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Letzte Chance für deutsche Autobauer

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Henrik Böhme
25. Juni 2019

Das Verhältnis von Politik und Autoindustrie hierzulande gilt seit Dieselgate als angespannt. Das ist auch besser so. Und trotzdem haben die Autobauer die Politik weiter fest im Griff, meint Henrik Böhme.

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Volkswagen ID.3 - Elektroauto
Bild: Volkswagen AG

Das waren ungewohnt klare Worte der Kanzlerin Anfang des Monats Juni beim sogenannten "Tag der Deutschen Industrie": Als Replik auf die scharfe Kritik des obersten Industrielobbyisten ("Die Regierungspolitik schadet den Unternehmen") entgegnete Angela Merkel kühl, sie könne auch darüber sprechen, "wie lange ich damit verbracht habe, mich mit dem Vertrauensverlust der deutschen Automobilindustrie auseinanderzusetzen und den Regelverletzungen."

Das war nicht der erste Konter der Kanzlerin gegen die Autobranche, zeigte aber doch noch einmal ihren Bewusstseinswandel. Wenn es früher um neue Grenzwerte für Abgase ging, welche die EU-Kommission beschließen wollte, war Merkel die Erste, die in Brüssel dafür sorgte, dass es am Ende nicht so schlimm für die Autokonzerne kam.

Ziel klar verfehlt

Seither geschah es nicht erst einmal, dass Autobosse zum Rapport ins Kanzleramt geladen wurden. Das nennt man dann meist, wie am Montagabend, "Autogipfel". In Wirklichkeit aber will die Regierung wissen, wann es denn nun endlich losgeht mit der elektrischen automobilen Revolution. Eigentlich, so die Zielvorgabe der Politik, sollten ja ab dem kommenden Jahr eine Million Elektroautos über Deutschlands Straßen fahren und 100.000 öffentliche Ladesäulen dafür sorgen, dass man eben nicht mit ausgelutschter Batterie im Nirwana liegen bleibt.

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Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Dass dieses Ziel verfehlt werden wird, ist so klar wie nur etwas. Gerade mal 83.000 Autos (von 47 Millionen Pkw insgesamt) mit reinem E-Antrieb sind "on the road", Ladepunkte gibt es 17.400. Aber Deutschland ist nun mal keine Planwirtschaft, wo solche Ziele befohlen werden können. Der Markt soll es regeln. Aber solange E-Autos viel teurer sind als solche mit herkömmlichen Antrieben, solange mangels einer ausreichenden Zahl von Ladestationen die Unsicherheit da ist, über weite Entfernungen sein Ziel nicht erreichen zu können, kommt ein solcher Markt eben nicht in Schwung. Dann kann der Staat stimulierend eingreifen (was er auch macht mittels Kaufprämie). Aber woher die deutsche Autoindustrie die Chuzpe nimmt und der Politik neue Forderungen stellt, nämlich die: Wir erhöhen das Angebot an E-Autos und Du, lieber Staat, finanzierst die Ladesäulen - bleibt das Geheimnis der Herrschaften zwischen Wolfsburg und Stuttgart. Wie war das eigentlich vor 100 Jahren? Hat da auch der Staat die Tankstellen gebaut? Oder waren es nicht doch die Mineralölkonzerne?

Neue Allianzen gefragt

Jetzt, klar, kommen neue Player ins Spiel. Das Land mit E-Ladesäulen zupflastern, die gespeist werden von umliegenden Windrädern und Solaranlagen (nur dann macht ein E-Auto Sinn) - das müsste doch ein Riesen-Geschäftsmodell sein! Aber eben nicht für Aral, Shell und Co, sondern für die Energieversorger Eon, RWE und Co. Die suchen doch krampfhaft nach neuen Einnahmequellen, wenn ihnen die alten Kraftwerke demnächst abhanden kommen. Vielleicht könnten sich ja sogar neue Allianzen bilden zwischen Ex-Öl- und Ex-Kohlestromkonzernen. Also bitte, liebe Daimlers, VWs und all die anderen Autobauer: Überlegt euch das nochmal mit dieser unverschämten Forderung. Schließlich habt ihr ja guten Willen bewiesen, und wollt gemeinsam ein europäisches Ladenetzwerk aufbauen (namens Ionity). Aber 400 Stationen in 18 Ländern: Das kann ja nur ein Anfang sein!

Natürlich kostet das alles einen Haufen Geld. Auch die vielen neuen Elektroautos, die nun (endlich) kommen sollen, haben in der Entwicklung Milliarden verschlungen. Und freilich müssen auch die Milliardenstrafen in Sachen Dieselgate beglichen werden. Aber das bitte darf nicht auf die Verbraucher umgelegt werden. Denn nicht die haben getrickst, sondern sie wurden von VW und Co betrogen. Man kommt nicht umhin festzuhalten: Die Entwicklung der E-Mobilität haben die deutschen Hersteller deswegen verschlafen, WEIL Grenzwerte manipuliert wurden!

Die Politik verschafft den Autobauern jetzt die einmalige Chance, diesen Fehler wiedergutzumachen. Noch haben die deutschen Hersteller die Chance, am Ende mit ihrem Knowhow, ihrem Können und ihrer Ingenieurskunst an der Spitze der E-Autohersteller zu stehen (was Tesla niemals schaffen kann). Glaubt man den Versprechungen, scheint, es als hätten die Hersteller verstanden. Ein bisschen jedenfalls. Denn: In diesem Jahr werden in Deutschland erstmals mehr als eine Million Autos einer ganz speziellen Kategorie zugelassen. Dummerweise alles SUV´s mit herkömmlichem Verbrennungsmotor.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58