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Hungerstreik vor dem Fußballfest

Bernd Johann26. April 2012

Der Konflikt um die in einen Hungerstreik getretene Ex-Regierungschefin Timoschenko belastet die Beziehungen der Ukraine zur EU. Und er wirft einen Schatten auf die bevorstehende Fußball-EM, meint Bernd Johann.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
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Ein schönes Fest soll diese Fußball-Europameisterschaft im Juni in der Ukraine werden. Mit sportlicher Leidenschaft will sich das Land als fröhlicher Gastgeber präsentieren. Doch jetzt das: Julia Timoschenko, die frühere Regierungschefin und einstige Galionsfigur des demokratischen Aufbruches der Ukraine nach Europa, ist im Hungerstreik, ausgerechnet in der Stadt Charkiw. Sie ist eine der vier ukrainischen Austragungsorte der EM. Auch die deutsche Nationalmannschaft soll dort spielen. Wenige Wochen vor der Fußball-EM eskaliert jetzt ein Konflikt, der seit Monaten die Beziehungen Deutschlands und der gesamten Europäischen Union zur Ukraine erschüttert.

Verträge mit der EU auf Eis

Erfolgreich schien die Ukraine in den letzten Jahren enge politische und wirtschaftliche Verbindungen zur EU geknüpft zu haben. Ein Assoziierungsvertrag in Verbindung mit einem umfassenden Freihandelsabkommen liegt fertig auf dem Tisch. Ukrainische Politiker haben sogar den Wunsch nach einer Mitgliedschaft ihres Landes in der EU bekundet.

Doch der Optimismus ist längst verflogen. Bereits im vergangenen Jahr legte die EU Verträge mit der Ukraine auf Eis. Sogar Sanktionen scheinen inzwischen nicht mehr ausgeschlossen.

Abrechnung mit politischen Gegnern

Zu Recht geht die EU zur Ukraine auf Distanz. Zu Recht sagt Bundespräsident Joachim Gauck eine für Mai geplante Reise in die Ukraine ab. Vor den Augen der europäischen Partner errichtet die ukrainische Führung unter Präsident Viktor Janukowitsch ein autoritäres Regime. In Justizverfahren, die an Schauprozesse erinnern, werden Mitglieder der früheren Timoschenko-Regierung in rechtsstaatlich höchst zweifelhaften Prozessen abgeurteilt. Urteile und neue Verfahren gibt es inzwischen gegen mehrere ehemalige Minister. Dieses rigorose Vorgehen gegen Mitglieder der alten Regierung spricht eine deutliche Sprache: Hier ist eine politische Abrechnung im Gang. Es geht auch darum, mit den Mitteln der Justiz wichtige Oppositionsvertreter für die im Oktober geplanten Parlamentswahlen auszuschalten.

Bernd Johann (Foto: DW)
Bernd Johann

Politiker aus Deutschland und anderen EU-Ländern sprechen von einer selektiven, politisch motivierten Justiz. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die ukrainischen Justizbehörden - wie praktisch alle anderen staatlichen Organe der Ukraine - inzwischen mit Gefolgsleuten von Präsident Janukowitsch und seiner regierenden Partei der Regionen durchsetzt sind. Politisch fällt zudem ins Gewicht, dass alle Kritik in den letzten Monaten an der Führung in Kiew abprallte. Präsident Janukowitsch und sein Apparat sind offenbar nicht bereit, auf Appelle und Empfehlungen aus der EU einzugehen.

Akt der Verzweiflung

Diese Sturheit der ukrainischen Führung hat jetzt offenbar auch Julia Timoschenko zu einem Akt der Verzweiflung geführt. Der Hungerstreik sei ein Protest gegen Gewalt, die ihr im Gefängnis von Staatsbeamten angetan worden sei, sagt der Anwalt. Das Leben ihrer Mutter sei bedroht, sagt die Tochter.

Seit neun Monaten ist Timoschenko im Gefängnis in Charkiw. Sie wurde wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ein weiterer Prozess gegen sie hat inzwischen begonnen. Obwohl Deutschland und die EU gegen das Vorgehen protestieren. Obwohl deutsche Ärzte Frau Timoschenko medizinisch untersucht und Zweifel an der Haftfähigkeit wegen ihrer Erkrankung angemeldet haben. In deutschen Medien machte bereits das Wort "Folter" die Runde. Hier soll ein Mensch um jeden Preis gebrochen werden.

Gute Wahl für die EM?

Ob es vor diesem Hintergrund ein fröhliches Fußballfest in der Ukraine geben kann? Politiker aus den EU-Staaten werden darüber nachdenken, ob sie in dieses Land fahren und womöglich bei der Gelegenheit dem ukrainischen Präsidenten die Hand schütteln wollen. Auch die europäischen Fußballverbände sollten sich jetzt fragen, ob die Ukraine wirklich eine gute Wahl als Austragungsort für die Spiele ist. Sicher kann der Sport keine politischen Probleme lösen. Aber er lenkt wie ein Scheinwerfer den Blick auf autoritäre Strukturen.

Die ukrainischen Politiker sind dabei, die europäischen Perspektiven ihres Landes zu verspielen. Den Spaß an der Fußball-Europameisterschaft können sie uns auch verderben.