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PolitikAsien

Iran: Todesstrafe bei Abtreibung

Shabnam von Hein
18. November 2021

Ein neues "Gesetz für die Verjüngung der Gesellschaft" im Iran droht für Abtreibung die Todesstrafe an und geht auf Kosten der Frauen.

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Eine Frau in Teheran
Frauen sollen im Iran vor allem Kinder bekommen und sie aufziehen Bild: Vahid Salemi/AP Photo/picture alliance

Anfang der Woche hat Präsident Ebrahim Raisi mit seiner Unterschrift das "Gesetz für die Verjüngung der Gesellschaft und den Schutz der Familie" in Kraft gesetzt. Ziel des Gesetzes ist die Verstärkung des Bevölkerungswachstums im Iran, unter anderem durch mehr Fernsehsendungen, die Kinderreichtum propagieren. Auch soll es mehr finanzielle Unterstützung für Familien mit Kindern geben.

Scharfe Kritik von Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsorganisationen und auch von Experten im Iran haben die in dem Gesetz enthaltenen neuen restriktiven Regeln für den Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen hervorgerufen.

Restriktive Regeln und Strafandrohungen

So soll die Pränataldiagnostik für Schwangere im Alter zwischen 20 und 40 Jahren von den Krankenkassen nicht mehr bezahlt werden. Ärzten wird untersagt, schwangere Frauen über Möglichkeiten zur Feststellung bestimmter Krankheiten und Behinderungen des ungeborenen Kindes zu informieren. Es wird zwar weiterhin Pränataldiagnostik-Zentren im Iran geben, vor allem in den Großstädten, deren teure Leistungen privat bezahlt werden müssen. Aber selbst wenn dabei eine Fehlbildung oder schwere unheilbare Krankheit des Fötus entdeckt werden sollte: Einen legalen Weg für eine Abtreibung gibt es gemäß dem neuen Gesetz nicht mehr, außer in wenigen Ausnahmefällen.

"Mehr Kinder, mehr Glück" steht auf einem Plakat in Teheran
Mit der Kampagne "Mehr Kinder, mehr Glück" wirbt man seit langem für KinderreichtumBild: khanetarrahan.ir

Denn ein Abbruch der Schwangerschaft ist nur noch im Fall einer tödlichen Krankheit des Fötus oder einer tödlichen Gefahr für die Mutter bei der Geburt legal. Die entsprechende Genehmigung dafür muss von einem Richter ausgestellt werden, nachdem drei Ärzte die medizinische Notwendigkeit des Schwangerschaftsabbruchs bestätig haben. Und: Das Verfahren steht nur verheirateten Frauen offen.

Wer illegal einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, muss mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr rechnen. Auch steht in dem neuen Gesetz: Wer in "großem Umfang" Abtreibungen durchführt, begeht das Verbrechen der "Verdorbenheit auf Erden" und kann mit dem Tode bestraft werden. Was "großer Umfang" bedeutet, bleibt ebenso unklar wie der Adressat: Sind es die Schwangeren oder die Ärzte oder sind beide Gruppen gemeint? Klar ist, dass es Frauen in einer Notlage noch schwerer haben werden, einen Arzt für eine Abtreibung zu finden.

Kritik der UN und aus dem Iran

Das Gesetz verstoße eindeutig gegen internationales Recht, sagten Experten der Vereinigten Nationen in einem Statement anlässlich der Inkraftsetzung des Gesetzes, und forderten seine Annullierung. Sie wenden sich nicht nur gegen die Androhung der Todesstrafe, sondern kritisieren, dass das Gesetz die Menschenrechte von Frauen verletze, zum Beispiel das Recht auf Gesundheit und Verfügung über den eigenen Körper.

Auch im Iran stößt das Gesetz auf Kritik. Fachleute bemängeln, es sei ohne fachkundige Expertise entstanden. Massoud Mardani, Mitglied des Nationalen Komitees für die AIDS-Bekämpfung, warnte: Die Umsetzung werde zur Zunahme ungewollter Schwangerschaften und sexuell übertragbarer Krankheiten führen und letzten Endes auch zu häufigeren HIV-Infektionen.

Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" (HRW) kritisiert das neue Gesetz scharf: Es verletze das Recht der Iranerinnen auf ein gesundes Sexualleben und eine gesunde Schwangerschaft. "Die Frauen leiden sowieso am meisten unter der miserablen wirtschaftlichen Lage im Iran", sagt Tara Sepehri Far, Iranexpertin bei HRW. Im Gespräch mit der Deutschen Welle führt sie weiter aus: "Unsere Recherchen zeigen, dass die Frauen immer mehr ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, um den Kostendruck auf den Familien zu reduzieren, und deshalb sogar auf Vorsorgeuntersuchungen verzichten. Mit dem neuen Gesetz werden weitere staatliche Leistungen für Frauen gekürzt. Das erhöht den Druck vor allem auf die Frauen in konservativen Teilen der Gesellschaft und auf die unverheirateten Frauen."

Kinder verkaufen Blumen auf der Straße in  Teheran
Viele Kinder sind im Iran von Armut bedroht und müssen arbeitenBild: picture-alliance/dpa/B. Weißbrod

Mansoureh Shojaee sieht das Gesetz in einem größeren Zusammenhang: "Wir sehen einen bewussten Versuch, Frauen aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen", sagt die Frauenaktivistin gegenüber der DW.

In den vergangenen zehn Jahren wurden Aufklärungsprogramme über Verhütungsmethoden im Iran verboten, der Zugang von Frauen zu Verhütungsmitteln wurde eingeschränkt, in manchen ländlichen Gebieten wurden sie sogar gänzlich aus dem Verkehr gezogen. "Wir haben es mit einem System zu tun, das Aufklärung als ein Verbrechen sieht. Es schränkt Frauenrechte nicht nur ein: Es will weibliche Erfahrungen und Sichtweisen aus der Gesellschaft entfernen", so das Fazit von Mansoureh Shojaee.

Traum vom mächtigen Iran

Warum der Iran ein Gesetz zur Förderung des Bevölkerungswachstums braucht, ist das Geheimnis der Machthaber. Irans Bevölkerung hat ein Durchschnittsalter von 32 Jahren. Seit der Islamischen Revolution von 1979 hat sich die Bevölkerung mehr als verdoppelt: von 37 Millionen auf geschätzte 84,1 Millionen Einwohner in Jahr 2020. Für das Jahr 2021 wird eine Gesamtbevölkerung des Irans von rund 85 Millionen Menschen prognostiziert.

Gleichzeitig leidet das Land unter massiver Umweltverschmutzung, Wasserknappheit, fehlenden Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit sowie unter US-Sanktionen seit 41 Jahren.

Priorität hat für die iranische Regierung aber offenbar der Traum von einem mächtigen schiitisch geprägten Land in der Nahost- und Golfregion, für dessen Verwirklichung ein forciertes Bevölkerungswachstum als Voraussetzung gesehen wird. Die wichtigste Aufgabe der Frauen dabei ist das Gebären und Aufziehen der Kinder.