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"Konjunkturprogramme sind allenfalls Begleittherapie"

Das Gespräch führte Henrik Böhme.25. November 2008

Man muss den Leuten dauerhaft mehr Geld in der Tasche lassen, meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer im Gespräch mit DW-WORLD.DE.

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Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank Quelle: Commerzbank AG
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der CommerzbankBild: Commerzbank AG

DW-WORLD.DE: Herr Krämer, es gibt eine Menge Ideen, wie man der drohenden Rezession entgegentreten könnte. Das reicht von Mehrwertsteuerabsenkung, Abschaffung des Solidaritätszuschlages, Ausgabe von Gutscheine.Es ist also ein riesiger Katalog von Vorschlägen. Wofür würden Sie denn plädieren?

Jörg Krämer: Erstmal ist es gar nicht so klar, ob man überhaupt ein Konjunkturprogramm machen sollte. Denn wenn wir eine normale Rezession hätten, die kann man ja auch mal einfach so aushalten. Das hat ja auch durchaus einen reinigenden Charakter. Wenn man ein Konjunkturprogramm macht, dann kann es allenfalls einen begleitenden Charakter haben. Und wenn man sich dann wirklich dafür entscheidet, ist es wichtig, dem Bürger nicht nur einmalig etwas Geld zu geben, sondern man muss die Steuern dauerhaft senken. Denn sonst werden die Leute das Geld vermutlich größtenteils sparen. Sinn würde dann machen, generell die Einkommenssteuer zu senken, und zwar dauerhaft oder aber den Mehrwertsteuersatz auf Dauer herunter zu nehmen. Die Bürger wüssten dann, sie haben auf Dauer mehr in der Tasche und dann würden sie auch mehr ausgeben

Aber kann der Staat dann nicht zum Beispiel auch die berühmten Lohnnebenkosten senken – sprich Sozialabgaben runter?

Die Senkung der Sozialabgaben ist natürlich sehr wichtig. Das bedeutet nicht nur, dass die Bürger mehr Geld in der Tasche haben. Gleichzeitig werden dadurch auch die Arbeitskosten niedriger, so dass der Arbeitsplatzabbau in der Rezession gedämpft würde. Aber wenn man das machen würde, müsste man natürlich gleichzeitig auch die Ausgaben der Sozialversicherung senken. Ansonsten würden nur wieder Defizite in der Sozialversicherung auflaufen. Und da weiß der Bürger dann auch wieder: Defizit heute bedeutet, dass morgen die Sozialabgaben wieder erhöht werden. Aber prinzipiell ist eine Senkung der Sozialabgaben gekoppelt mit Ausgabensenkung der Sozialversicherung natürlich auch ein guter Weg, um dem Bürger dauerhaft Geld zurückzugeben und damit auch dauerhaft einen Beitrag zur Konjunktur zu leisten.

Jetzt hat diese Krise ja nicht nur Deutschland erfasst, auch andere europäische Staaten sind betroffen. Eingangs war man sich ja ziemlich einig, dass man diese Krise gemeinsam bekämpfen muss. Jetzt gehen die Meinungen doch sehr auseinander. Die Briten senken die Mehrwertsteuer, die Franzosen machen große Konjunkturprogramme, die Deutschensind eher zurückhaltend. Müsste man nicht viel koordinierter vorgehen?

Ich halte das in dieser Frage für nicht so wichtig. Weil Konjunkturprogramme sind allenfalls – wie gesagt - eine Begleittherapie. Und von daher ist es nicht so wichtig, dass sie abgestimmt sind. Die wichtigen Dinge sind abgestimmt worden. Und die wichtigen Dinge waren, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins senkt. Zweitens waren die Rettungspakete für den Bankensektor abgestimmt, damit die Finanzindustrie in der Lage bleibt, die Wirtschaft weiter mit Geld und Kredit zu versorgen. Das sind die wichtigsten Maßnahmen um sicherzustellen, dass man nicht wie Japan in den 1990er Jahren oder wie die Amerikaner in den 1930er Jahren in eine mehrjährige Phase der Deflation und der Depression kommt. Also die Hauptbekämpfung der Krise geschieht auf der monitären Seite, auf der Seite der Geldpolitik. Das ist sehr stark koordiniert. Die Steuersenkungen, die Fiskalpolitik das sind allenfalls begleitende Dinge, die auch deshalb nicht so stark koordiniert werden müssen.

Aber es steht womöglich doch eine sehr tiefe Rezession bevor. Die düstersten Szenarien gehen von einem Einbruch um bis zu zwei Prozent beim Bruttoinlandsprodukt aus. Wie schätzen Sie denn die Lage ein?

Die Situation ist in der Tat recht schwierig. Wir werden im vierten Quartal einen Einbruch des Wirtschaftswachstums erleben. Die Ausgangsbasis für 2009 ist damit sehr schlecht. Auch ich prognostiziere seit einiger Zeit schon, dass die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr schrumpfen wird und zwar um ein 1,25 Prozent. So stark ist sie seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie geschrumpft. Also man sollte die Signale sehr ernst nehmen.

Dr. Jörg Krämer ist seit Juli 2006 Chef-Volkswirt und bei der Commerzbank. Zuvor war er von 2005 bis 2006 Chef-Volkswirt bei der HypoVereinsbank. Seine Karriere begann der 41-jährige am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW), wo er 1995 promovierte.