt Puhovski. "Das ist, wie in anderen europäischen Staaten, nur eine Minderheit." Diese neue Rechte, zu der auch viele jüngere Menschen zählen, die den 1995 beendeten Krieg gar nicht aktiv miterlebt haben, folge einem internationalen Trend.

"Die Neue Rechte kämpft gegen Lebenspraxen, die sie als 'unnormal' ansieht, vor allem gegen Homosexualität, gegen Atheisten und gegen all diejenigen, die die nationale Tradition nicht achten, stattdessen internationalistische Bestrebungen haben und sich gegen ihre Eliten aufbäumen", meint Puhovski. Die Rechtsextremen beklagten den Verlust der nationalen Souveränität insbesondere an Europa. In Plenković würden sie einen "Lakaien Brüssels" sehen. Und zumindest bisher habe die kroatische Regierung keine Antwort auf diese neue Herausforderung gefunden.

(Mitarbeit: Siniša Bogdanić)