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Kommentar: Jetzt oder nie!

Volker Wagener8. Juli 2014

Deutschland gegen Brasilien: Vergessen wir die negative Bilanz gegen die Seleção, die Stunde ist reif für einen Coup. Es muss gelingen, denn die Generation Schweini braucht ihr Abschlusszeugnis, findet Volker Wagener.

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Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski bei der WM in Brasilien - Foto: Andreas Gebert (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es wird ernst, es geht ums Ganze. Übrig geblieben sind die "Big Four". Und alle können mit guten Gründen das nicht existierende Recht auf den Titel für sich reklamieren: Die Brasilianer, weil sie schon fünfmal die Trophäe gewinnen konnten und nun Heimrecht haben. Die Argentinier, weil es schon eine Weile her ist (28 Jahre), dass sie auf dem Olymp des Fußballs standen. Und die Niederländer? Wer dreimal im Finale stand und immer nur Zweiter wurde, ist reif für den Pokal. Wenn nicht, droht der Psychiater.

Deutschland: Kein Panzer-Fußball, kein Schönwetter-Kick - ein Gesamtkunstwerk

Rechtfertigungen für den WM-Titel gibt es viele, selbst Italiener und Spanier könnten da mitbieten. Doch die sind schon zu Hause. Aber wir sind noch dabei. Und das waren wir zuletzt immer: mit dabei, unter den besten Vier. Vize-Weltmeister 2002, WM-Dritter 2006 und 2010. Immer stark, oft gut anzusehen, im Ergebnis aber nicht effizient genug. Immer war irgendetwas nicht perfekt, um den letzten Schritt, die Stufe nach ganz oben zu gehen. Selbst im Erfolg fehlte was. Die Titel 1974 und 1990 waren Triumphe des Willens. Es waren Siege wie gewonnene Panzerschlachten. Für diesen Fußballstil wurden wir nie geliebt, aber gefürchtet.

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Wir müssen gar nicht über Brasilien reden, wir brauchen nur uns selbst betrachten. Vieles ist anders 2014: Schönheit, Kampfkraft und Effizienz halten sich diesmal die Waage. Die Mischung ist es, die das Projekt Titel nun krönen könnte. Jogis Truppe ist kampfstark (die höchste Laufleistung aller WM-Teams), sie ist standardsicher (schon fünf Tore nach Ecken, Freistößen und Elfmeter), und ist von Neuer bis Müller von einer Homogenität, die ihresgleichen sucht. Selbst Rekonvaleszenten wie Schweinsteiger und Khedira finden im Turnier wieder zurück zu alter Stärke. Das Kollektiv ist so stark, dass Özils Mentalschwäche, Götzes Zaudereien und Podolskis Unstetigkeit locker kompensiert werden. Sogar die Causa Lahm, die fast plebiszithafte Züge in deutschen Kneipen und Wohnstuben trug, wo denn nun der kleine Philipp spielen solle, wurde flexibel mitten im Spielbetrieb gelöst. Selbst das Heimrecht der Brasilianer müssen wir nicht fürchten. Achtmal spielte eine DFB-Elf schon gegen Gastgeber auf Turnieren, alle acht siegreich!

Das alles führt zu einem Selbstbewusstsein, das immun macht gegenüber Nörgeleien, warum denn gegen Ghana größtenteils Konzept und Übersicht und gegen Algerien die Überlegenheit fehlten. Wie haben wir die Italiener für ihren Ergebnisfußball gehasst, dem wir so oft naiv zum Opfer gefallen sind. Jetzt ist Schluss mit Hurra-Fußball. Per Mertesacker hat es vorgemacht. Selbstzerfleischende Nölereien nach dem Arbeitssieg gegen Algerien konterte er ("Wat wolln' Se? Sollen wir schön spielen und verlieren?") souverän und unter großen Applaus der deutschen Fußball-Fangemeinde erfrischend flapsig und authentisch. Jetzt gilt: Erst mal wird gewonnen und dann kommt noch der Schönheitspreis - vielleicht.

DW-Redakteur Volker Wagener - Foto: Per Henriksen
DW-Redakteur Volker WagenerBild: DW

Bitte vollenden, jetzt!

Hinter all diesen Symptomen steht ein einziger Gedanke: Wir wollen jetzt Weltmeister werden! Trainer Löw ("'S isch högschde Zeit") und Mannschaft wollen das und die schwarz-rot-goldenen Jubelfans wollen es schon lange. Und jetzt stimmt die Rezeptur. Erst recht die unbedingte Entschiedenheit der Handelnden. Jogi Löw kann nicht weniger wollen als den Titel nach all den Achtungserfolgen seit 2006. Er braucht sein Meisterstück. Und die Mannschaft auch. Schweinsteiger, Lahm, Podolski - die Boygroup des deutschen Fußballs - hat längst die Fußball-Pubertät hinter sich, den wilden, schönen Jahren muss in Brasilien die Reifeprüfung folgen. Sonst bleibt diese Ära eine Unvollendete. Und auch Opa Klose ist noch auf der Suche nach dem Sahnehäubchen im Spätherbst seiner Karriere. Noch ein Treffer und er ist der erfolgreichste WM-Torjäger aller Zeiten und Ronaldo muss gratulieren kommen. Schieß es heute, Miro, und spar dir noch eins für Sonntag auf!