1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mogelpackung - die neuen Oscar-Kriterien

Jochen Kürten
Jochen Kürten
9. September 2020

Ab 2024 soll der Oscar vielfältiger werden. Die Academy in Los Angeles kündigte jetzt neue Regularien für den Filmpreis an. Sind diese zielführend? Nein, da muss noch sehr viel mehr geschehen, meint Jochen Kürten.

https://p.dw.com/p/3iCDC
Oscar-Verleihung 2014
Bild: Reuters

In vier Jahren soll der Oscar die ganze Vielfalt der Filmwelt darstellen. Das hört sich zunächst einmal gut an. Im Detail sieht das so aus: In der Kategorie "Bester Film" sollen die nominierten und später dann ausgezeichneten Filme bestimmte Kriterien erfüllen. Vor und hinter der Kamera, bei den Schauspielern, Technikern, im Studio wie am Set, aber auch schon bei der Film- bzw. Drehbuchentwicklung sollen gesellschaftliche Minderheiten eingebunden werden.

Filme, die dann den Oscar als "Bester Film" erringen, sollen mindestens zwei dieser nun aufgestellten Kriterien erreicht haben. Die "Academy of Motion Picture Arts and Sciences" will mehr Diversität bei den Geschlechtern, der sexuellen Orientierung der Filmschaffenden. Sie möchte eine deutlichere Einbindung von Menschen mit Behinderung, von Minderheiten.

Die globalisierte Welt besser widerspiegeln

Dadurch, so der Academy-Präsident David Rubin und der Vorstandsvorsitzende Dawn Hudson in einer Stellungnahme, würde die "diverse globale Weltbevölkerung bei der Schaffung von Filmen besser abgebildet" werden. Auch das Publikum rund um den Erdball würde sich in den Filmen eher wiederfinden.

Kuerten Jochen Kommentarbild App
DW-Kulturredakteur und Film-Experte Jochen Kürten

Den Oscar in der Sparte "Bester Film" bekommen die Produzenten. Sie müssen also in Zukunft darauf achten - wenn sie denn Oscar-Ambitionen hegen -, dass beispielsweise bei der Besetzungsliste Haupt- oder wichtige Nebenrollen mit Darstellerinnen und Darstellern aus einer Minderheit besetzt werden, etwa asiatischer oder hispanischer Abstammung. Auch thematische Aspekte müssen bzw. können eine Rolle spielen, um die Preis-Chancen zu verbessern. Es soll um Minderheiten gehen, um die Situation von Frauen, um gesellschaftliche Randgruppen, um Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung, also Schwule, Lesben oder Trans-Menschen.

Das ganze soll sich, wie gesagt, nicht nur vor der Kamera abspielen, sondern auch im Bereich der Herstellung von Filmen eine Rolle spielen. Ein afroamerikanischer Kameramann, eine lesbische Kostümbildnerin, ein Drehbuchautor hispanischer Abstammung - all das würde künftig beachtet, wenn sich die rund 9000 Academy-Mitglieder zusammensetzen und darüber abstimmen, wer denn nun das Siegel "Bester Film" verdient.

Die Gefahr des Bedeutungsverlustes

Bei all dem wird deutlich: Die Oscar-Academy müht sich um einen Weg aus einer jahrzehntelang gepflegten Tradition. Die sah so aus: Vor allem und fast ausschließlich war der "Oscar" ein Preis für weiße Stars in großen, populären Hollywood-Streifen. Auch Regisseure, Kameraleute, Techniker stammten aus dieser Filmwelt. Es war eine US-amerikanische, nicht immer heile, aber zumindest meist glatt gebügelte Welt der Stars und Sternchen.

Seit ein paar Jahren spürt die Academy, dass diese Welt sich geändert hat. Es ist eine globalisierte Welt. Und da Hollywood vor allem auch eine große Kommerzmaschine ist, musste Abhilfe geschaffen werden. Denn welche Rolle würden der Oscar und die Oscar-Filme spielen, wenn sie weiterhin nur einseitig auf diese "weiße" Karte setzen würde? Wen würde das künftig im wichtigen Absatzmarkt China interessieren, in der Vielfalt des europäischen Kontinents?   

Der Oscar muss sich aus weiteren Fesseln lösen 

Die Academy hat das erkannt und in den vergangenen Jahren mehr Frauen, Afroamerikaner, Hispanics und Filmschaffende aus anderen gesellschaftlichen Gruppen aufgenommen, Menschen also, die die ganze Vielfalt der Welt repräsentieren. Und es hat ja auch schon Wirkung gezeigt. Mit "Moonlight" wurde 2017 der Film des afroamerikanischen Regisseurs Barry Jenkins ausgezeichnet, in diesem Jahr mit dem südkoreanischen "Parasite" erstmals ein nicht-englischsprachiger Film.

Damit kommen wir zu einem der beiden Aspekte, die die jetzige Oscar-Reform sehr fragwürdig machen. Der Oscar ist nach wie vor ein Preis des englischsprachigen Kinos. Die Auszeichnung von "Parasite" ist bisher die große Ausnahme. Warum also hat man nicht den Mut bewiesen, den Oscar für alle Länder zu öffnen? Und dann auch die unsägliche Kategorie "bester nicht-englischsprachiger Film" abzuschaffen? Erst dann wäre der Oscar wirklich ein globaler Filmpreis. Und nebenbei: Warum beziehen sich die neuen Kriterien lediglich auf die Sparte "Bester Film"? Sollten sie nicht für alle anderen Sparten auch gelten?

Demnächst typische Oscar-Filme?

Das führt zum zweiten Kritikpunkt: Werden künftig Produzenten tatsächlich nach den nun geschaffenen Kriterien Filmcrews und Rollen besetzen? Werden diese Fesseln nicht Kreativität und angestrebte künstlerische Vielfalt eher behindern als begünstigen? Auch ist ein großer bürokratischer Aufwand zu befürchten. Werden künftig spezielle Oscar-Filme hergestellt, Kunstprodukte mit dem Ziel, den Preis in der Kategorie "Bester Film" zu erringen?

Keine guten Aussichten für den Oscar. Vermutlich braucht es noch lange, bis dieser Filmpreis wirklich die globalisierte, vielfältige Welt des Kinos widerspiegelt.