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Warum überhaupt noch Paralympics?

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
7. September 2016

Der Spitzensport tut sich immer noch schwer mit dem Behindertensport. Die Lösung wäre mehr und vor allem ernstgemeinte Inklusion, meint Joscha Weber. Olympische und Paralympische Spiele sollten zusammengelegt werden.

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Ein Fackelläufer vor Cristo Redentor (Foto: Reuters)
Zwei Fackelläufe, zwei Spiele - warum eigentlich?Bild: Reuters/U. Marcelino

Der Gedanke klingt im ersten Moment ungewohnt, ja, fast absurd: Behinderte und Nichtbehinderte Sportler nehmen an ein und der gleichen Veranstaltung teil. Damit wird man beiden nicht gerecht, sagen Sportfunktionäre seit Jahren und wischen das Thema echte Inklusion im Sport damit schnell vom Tisch. Aber stimmt diese Annahme überhaupt noch?

Zur Beantwortung dieser Frage muss klar sein, was mit Inklusion im Sport überhaupt gemeint ist: Das gemeinsame Sporttreiben von Menschen mit und ohne Behinderung ist ein Ziel, das seit vielen Jahren weltweit verfolgt wird. Allerdings meist nur im Breiten- und Schulsport. Im Spitzensport bleibt es oft beim Nebeneinanderher. Erst die Olympischen, dann als Anhängsel die Paralympischen Spiele mit gut zwei Wochen Abstand. Auch wenn die Paralympics so von der Olympia-Infrastruktur profitieren, ist diese Konstellation keine gute Idee. Weil die Aufmerksamkeit für die Paraathleten so nachlässt, weil längst wieder andere Sportevents Bundesliga, Champions League, US Open etc. laufen. Und weil der behinderte Sportler so irgendwie immer etwas anderes bleibt, als das, was er eigentlich doch nur ist: einfach ein Sportler.

Parallele Wettkämpfe statt eines lästigen Anhängsels

Natürlich können die allermeisten Menschen mit Behinderung mit ihren Mitmenschen ohne Behinderung sportlich nicht mithalten. Deswegen sollte man unter Inklusion auch nie ein Gegeneinanderantreten von Behinderten und Nichtbehinderten verstehen. Das macht in der Tat im Sinne eines fairen Wettkampfes keinen Sinn - übrigens auch dann nicht, wenn behinderte Athleten mit biomechanisch optimierten Hightech-Prothesen schneller laufen oder springen, als es nicht behinderte Athleten mit Beinen aus Fleisch und Blut je könnten.

Eine echte Olympische Inklusion wäre, wenn parallel Wettkämpfe von Nichtbehinderten und Behinderten stattfinden würden, in derselben Arena, vor dem gleichen Publikum. Das wäre nicht nur eine echte Aufwertung des Behindertensports. Man würde damit auch Situationen vermeiden wie aktuell in Rio: Die Paralympics 2016 standen offenkundig vor dem Aus, weil die finanziellen Mittel allesamt für Olympia ausgegeben wurden und die Kassen leer waren. Nur weil Staat und Stadt kurzfristig weitere 70 Millionen Euro zuschossen, konnte die "schlimmste Situation in der Geschichte der paralympischen Bewegung" abgewendet werden, wie Sir Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), die Lage beschrieb. Die Paralympics als "lästige Pflicht" nach den "eigentlichen" Spielen - damit muss Schluss sein. Denn genau diesen Eindruck vermittelt Thomas Bach, der als Weltchef des Sports der Paralympics-Eröffnungsfeier fernbleibt.

Joscha Weber (Foto: DW)
DW-Sportredakteur Joscha Weber

Denn die Zahl von bisher mehr als 1,5 Millionen verkauften Paralympic-Tickets zeigt, dass die Wettkämpfe der Menschen mit Behinderung durchaus Potential haben. Ein Milliarden-Publikum an den TV-Geräten beweist zudem durchaus die Massentauglichkeit der Entscheidungen. Wenn den Wettbewerben nun noch der Makel des Besonderen, des sportlich eingeschränkten Wertes, genommen wird, dann würde der gesamte Spitzensport ein neues Level erreichen. Dafür wären freilich viele Schritte nötig, zum Beispiel eine Vereinfachung des bislang zuschauerunfreundlichen, weil verwirrenden Schadensklassen-Systems bei den Behinderten, zudem eine generelle Verschlankung der Spiele.

Nur wenige Verbände nehmen die Inklusion ernst

Bis zu den Spielen von Rio wollte das IPC eigentlich die Arbeit als Fachverband für behinderte Sportler einstellen und stattdessen den einzelnen Sportverbänden die Verantwortung übergeben. Einzelne Verbände wie Triathlon oder Kanu machen bereits mit und organisieren Wettkämpfe für Nichtbehinderte und Behinderte, viele andere Fachverbände wie Leichtathletik oder Schwimmen zeigen kaum Interesse an solchen Überlegungen. Ohne ein klares Signal des Internationalen Olympischen Komitees für eine echte Inklusion im Spitzensport wird sich daran kaum etwas ändern.

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