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Politik

Putins virtueller Sieg über Amerika

Wirtschaftskolumnist der Deutschen Welle Andrey Gurkov
Andrey Gurkov
1. März 2018

Wladimir Putins beispiellose Video-Präsentation der neuesten Waffen im Vorfeld der Präsidentenwahl in Russland läutet eine neue Runde eines globalen Wettrüstens ein, meint Andrei Gurkov.

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Wladimir Putin
Bild: picture-alliance/dpa/A.Zemlianichenko

Die russischen Wähler mögen Siege - besonders wenn es Siege über das verhasste Amerika sind. In seinen ersten beiden Amtszeiten als Präsident verhalf Wladimir Putin den russischen Bürgern zu einer beispiellosen Steigerung des Wohlstands. Doch der absolute Höhenflug in den Umfragewerten begann für ihn, als er in seiner dritten Amtszeit die Krim eroberte. Damit hatte er nach Meinung vieler Washington "eins ausgewischt".

Als weitere herausragende Leistung ihres Landes und entsprechend als Putins Sieg betrachten die Russen dank des unermüdlichen Einsatzes des Staatsfernsehens und anderer Pro-Kreml-Medien die Militäroperation in Syrien. Doch vor den Wahlen am 18. März wollte der russische Präsident seinen Wählern offenbar etwas Neues, Frisches, aber nicht weniger Ehrgeiziges bieten.

Und er griff zu einer in innenpolitischer Hinsicht brillanten PR-Maßnahme: Zweieinhalb Wochen vor der Wahl verkündete er, Russland habe im Bereich der Rüstung einen Sieg über Amerika errungen. Ganze 45 Minuten, fast die Hälfte seiner wichtigsten Rede vor der Wahl, widmete er einem detaillierten Bericht über die neuesten russischen Raketen, Unterwasserdrohnen, Kampflaser und andere Systeme, die die amerikanische Raketenabwehr überwinden können und sie praktisch bedeutungslos machen.

Videopräsentation von Waffensystemen

Auf riesigen Leinwänden wurden nacheinander Videoclips mit dokumentierenden Aufnahmen und Computeranimationen gezeigt. Zu sehen war, wie alle möglichen Raketen gestartet werden, wie sie elegant Hindernisse und Abfangsysteme umgehen und schließlich bestimmte Ziele im Ozean und in Übersee treffen.

Dieser virtuelle Sieg über Amerika ist, wie wir jetzt verstehen, der Trumpf, mit dem Putin triumphal ein Mandat für eine vierte Amtszeit als Präsident gewinnen will. Vor dem Hintergrund all dieser grandiosen militärischen und technischen Neuheiten verblasste der erste Teil seiner Rede stark, in dem er versprach, das Pro-Kopf-Einkommen bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts um das 1,5-fache zu erhöhen sowie die Ausgaben für Gesundheit, Straßenbau und Stadtentwicklung zu verdoppeln.

Doch das sind alles nur gute Absichten, Pläne, langfristige Ziele, und es ist unklar, woher das Geld für die Verdoppelung der Ausgaben herkommen soll. Putin hielt sich erstaunlich kurz, ja fast beiläufig bei der entscheidenden Frage der Finanzierung auf. Er forderte lediglich, die Effizienz der öffentlichen Ausgaben zu erhöhen und deutete Steuererhöhungen an. Die neuen Waffen gebe es aber schon, und zwar real, wie der Präsident versicherte. Sie hätten alle Test absolviert und würden schon jetzt an die Truppen geliefert.

Die Spur des Geldes

Jetzt wird deutlich, woran Russland unter Putins Führung in den letzten zehn bis 15 Jahren intensiv gearbeitet hat, wofür ein wesentlicher Teil der Einnahmen aus Öl und Gas ausgegeben wurden, wo die besten Mathematiker, Konstrukteure und Ingenieure des Landes eingesetzt wurden, warum sich die zivilen Hochtechnologien nur schlecht entwickelten, sich das Gesundheitswesen verschlechterte, Menschen Kleinstädte verließen und keine Straßen gebaut wurden.

Gurkov Andrey Kommentarbild App
Andrey Gurkov, Redakteur in der russischen Redaktion der DW

Der russische Präsident macht die Amerikaner und ihre Raketenabwehrsysteme für alles verantwortlich. Die Argumente der USA, warum sie insbesondere in der Nähe der russischen Grenzen - in Rumänien und Polen - stationiert werden müssen, waren tatsächlich anfangs nicht sehr überzeugend. Washington provozierte zweifellos Moskau zu Gegenmaßnahmen, aber der stolze Kreml zog es trotz der Schwäche der russischen Wirtschaft vor, "zurückzuschlagen", statt alle möglichen diplomatischen Bemühungen zu unternehmen, um eine für beide Seiten annehmbare Lösung zu finden.

Es ist nur sehr schwer zu glauben, dass Russland dabei ausschließlich an seine Verteidigung dachte - nach der Annexion der Krim, der Einnahme von Debalzewo in der Ostukraine, der Bombardierung von Aleppo in Syrien und den wiederholten Cyberangriffen in Amerika und Europa.

Russlands Vorteil

In Wirklichkeit hat der russische Präsident am 1. März 2018 erstmals die Welt über das gigantische russische Programm zur Wiederaufrüstung informiert. Mehr noch, er sagte, dass niemand auf der Welt solche Waffen habe. Mit anderen Worten, Russland hat einen strategischen Vorteil erreicht.

Das wird nicht unbeantwortet bleiben. Wenn Putins berühmte Rede in München im Jahr 2007 als Vorbote des Beginns des Kalten Krieges zwischen Russland und dem Westen gewertet werden kann, dann kann seine jetzige, beispiellose Videopräsentation in Moskau als Startsignal für eine neue Runde des globalen Wettrüstens angesehen werden, da nicht nur aus Washington eine Antwort folgen wird. Putins Multimedia-Rede wird die USA sicherlich an die Drohung des nordkoreanischen Führers Kim Jong Un erinnern, einen Raketenangriff auf das Territorium der USA zu unternehmen. Und die europäischen NATO-Mitglieder einschließlich Deutschland werden sicher nicht umhinkommen, die Verteidigungsausgaben auf mindestens zwei Prozent des BIP zu erhöhen.

Jetzt gibt es keine Zweifel mehr: Putins vierte Amtszeit wird von einer zunehmenden militärischen Konfrontation im Rahmen eines globalen Wettrüstens zwischen Russland auf der einen und den USA und der NATO auf der anderen Seite geprägt sein. In einer solchen Situation könnte Moskau für all die wunderbaren Maßnahmen zur Verbesserung des Wohlergehens des russischen Volkes, von denen Putin im ersten Teil seiner Rede gesprochen hatte, einfach das Geld ausgehen.

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