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Kommentar: Kiews Affront gegen die EU

Bernd Johann21. November 2013

Die Politiker in Kiew sind gerade dabei, die europäische Perspektive ihres Landes zu verspielen. Sie beugen sich dem Druck aus Moskau, meint Bernd Johann.

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Was für eine rasante Kehrtwende! Und noch dazu ein Affront gegenüber der Europäischen Union! Eine Woche vor dem entscheidenden Gipfel in Vilnius legt die ukrainische Regierung weitere Gespräche über ein Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis. Zugleich brüskiert auch das Parlament der Ukraine die Partner in Europa. Es lehnte mehrere Gesetzentwürfe ab, die eine Freilassung der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko hätten ermöglichen können.

Jahrelang haben Brüssel und Kiew über das Abkommen verhandelt. Hunderte Vertragsseiten liegen fertig auf dem Tisch. Es fehlen nur noch die Unterschriften. Nun auf einmal ist in Kiew von nationalen Sicherheitsinteressen die Rede, die eine Neubelebung der Beziehungen zu Russland erfordern. Inzwischen hat die Ukraine sogar vorgeschlagen, Moskau solle in die Gespräche mit der EU einbezogen werden. Damit ist klar: Die Ukraine beugt sich dem massiven Druck aus Moskau.

Bernd Johann, Leiter der Ukrainischen Redaktion der DW (Foto: DW/Per Henriksen)
Bernd Johann, Leiter der Ukrainischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW/P. Henriksen

Präsident Janukowitsch wählt Moskau

Diese Entwicklung zeichnete sich seit Tagen ab. Die Führung in Kiew hat ein doppeltes Spiel betrieben. Die Parlamentsdebatten waren nur ein Ablenkungsmanöver, um die EU zu beschäftigen. Denn während Kiew seinen europäischen Gesprächspartnern die Notwendigkeit von speziellen Gesetzen in der Timoschenko-Frage erläuterte und dabei immer wieder das Interesse an einer EU-Assoziierung unterstrich, verfolgte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch längst einen Alternativplan. Mehrmals traf er sich mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin. Nur wenig ist über die Gespräche bekannt.

Aber die russische Position zu einer engeren Anbindung der Ukraine an Europa, die hat der Kreml längst deutlich gemacht. In imperialistischer Manier hat Russland in den vergangenen Monaten regelrechte Handelskriege gegen die Ukraine angezettelt. Mal waren es Sanktionen gegen Lebensmittelimporte aus der Ukraine, mal drohte Moskau Kiew mit der Gaswaffe: Die Energiebeziehungen könnten überdacht werden, wenn die Ukraine sich an die EU bindet. Vor einigen Jahren hat der Kreml mitten im Winter schon einmal vorgemacht, wie das geht. Der Gashahn wurde zugedreht. Die Menschen in der Ukraine froren.

Die EU ist vorerst gescheitert

In Konkurrenz zur Ostpolitik der EU drängt der Keml seine Nachbarstaaten in eine Zollunion. Sie besteht derzeit nur aus Belarus und Kasachstan und soll nach strikten Spielregeln des Kreml funktionieren. Ohne die Ukraine ist diese Zollunion aus Moskaus Sicht nur unvollständig. Neben Russland ist die Ukraine das bevölkerungsreichste Land auf dem Territorium der Sowjetunion. Gerade wirtschaftlich ist deshalb die Ukraine so wichtig.

Für die EU ist die Kehrtwende der Politiker in Kiew ein schwerer Rückschlag. In Brüssel weiß man um die prekäre Lage der Ukraine. Die EU-Staaten möchten das Land politisch und wirtschaftlich stabilisieren, auch durch Energielieferungen aus den EU-Staaten. Denn nur dann könnte die Ukraine eines Tages souverän und unabhängig von Moskau handeln.

Derzeit hat sie diese Unabhängigkeit nicht. Deshalb ist das europäische Projekt Ukraine vorerst gescheitert. Und es spricht wenig dafür, dass die EU-Assoziierung bis zum Vilnius-Gipfel nochmal in Gang gebracht werden kann. Russland dürfte in nächster Zeit das Schicksal der Ukraine bestimmen. Die Führung in Kiew wird zum Juniorpartner des Kreml.