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Hat der Sport NICHTS gelernt?

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
3. August 2015

Doping? Bei uns? Das kann nicht stimmen! Wer so etwas sagt, der lügt! So kommentieren weite Teile der Leichtathletik-Welt die Doping-Enthüllungen der ARD. Eine entlarvende Reaktion, meint DW-Sportredakteur Joscha Weber.

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Symbolbild Doping
Bild: Fotolia/St.Op.

Das alles ist doch "einfach Quatsch", "eine unverschämte Lüge" und "falsch" - oder sogar eine "gezielte Kampagne" gegen die Leichtathletik. Die Vorwürfe sind in jedem Fall "verleumderisch" und zielen nur darauf, die Laufwettbewerbe der Leichtathletik "zu ruinieren".

Einige der Reaktionen auf die Aufsehen erregende ARD-Dokumentation über Doping-Praktiken in der Leichtathletik. Wie sich die Worte der Sportverbandsvertreter doch immer wieder gleichen. Nicht der Sport selbst ist schuld an seinem Doping-Dilemma, sondern derjenige, der die Botschaft überbringt, die Wahrheit ausspricht. In diesem Fall war es der deutsche Sportjournalist Hajo Seppelt, der mit seinem gründlich recherchierten Film "Geheimsache Doping" für internationale Schlagzeilen sorgt und den Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF), das Internationale Olympische Komitee (IOC) und selbst die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Erklärungsnot bringt.

Warum interessierte sich niemand für die Verdachts-Liste?

Was liegt vor? Nach den Recherchen von Hajo Seppelt ist Doping in den Ausdauerdisziplinen der Leichtathletik weit verbreitet. Er wertete eine ihm zugespielte Liste mit 12.000 Bluttests von rund 5000 Läufern aus. Unter ihnen sollen 800 Sportler mit dopingverdächtigen Werten sein, darunter auch sagenhafte 146 Olympia- und WM-Medaillengewinner im Zeitraum von 2001 bis 2012. Und all das steht in einer Liste, die der IAAF vorlag.

Dopingverfahren? Keine. Sperren? Keine. Zurückgegebene Medaillen? Keine. Ein handfester Skandal.

Es stellt sich die Frage, wie ernst die Leichtathletik den viel propagierten Anti-Doping-Kampf denn nimmt. Nicht besonders ernst - das ist die einzig mögliche Antwort, zu offensichtlich wird weggeschaut angesichts hunderter Verdachtsfälle. "Dopingsünder", das sind in der Logik der Sportverbände eigentlich stets Einzeltäter, schwarze Schafe, die den sonst ja komplett sauberen Sport verraten. Eine Liste mit reihenweise stark dopingverdächtigen Top-Athleten passt da überhaupt nicht ins Bild - weder in das der IAAF noch in das des IOC, das seine Olympischen Spiele gerne als sauberes Sportspektakel mit der Kernsportart Leichtathletik präsentiert.

DW-Sportredakteur Joscha Weber (Foto: DW)
"Die IAAF nimmt den Anti-Doping-Kampf offensichtlich nicht ernst genug": DW-Sportredakteur Joscha Weber

Sowohl der skandalumwitterte und der Korruption bezichtigte IAAF-Präsident Lamine Diack als auch der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach geben sich skeptisch bis völlig überrascht von den Doping-Enthüllungen. Glaubwürdig ist dieses Unwissen nicht - im Übrigen auch nicht das der Anti-Doping-Agentur WADA, die Sportbetrug in solchem Ausmaße eigentlich verhindern soll.

Verdächtige Leistungssprünge, ausgezehrte Körper

Denn der Verdacht rennt seit Jahren mit. Zwar stand in den vergangenen Jahren mehr der Radsport im Fokus der kritischen Öffentlichkeit. Doch Doping-Experten warnen bereits seit langem vor allzu offensichtlichen Doping-Indizien in der Leichtathletik: Extrem konturierte, fettreduzierte Athleten-Körper. Sprunghafte Leistungssteigerungen mancher Sportler, die dann wieder in der Versenkung verschwinden. Verdächtige Rekordentwicklungen wie im Hammerwerfen der Frauen, die binnen 16 Jahren den Weltrekord gleich um ganze fünf Meter nach oben schraubten. Das alles sahen die Verbandsvertreter aber nicht - oder wollten es nicht sehen.

Symbolbild Leichtathletik Laufen
Welche Beine sind sauber, welche nicht? Bei der WM in Peking wird der Verdacht nun mitrennenBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Dabei hat der Medikamenten-Missbrauch dramatische Folgen, wie die ARD-Doku eindrucksvoll zeigt: Ein kenianischer Marathon-Läufer stirbt bei einem Rennen in seiner Heimat in Führung liegend kurz vor der Ziellinie an Herzversagen, das sehr wahrscheinlich mit Epo-Missbrauch zu erklären ist. Wenn der Spitzensport den Tod seiner Protagonisten als Kollateralschaden akzeptiert, dann verliert er sämtliche gesellschaftliche Legitimation. Kein Mensch braucht modernes Gladiatorentum - und erst recht braucht kein Mensch eine Leistungsschau der Pharmazie.

Verschwörungstheorien statt Transparenz

Die Reaktion der Sportwelt auf die ARD-Dokumentation drei Wochen vor der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Peking lässt tief blicken. Der Sport hat offensichtlich rein gar nichts aus den Doping-Skandalen der Vergangenheit gelernt. Wütende Dementi statt erkennbarem Willen zur Aufklärung. Verschwörungstheorien statt Transparenz. Wegsehen statt Analyse der vorliegenden Verdachtsfälle. Wer so reagiert, der entlarvt sich selbst - als Teil eines betrügerischen Systems.